VwGH Ra 2019/22/0108

VwGHRa 2019/22/010817.9.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, in der Revisionssache der revisionswerbenden Parteien 1. S E E, 2. B T S, und 3. M T S, alle vertreten durch Dr. Anton Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 9. April 2019, 1. VGW- 151/019/17012/2018, 2. VGW-151/019/17013/2018 und 3. VGW- 151/019/17014/2018, jeweils betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §56
AVG §73
B-VG Art133 Abs4
NAG 2005 §20 Abs2
NAG 2005 §64 Abs2
NAGDV 2005 §8 Z8 litb
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §28

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019220108.L01

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 4 Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter der minderjährigen Zweitrevisionswerberin und Ehefrau des Drittrevisionswerbers; alle sind iranische Staatsangehörige. Die Erstrevisionswerberin verfügte seit April 2014 über Aufenthaltsbewilligungen "Student" gemäß § 64 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), die jeweils - zuletzt bis 18. Mai 2018 - verlängert wurden. Die Zweitrevisionswerberin und der Drittrevisionswerber verfügten über Aufenthaltsbewilligungen Familiengemeinschaft mit Student, abgeleitet von der Erstrevisionswerberin.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien (VwG) die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien gegen die Abweisung ihrer Verlängerungsanträge als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision für unzulässig.

Begründend führte das VwG im Wesentlichen aus, die Erstrevisionswerberin sei im maßgeblichen Studienjahr 2017/2018 beurlaubt gewesen und habe daher keinen Studienerfolg erbracht. Sie habe diese Beurlaubung selbst beantragt, weshalb schon aus diesem Grund nicht von einem der Einflusssphäre der Erstrevisionswerberin entzogenen, unabwendbaren oder unvorhersehbaren Ereignis im Sinn des § 64 Abs. 2 NAG gesprochen werden könne. Auch die Betreuungspflichten gegenüber der im September 2016 geborenen Zweitrevisionswerberin stellten kein solches Ereignis dar, weil es in der Disposition der Eltern liege, sich die Betreuung des Kindes einzuteilen bzw. entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Darüber hinaus habe sich der Drittrevisionswerber im Jahr 2018 über längere Zeiträume rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten und ab Jänner 2018 sei für die Zweitrevisionswerberin halbtags ein Betreuungsplatz in einer Kinderbetreuungseinrichtung zur Verfügung gestanden.

Auch aus der Richtlinie (EU) 2016/801 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- und Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit sei für die revisionswerbenden Parteien nichts zu gewinnen; einerseits sei § 64 Abs. 2 NAG klar und eindeutig bestimmt und somit einer unionsrechtskonformen Interpretation nicht zugänglich. Andererseits sei gemäß Art. 21 Abs. 2 lit. f der Richtlinie 2016/801 eine Entziehung oder Verweigerung der Verlängerung eines Aufenthaltstitels für Studenten zulässig, wenn diese nach Maßgabe des nationales Rechts keine ausreichenden Studienfortschritte machten. Auch aus verfassungsrechtlichen Erwägungen sei kein Absehen vom Studienerfolg geboten.

Da die Erstrevisionswerberin über keinen Aufenthaltstitel mehr verfüge, fehle für die Zweitrevisionswerberin und den Drittrevisionswerber eine besondere Erteilungsvoraussetzung, weshalb auch ihre Beschwerden abzuweisen gewesen seien. 6 In der Zulässigkeitsbegründung bringt die Revision zunächst vor, hätte die Behörde innerhalb der Entscheidungsfrist von 90 Tagen gemäß § 64 Abs. 6 NAG entschieden, wäre ein anderes Studienjahr heranzuziehen gewesen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kann das Verwaltungsgericht das jüngst abgeschlossene Studienjahr als maßgeblich heranziehen, wenn während des anhängigen Verlängerungsverfahrens ein weiteres Studienjahr vollendet wurde; dies nicht nur zum Vorteil, sondern auch zum Nachteil des Studierenden. Dies stellt keine Willkür dar, weil ein Drittstaatsangehöriger, der einen Aufenthaltstitel zum Zweck der Absolvierung eines Studiums innehatte und um dessen Verlängerung ansucht, grundsätzlich für jedes Studienjahr einen ausreichenden Studienerfolg nachzuweisen hat (vgl. etwa VwGH 13.6.2019, Ra 2018/22/0293, mwN).

Umso weniger vermag der Umstand, dass die Verwaltungsbehörde ihre Entscheidungsfrist nicht einhielt, im Beschwerdeverfahren vor dem VwG, welches gemäß § 28 VwGVG in der Sache zu entscheiden hat und dabei grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung anzuwenden hat, eine Notwendigkeit zum Abgehen von dem Grundsatz, dass jeweils das jüngst abgeschlossene Studienjahr maßgeblich ist, zu begründen.

Wenn die Revision auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Juni 1999, B 1045/98, hinweist, so ist der diesem Erkenntnis zugrunde liegende Sachverhalt mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. In jenem Beschwerdefall wurde die Möglichkeit der Beschwerdeführerin, die von ihr im Inland erlaubt ausgeübte Beschäftigung fortzusetzen oder eine neue Beschäftigung im Inland anzunehmen, ausschließlich dadurch vereitelt, dass ein Bescheid erlassen wurde, mit dem ihr in rechtswidriger Weise eine Aufenthaltsbewilligung versagt wurde, wodurch die Erfüllung der Voraussetzung für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis von vornherein unmöglich gemacht wurde. Von einer dem vorzitierten Beschwerdefall zugrunde liegenden vergleichbaren Zwangslage kann im gegenständlichen Fall jedoch keine Rede sein.

Im Übrigen geht aus den Verfahrensakten nicht hervor, dass die Erstrevisionswerberin als ordentliche Studierende vor ihrer Beurlaubung auch nur eine einzige Prüfung abgelegt hätte. Sie schloss vielmehr den Vorstudienlehrgang erst im November 2016 ab und legte - eigenen Angaben in der Verhandlung vor dem VwG zufolge - ihre ersten Prüfungen als ordentliche Studierende im Wintersemester 2018/2019 ab. Auch aus diesem Grund wäre das Revisionsvorbringen nicht zielführend.

7 Die Revision bringt weiter vor, zur Rechtsfrage, ob Betreuungspflichten einer Mutter gegenüber einem Kleinkind den Tatbestand des § 64 Abs. 2 letzter Satz NAG erfüllten, liege keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung, dass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegt, wenn die Rechtslage nach den in Betracht kommenden Normen klar und eindeutig ist, und zwar selbst dann nicht, wenn zu einer der anzuwendenden Normen - im Hinblick auf bestimmte Sachverhaltselemente - noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erging (vgl. etwa VwGH 12.10.2018, Ra 2018/06/0174, mwN).

Wie das VwG zutreffend ausführte, stellen die Betreuungspflichten der Erstrevisionswerberin gegenüber der Zweitrevisionswerberin kein der Einflusssphäre der Erstrevisionswerberin entzogenes, unabwendbares oder unvorhersehbares Ereignis im Sinn des § 64 Abs. 2 letzter Satz NAG dar. Vielmehr war es für die Eltern jedenfalls ab der Geburt der Zweitrevisionswerberin am 14. September 2016 vorhersehbar, dass für deren Betreuung vorzusorgen sein wird; entsprechende Vorkehrungen, wie sie auch andere Eltern treffen müssen, waren weder der Einflusssphäre der Erstrevisionswerberin und des Drittrevisionswerbers entzogen, noch war es unabwendbar, dass ausschließlich die Erstrevisionswerberin selbst die Betreuung der Zweitrevisionswerberin übernehmen musste. Auf die Feststellungen des VwG, wonach ab Jänner 2018 für die Zweitrevisionswerberin eine Halbtagsbetreuung zur Verfügung gestanden sei und sich der Drittrevisionswerber 2018 über längere Zeiträume im Bundesgebiet aufgehalten habe, geht die Revision überhaupt nicht ein. Es ist somit nicht zu erkennen, dass die Betreuungspflichten der Erstrevisionswerberin ausnahmsweise in einem Umfang vorgelegen wären, der es ihr unmöglich gemacht hätte, Prüfungen abzulegen. Der vorliegende Sachverhalt kann somit nicht unter § 64 Abs. 2 letzter Satz NAG subsumiert werden.

Insoweit in diesem Zusammenhang auf eine divergierende Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte hingewiesen wird, ist dem zu entgegnen, dass eine uneinheitliche oder abweichende Rechtsprechung eines oder mehrerer Verwaltungsgerichte für sich genommen nicht den Tatbestand des Art. 133 Abs. 4 B-VG erfüllt (vgl. etwa VwGH 26.2.2019, Ra 2018/03/0071, mwN).

Entgegen der in der Zulassungsbegründung vertretenen Ansicht äußerte sich das VwG nicht dazu, ob eine Schwangerschaft oder Geburt ein Ereignis im Sinn des § 64 Abs. 2 letzter Satz NAG darstellen könnte.

Selbst wenn man - wie in der Revision vorgebracht - von einem "Karenzjahr" für Studierende ausgehen wollte, hätte die Erstrevisionswerberin danach im relevanten Studienjahr 2017/2018 noch elfeinhalb Monate Zeit gehabt, Prüfungen im ausreichenden Ausmaß abzulegen. Das VwG legte seiner Entscheidung auch nicht zugrunde, dass die Erstrevisionswerberin "bereits nach einem Jahr ‚Karenz'" ihr Studium nicht ernsthaft verfolgt habe, sondern stellte lediglich fest, dass sie im Studienjahr 2017/2018 keine Prüfungen abgelegt habe.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag im vorliegenden Fall keinen Art. 21 Abs. 1 GRC widersprechenden "grund- und menschenrechtlich unerträglichen Akt" zu erkennen.

8 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher zurückzuweisen.

Wien, am 17. September 2019

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