VwGH Ra 2020/01/0162

VwGHRa 2020/01/016218.6.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der A A alias A, in Z, vertreten durch Mag. Taner Önal, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Kärntner Straße 7b/I, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Oktober 2019, Zl. L502 2218705‑1/6E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

FrPolG 2005 §53
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §42

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020010162.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine libanesische Staatsangehörige, stellte am 22. November 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 23. April 2019 vollinhaltlich abgewiesen wurde. Zudem wurde der Revisionswerberin kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung gegen sie erlassen, festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Libanon zulässig sei, ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot (gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG) erlassen und eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise festgesetzt.

2 Mit Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 27. Mai 2019 wurde die Revisionswerberin wegen des (am 21. Dezember 2018 begangenen) Vergehens der falschen Beweisaussage gemäß § 288 Abs. 4 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt.

3 Die gegen den Bescheid des BFA vom 23. April 2019 erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ‑ ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 23. Oktober 2019 mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass das Einreiseverbot auf § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 2 FPG gestützt und auf die Dauer von fünf Jahren erlassen wurde. Zudem sprach das BVwG aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

4 Mit Beschluss vom 27. Februar 2020, E 4225/2019‑11, lehnte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde ab und trat sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Begründend führte der VfGH ua. aus, dass dem BVwG unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegen getreten werden könne, wenn es auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgehe, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art. 8 EMRK überwiege.

5 In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Soweit die Revision zur Zulässigkeit vorbringt, das BVwG habe zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen, wird mit den bloßen Hinweisen auf eine „abweichende rechtliche Beurteilung“ sowie eine „umfangreiche eigene Beweiswürdigung“ (durch das BVwG) fallbezogen ein Abweichen von den Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht der Verwaltungsgerichte nach § 21 Abs. 7 BFA‑VG (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018, sowie zur Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen aus der jüngeren Rechtsprechung etwa VwGH 24.3.2020, Ra 2019/01/0496, mwN) nicht aufgezeigt.

10 Insoweit die Revision vermeint, im Hinblick auf die Abwägung nach Art. 8 EMRK und auf die bei der Verhängung des Einreiseverbotes erforderlichen Gefährdungsprognose hätte sich das Bundesverwaltungsgericht einen persönlichen Eindruck von der Revisionswerberin verschaffen müssen, ist ihr zwar insofern zuzustimmen, als bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer Verhandlung besondere Bedeutung zukommt. Daraus ist aber noch keine „absolute“ (generelle) Pflicht zur Durchführung einer Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 15.4.2020, Ra 2020/20/0114, mwN). Die Revision vermag nicht aufzuzeigen, dass das BVwG nicht von einem solchen eindeutigen Fall ausgehen hätte dürfen.

11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbotes (vgl. VwGH 27.3.2020, Ra 2020/20/0073, mwN). Im vorliegenden Fall bezog das BVwG das in Österreich bestehende Familienleben der Revisionswerberin in seine Abwägung mit ein, berücksichtigte aber auch „schwerwiegende Verstöße gegen die Einreise in und den Aufenthalt im Bundesgebiet regelnden Bestimmungen“ sowie die strafgerichtliche Verurteilung der Revisionswerberin wegen falscher Beweisaussage (vgl. zur Maßgeblichkeit einer Verurteilung nach § 288 StGB VwGH 24.5.2018, Ra 2017/19/0311). Vor diesem Hintergrund legt die Revisionswerberin nicht dar, dass dem BVwG im Zuge der Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK sowie der Verhängung des Einreiseverbotes eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende, unvertretbare Fehlbeurteilung unterlaufen wäre.

12 Dass das BVwG die Bemessung der Dauer des gegen die Revisionswerberin erlassenen Einreiseverbots im Hinblick auf die im Einzelfall in Form einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigenden Umstände in unvertretbarer Weise vorgenommen hätte, zeigt die Revision nicht auf. Im Übrigen ist es dem BVwG auch nicht verwehrt, die Dauer des Einreiseverbotes zu erhöhen, zumal insoweit kein Verbot der „reformatio in peius“ besteht (vgl. dazu etwa VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0232, mwN).

13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

14 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 18. Juni 2020

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