Normen
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG 2014 §21 Abs7
MRK Art2
MRK Art3
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180064.L00
Spruch:
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision der Viertrevisionswerberin wird insoweit zurückgewiesen, als sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten wendet.
Die weitere Revision wird insoweit zurückgewiesen, als sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten und des Status von subsidiär Schutzberechtigten sowie die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Asylgesetz 2005 richten.
II. zu Recht erkannt:
Im Übrigen werden die angefochtenen Erkenntnisse wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den erst- bis drittrevisionswerbenden Parteien einerseits und der viertrevisionswerbenden Partei andererseits Aufwendungen in der Höhe von jeweils € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die revisionswerbenden Parteien sind türkische Staatsangehörige der kurdischen Volksgruppe. Der im April 2010 erstmals eingereiste Erstrevisionswerber und die am 16. Dezember 2014 eingereiste Zweitrevisionswerberin haben am 29. Februar 2016 in Österreich geheiratet und sind die Eltern der in Österreich geborenen dritt- und viertrevisionswerbenden Parteien.
Zu den erst- bis drittrevisionswerbenden Parteien:
2 Der Erstrevisionswerber stellte am 1. April 2016 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz; die Zweitrevisionswerberin und der Drittrevisionswerber stellten am 3. April 2018 gemeinsam einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen brachte der Erstrevisionswerber vor, er habe die Türkei aufgrund seiner bevorstehenden Einberufung zum Militär verlassen und könne dazu einen Einberufungsbefehl aus 2010 vorlegen. Die Zweitrevisionswerberin und der Drittrevisionswerber gaben an, keine eigenen Fluchtgründe zu haben.
3 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies alle Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung sowohl des Status der Asylberechtigten als auch der subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen und stellte die Zulässigkeit der Abschiebungen in die Türkei fest. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde jeweils mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen fest.
4 Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit mündlich verkündeten Erkenntnissen vom 1. Juli 2019 mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die Frist für die freiwillige Ausreise aufgrund der Schwangerschaft der Zweitrevisionswerberin zwei Monate betrage, und erklärte die Revision für nicht zulässig.
5 Begründend führte das BVwG aus, dass das ‑ im Vergleich zu seinem im Jahr 2010 gestellten Erstantrag ‑ im Wesentlichen unveränderte Vorbringen des Erstrevisionswerbers keine wohl begründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft mache. Die Echtheit des vorgelegten Einberufungsbefehls sei zweifelhaft. Selbst falls man jedoch davon ausgehe, dass der Erstrevisionswerber bei Rückkehr in die Türkei zum Militärdienst einrücken müsse, stelle dies vor dem Hintergrund der herangezogenen Länderberichte keinen Fluchtgrund iSd Genfer Flüchtlingskonvention dar.
6 Mit Beschluss vom 9. Juni 2020, E 3380‑3382/2019‑9, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen diese Erkenntnisse gerichteten Beschwerden ab und trat über nachträglich gestellten Antrag mit Beschluss vom 21. Juli 2020, E 3380‑3382/2019‑11, die Beschwerden dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
7 In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht. Diese bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, die angefochtenen Erkenntnisse weiche von der hg. Rechtsprechung insofern ab, als in der Niederschrift des mündlich verkündeten Erkenntnisses die tragenden Erwägungen der Begründung nicht offengelegt worden seien, weshalb dem Verwaltungsgerichtshof keine nachprüfende Kontrolle möglich sei. Außerdem rügt sie Begründungs- und Ermittlungsmängel im Zusammenhang mit der vorgebrachten Wehrdienstverweigerung des Erstrevisionswerbers.
Zur viertrevisionswerbenden Partei:
8 Die am 24. Juli 2019 in Österreich geborene Viertrevisionswerberin stellte am 13. August 2019 (nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens der erst- bis drittrevisionswerbenden Parteien) einen auf die Fluchtgründe ihrer Eltern gestützten Antrag auf internationalen Schutz, dem ärztliche Befunde beigelegt wurden, wonach sie an schweren, behandlungsbedürftigen Organdefekten (beidseitige Hydronephrose, multiperforiertes Ventrikelseptum) leide.
9 Mit Bescheid vom 19. August 2019 wies das BFA den Antrag der Viertrevisionswerberin auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Türkei zulässig sei, und setzte eine 14‑tägige Frist für die freiwillige Ausreise fest.
10 Gegen diesen Bescheid erhob die Viertrevisionswerberin Beschwerde, in der sie u.a. die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte und bemängelte, dass die ärztlichen Befunde nicht in die Beweiswürdigung miteinbezogen worden seien. Entgegen diesen Unterlagen sei festgestellt worden, dass sie gesund sei und an keiner Krankheit leide. Zudem sei ihre Mutter auch nicht niederschriftlich einvernommen worden. Um zu beurteilen, ob es sich bei ihrer Erkrankung um eine lebensbedrohliche Krankheit handle bzw. ob diese in der Türkei behandelbar sei, hätte ein medizinisches Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben werden müssen.
11 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die dagegen erhobene Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab und erklärte die Revision für nicht zulässig. Begründend führte es aus, die Beweiswürdigung des BFA sei schlüssig und stimmig. Das BVwG schließe sich den Erwägungen des BFA an, wonach die Viertrevisionswerberin im Herkunftsstaat keiner asylrelevanten Bedrohung ausgesetzt bzw. eine solche im Falle einer Rückkehr nicht wahrscheinlich sei. Von ihr seien keine akut existenzbedrohenden Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung in die Türkei, respektive die Notwendigkeit weiterer Erhebungen seitens des BVwG belegt.
12 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision der Viertrevisionswerberin, in der zur Zulässigkeit ein Verstoß des BVwG gegen die Verhandlungs-, Begründungs- und Ermittlungspflicht geltend gemacht wird. Das BVwG habe es unterlassen, sich mit den in der Beschwerde vorgelegten medizinischen Befunden auseinanderzusetzen und habe ungeachtet dessen weder eine mündliche Verhandlung durchgeführt noch Feststellungen zu ihrem Gesundheitszustand sowie zu einer (zugänglichen) Behandelbarkeit derartiger Erkrankungen in der Türkei getroffen. Hätte das BVwG Feststellungen dazu getroffen, hätte es ihr den Status der subsidiär Schutzberechtigten zusprechen bzw. in eventu die Rückkehrentscheidung für dauerhaft bzw. zumindest für die Dauer der erforderlichen medizinischen Behandlungen unzulässig erklären müssen.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung eines Vorverfahrens ‑ eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet ‑ über die wegen ihres sachlichen, rechtlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbundenen ‑ Revisionen in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
14 Die Revisionen sind teilweise zulässig und begründet.
Zur Zurückweisung der Revisionen hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten:
15 Die Revisionen bekämpfen allesamt auch die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten, wobei die Revision der Viertrevisionswerberin dazu jedoch keine eigenen inhaltlichen Ausführungen enthält.
16 Soweit die Revision der erst- bis drittrevisionswerbenden Parteien Begründungs- und Ermittlungsmängel hinsichtlich der asylrechtlichen Würdigung der Wehrdienstverweigerung des Erstrevisionswerbers geltend macht, ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung auch deren Relevanz dargetan werden muss, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für die revisionswerbenden Parteien günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Dies setzt voraus, dass ‑ auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 10.6.2020, Ra 2020/18/0068).
17 Eine solche Relevanzdarstellung gelingt der Revision fallbezogen in Hinblick auf das Vorbringen des Erstrevisionswerbers zu seinen Fluchtgründen nicht. So hat das BVwG in den angefochtenen Erkenntnissen das im Wesentlichen im Vergleich zum Erstverfahren unveränderte Fluchtvorbringen des Erstrevisionswerbers einer neuerlichen Beweiswürdigung unterzogen und nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ in nicht unvertretbarer Weise eine wohl begründete Furcht vor Verfolgung verneint. Aus den herangezogenen Länderberichten ergebe sich nicht, dass Kurden in der Türkei ‑ auch bei der Ableistung des Wehrdienstes ‑ aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit systematisch staatlicherseits oder mit staatlicher Duldung verfolgt würden.
18 Dass diese Beurteilung an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Fehlerhaftigkeit leiden würde, vermag die Revision mit ihren Ausführungen nicht aufzuzeigen (vgl. auch VwGH 3.9.2020, Ra 2020/19/0273).
19 Wenn die Revision im Zusammenhang mit der vom BVwG angezweifelten Echtheit des im Folgeantrag nachgereichten Einberufungsbefehls vorbringt, dass das BVwG zu dessen Beurteilung ein Sachverständigengutachten hätte einholen müssen, ist dazu auszuführen, dass die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, einer einzelfallbezogenen Beurteilung unterliegt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 4.3.2020, Ra 2020/18/0069, mwN). Dass dies vorliegend der Fall wäre, zeigt die Revision nicht auf.
20 Die von der Revision der erst- bis drittrevisionswerbenden Parteien zudem gerügte Nichteinhaltung der Bestimmungen über die Begründungspflicht im Rahmen der mündlichen Verkündung stellt eine Verletzung von Verfahrensvorschriften dar. Für eine Aufhebung eines Erkenntnisses oder Beschlusses wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften ist es nach § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG daher erforderlich, dass das Verwaltungsgericht bei Einhaltung der verletzten Verfahrensvorschriften zu einem anderen Erkenntnis oder Beschluss hätte kommen können, es muss also die Relevanz des Verfahrensfehlers vorliegen. Der Revisionswerber hat die Entscheidungswesentlichkeit des Mangels konkret zu behaupten. Er darf sich nicht darauf beschränken, einen Verfahrensmangel (nur) zu rügen, ohne die Relevanz für den Verfahrensausgang durch ein konkretes tatsächliches Vorbringen aufzuzeigen. In der Regel wird die Relevanz von Mängeln der Begründung der mündlich verkündeten Entscheidung wegfallen, wenn eine schriftliche Ausfertigung vorliegt, die diese Mängel behebt (vgl. dazu grundlegend VwGH 23.9.2020, Ra 2019/14/0558 bis 0560, mwN).
21 Im Revisionsfall wurde die schriftliche Ausfertigung der mündlich verkündeten Entscheidungen dem Vertreter der erst- bis drittrevisionswerbenden Parteien zugestellt, bevor die Revision erhoben wurde. Im Lichte der eben dargestellten Rechtsprechung gelingt es der Revision mit ihrem bloßen Vorbringen, wonach aufgrund der mangelhaften Begründung der mündlich verkündeten Erkenntnisse keine nachprüfende Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes möglich sei, somit nicht, eine Relevanz jener Begründungsmängel darzulegen, die sie den mündlich verkündeten Entscheidungsgründen anlastet.
22 Zur Aufhebung des Erkenntnisses betreffend die Viertrevisionswerberin:
23 Als zulässig und berechtigt erweist sich die Revision der Viertrevisionswerberin jedoch insoweit, als sie sich gegen die mangelnde Auseinandersetzung des BVwG mit ihrer besonderen Vulnerabilität im Zusammenhang mit der Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz richtet und in dem Zusammenhang rügt, das BVwG habe sich nicht mit ihren vorgelegten medizinischen Befunden auseinandergesetzt und dazu weder eine mündliche Verhandlung durchgeführt noch Feststellungen zu ihrem Gesundheitszustand sowie zur Behandelbarkeit ihrer Erkrankungen in der Türkei getroffen.
24 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, ist eine besondere Vulnerabilität bei der Beurteilung, ob revisionswerbenden Parteien bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung ihrer durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte droht, im Speziellen zu berücksichtigen (vgl. etwa VwGH 6.9.2018, Ra 2018/18/0315, mwN).
25 Bereits das BFA nahm von einer konkreten Auseinandersetzung mit dem Gesundheitszustand der Viertrevisionswerberin sowie von einer Einvernahme der Mutter dazu Abstand und stellte trotz Vorliegens medizinischer Befunde, in denen der Viertrevisionswerberin schwere, behandlungsbedürftige Organdefekte diagnostiziert wurden, in seinem Bescheid fest, dass diese gesund sei und an keiner Krankheit leide.
26 Ungeachtet des konkreten diesbezüglichen Beschwerdevorbringens setzte sich auch das BVwG erneut nicht mit dem Gesundheitszustand der Viertrevisionswerberin auseinander, sondern stellte den Gesundheitszustand der Eltern fest („mobile, junge, gesunde, arbeitsfähige Menschen“). Lediglich im Rahmen der Rückkehrentscheidung führte das BVwG ‑ ohne jeden fallbezogenen Bezug auf die vorgelegten medizinischen Befunde der Viertrevisionswerberin ‑ aus, dass sie betreffend keine akut existenzbedrohenden Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung dieser im Falle einer Überstellung in die Türkei belegt worden seien, aus der Aktenlage keine Hinweise auf das Vorliegen einer schweren Erkrankung ersichtlich seien und in der Türkei für sie Zugang zu medizinischer Versorgung bestehe. Konkrete fallbezogene Feststellungen und Erwägungen hinsichtlich des Gesundheitszustandes der Viertrevisionswerberin bzw. der sich daraus ergebenden Folgen und notwendigen Behandlungsmöglichkeiten in der Türkei fehlen im Erkenntnis zur Gänze.
27 Da schon die Begründung der Beweiswürdigung des BFA mangels Berücksichtigung einschlägiger medizinischer Befunde nicht mängelfrei erfolgte, durfte das BVwG sie auch nicht ohne weiteres übernehmen und die so gewonnenen Feststellungen ohne mündliche Verhandlung seiner Entscheidung zugrunde legen (vgl. VwGH 6.11.2018, Ra 2018/18/0213, mwN). Darüber hinaus hat die Viertrevisionswerberin die Außerachtlassung der vorgelegten medizinischen Befunde in ihrer Beschwerde konkret gerügt und die Beweiswürdigung des BFA damit fallbezogen substantiiert bekämpft. Die Voraussetzungen für ein Absehen von der beantragten Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG lagen daher nicht vor (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 bis 0018).
28 Das von der Viertrevisionswerberin angefochtene Erkenntnis war daher in Bezug auf die Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz und die darauf aufbauenden Spruchpunkte gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Zur Aufhebung der übrigen Erkenntnisse hinsichtlich der Rückkehrentscheidungen:
29 Soweit sich die Revision der erst- bis drittrevisionswerbenden Parteien gegen die Erlassung von Rückkehrentscheidungen (und die davon rechtlich abhängenden Aussprüche) wendet, erweist sie sich als zulässig und berechtigt.
30 Die Revision macht diesbezüglich geltend, dem BVwG sei insofern ein wesentlicher Ermittlungsmangel vorzuwerfen, als es sich nicht näher mit der Schwangerschaft der Zweitrevisionswerberin auseinandergesetzt habe, obwohl diese zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG (im neunten Monat) hochschwanger gewesen sei. Nähere Ermittlungen hätten ergeben, dass die Viertrevisionswerberin mit massiven und potentiell lebensgefährlichen angeborenen Erkrankungen zur Welt kommen werde, da diese Erkrankungen bereits vor der Geburt erkennbar gewesen wären und in der gegenständlichen Entscheidung hätten berücksichtigt werden müssen.
31 Damit hat die Revision einen relevanten Verfahrensfehler aufgezeigt. Im angefochtenen Erkenntnis hat das BVwG nämlich ‑ entgegen der hg. Rechtsprechung (vgl. VwGH 28.4.2015, Ra 2014/18/0146) ‑ keinerlei nähere Feststellungen zur Schwangerschaft der Zweitrevisionswerberin getroffen, sondern lediglich unter Hinweis auf den voraussichtlichen Geburtstermin die Frist für die freiwillige Ausreise von bisher 14 Tagen mit zwei Monaten festgesetzt.
32 Die von den erst- bis drittrevisionswerbenden Parteien angefochtenen Erkenntnisse waren daher, soweit das BVwG die Beschwerden gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidungen abgewiesen hat, ebenso wie die rechtlich darauf aufbauenden Aussprüche wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben (vgl. VwGH 7.1.2021, Ra 2019/18/0451 u.a.).
33 Von der von den erst- bis viertrevisionswerbenden Parteien beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte bei diesem Ergebnis gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 6 VwGG abgesehen werden.
34 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014. In kostenrechtlicher Hinsicht ist das Familienverfahren der erst‑ bis drittrevisionswerbenden Parteien einerseits und das Verfahren der Viertrevisionswerberin andererseits zu unterscheiden. Für die Bekämpfung der diese beiden Verfahren betreffenden Erkenntnisse gebührt jeweils ein einfacher Kostenersatz (vgl. VwGH 7.1.2021, Ra 2019/18/0451).
Wien, am 29. März 2021
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