VwGH Ra 2020/17/0037

VwGHRa 2020/17/00378.9.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und den Hofrat Mag. Berger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des H R in S, vertreten durch Dr. Patrick Ruth und MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 13. März 2020, LVwG 30.10‑1503/2018‑51, betreffend Übertretungen des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Steiermark), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37
VwGG §42 Abs2
VwGVG 2014 §44

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020170037.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 1.1. Mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark (LVwG) vom 7. Juni 2019 wurde der Revisionswerber nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung der vierfachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 2 und 4 iVm § 4 Glücksspielgesetz ‑ GSpG schuldig erkannt und wurden über ihn vier Geldstrafen sowie für den Fall der Uneinbringlichkeit vier Ersatzfreiheitsstrafen verhängt.

2 1.2. Aufgrund der außerordentlichen Revision des Revisionswerbers hob der Verwaltungsgerichtshof dieses Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf, weil das LVwG keine Feststellungen getroffen hatte, auf deren Grundlage eine Kohärenzprüfung im Sinn der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes möglich war (VwGH 29.1.2020, Ra 2019/09/0124).

3 1.3. Mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz‑)Erkenntnis des LVwG vom 13. März 2020 wurde der Revisionswerber erneut der vierfachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 2 und 4 iVm § 4 GSpG schuldig erkannt und wurden über ihn vier (herabgesetzte) Geldstrafen sowie für den Fall der Uneinbringlichkeit vier (herabgesetzte) Ersatzfreiheitsstrafen verhängt; der Kostenbeitrag für das Verwaltungsstrafverfahren der belangen Behörde wurde neu festgesetzt. Das LVwG fasste dabei den Spruch neu und konkretisierte auch die verletzte Strafbestimmung sowie die Strafsanktionsnorm. Weiters sprach das LVwG aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 1.4. Das LVwG traf u.a. Feststellungen, die die Durchführung der gebotenen Kohärenzprüfung ermöglichten, führte zuvor jedoch keine (weitere) mündliche Verhandlung durch.

5 2.1. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

6 2.2. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision. Das LVwG habe bereits drei mündliche Verhandlungen durchgeführt, der entscheidungswesentliche Sachverhalt sei „unzweifelhaft“ festgestanden; überdies sei die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang nicht dargetan worden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 3.1. Die revisionswerbende Partei bringt zur Zulässigkeit der außerordentlichen Revision im Wesentlichen (u.a.) vor, das LVwG sei von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil im zweiten Rechtsgang keine mündliche Verhandlung durchgeführt worden sei. Die Voraussetzungen für ein Unterbleiben der mündlichen Verhandlung gemäß § 44 Abs. 2 bis Abs. 5 VwGVG seien nicht erfüllt gewesen. Das LVwG habe neue Feststellungen getroffen, zu denen es der revisionswerbenden Partei kein Parteiengehör eingeräumt habe; die revisionswerbende Partei hätte in diesem Fall näheres Vorbringen erstattet. Weiters hätte das LVwG das Absehen von der mündlichen Verhandlung begründen müssen.

8 3.2. Die Revision erweist sich aus diesem Grund als zulässig und begründet.

9 3.2.1. Gemäß § 44 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht in Verwaltungsstrafsachen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In den Abs. 2 bis 5 leg. cit. finden sich zulässige Ausnahmen von der Verhandlungspflicht. Ein Absehen von der Verhandlung ist vom Verwaltungsgericht nach dieser Bestimmung zu beurteilen und zu begründen (vgl. VwGH 26.4.2019, Ra 2018/02/0260, 0261).

10 3.2.2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gilt der Grundsatz der mündlichen Verhandlung in Verwaltungsstrafsachen auch nach Aufhebung von Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtes im zweiten Rechtsgang, selbst wenn im ersten Rechtsgang eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, sodass das Verwaltungsgericht auch im zweiten Rechtsgang nur von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen kann, wenn die Voraussetzungen des § 44 VwGVG vorliegen. Das ist etwa dann nicht der Fall, wenn das Verwaltungsgericht im zweiten Rechtsgang Sachverhaltselemente wie das Verschulden klären muss (vgl. VwGH 12.2.2020, Ra 2019/02/0148, 0149, mwN).

11 Ebenso ist dies nicht der Fall, wenn das Verwaltungsgericht sein Ermittlungsverfahren zu ergänzen hat, um (neue) Feststellungen zu treffen.

12 Eine Begründung für das Absehen von einer Verhandlung im zweiten Rechtsgang findet sich im angefochtenen Erkenntnis nicht. Da das LVwG mit Erkenntnis entschieden hat bzw. kein Antrag der Parteien vorliegt, kommt ein Absehen nach § 44 Abs. 2 und 4 VwGVG nicht in Betracht. Ein ausdrücklicher Verzicht auf die Durchführung einer Verhandlung im Sinn des § 44 Abs. 5 VwGVG wurde nicht festgestellt. Auch die Voraussetzungen des § 44 Abs. 3 VwGVG liegen nicht vor, weil der Revisionswerber in seiner Beschwerde die Durchführung einer Verhandlung beantragt hatte.

13 Da im zweiten Rechtsgang ein Ermittlungsverfahren hinsichtlich der fehlenden Feststellungen zur Beurteilung der Frage, ob die Monopolregelung den unionsrechtlichen Vorgaben entspricht, zu führen war und der Sachverhalt aufgrund des Vorbringens des Revisionswerbers hiezu nicht geklärt war, wäre das Verwaltungsgericht gemäß § 44 Abs. 1 VwGVG verpflichtet gewesen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

14 3.3. Die Relevanz dieses Verfahrensmangels war nicht näher zu prüfen, weil eine grundsätzlich die Verhandlungspflicht begründende „strafrechtliche Anklage“ im Sinn des Art. 6 EMRK vorlag (vgl. z.B. VwGH 2.3.2017, Ra 2017/08/0004).

15 4.1. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

16 4.2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 8. September 2020

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