VwGH Ra 2019/21/0096

VwGHRa 2019/21/009612.11.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 1. März 2019, I403 2214659-1/4E, betreffend ersatzlose Behebung eines Bescheides in einer Angelegenheit nach dem FPG (mitbeteiligte Partei: J Z in W, vertreten durch Mag. Andreas Lepschi, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §24 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210096.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Bund hat der Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von 1.106,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Mitbeteiligte, eine Staatsangehörige Nigerias, reiste am 22. August 1999 in das österreichische Bundesgebiet ein und beantragte erfolglos die Gewährung von Asyl. Eine mit einem österreichischen Staatsbürger am 15. Februar 2002 eingegangene Ehe, die zur Erteilung einer Niederlassungsbewilligung am 4. April 2002 führte, wurde vom Bezirksgericht Leopoldstadt am 25. Februar 2005 - als Aufenthaltsehe - für nichtig erklärt. Ihre zweite, am 4. März 2005 - wiederum mit einem österreichischen Staatsbürger - eingegangene Ehe, aus der eine am 10. Februar 2014 geborene Tochter, eine österreichische Staatsbürgerin, stammt, ist aufrecht. Nach erstmaligem Antrag vom 19. August 2009 waren der Mitbeteiligten - wiederholt verlängerte - Aufenthaltstitel als Familienangehörige erteilt worden; die letzte (unerledigte) Antragstellung erfolgte am 9. Oktober 2017.

2 Mit rechtskräftigem Urteil vom 28. August 2017 verhängte das Landesgericht für Strafsachen Wien über die Mitbeteiligte wegen des Verbrechens des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels nach § 217 Abs. 2 StGB eine Freiheitsstrafe von 24 Monaten (davon 18 Monate bedingt nachgesehen). Sie hatte im Zusammenwirken mit einer ihrer in Nigeria lebenden Schwestern im April 2016 daran mitgewirkt, dass vier nigerianische Frauen durch Drohungen sowie Vortäuschung einer anderen Beschäftigung dazu gebracht wurden, nach Österreich einzureisen, um hier der Prostitution nachzugehen. 3 Angesichts dieser Straftat erließ das (von der Niederlassungsbehörde befasste) Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 14. Jänner 2019 gegen die Mitbeteiligte gemäß § 52 Abs. 4 FPG eine Rückkehrentscheidung und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig sei. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG erließ das BFA gegen die Mitbeteiligte noch ein mit fünf Jahren befristetes Einreiseverbot. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 1. März 2019 gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der von der Mitbeteiligten dagegen erhobenen Beschwerde Folge und behob den angefochtenen Bescheid ersatzlos. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. 5 Begründend erachtete es - soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung - im Rahmen der Interessenabwägung nach den Kriterien des § 9 Abs. 2 BFA-VG die Rückkehrentscheidung sowie das Einreiseverbot als unverhältnismäßig. Es verwies vor allem auf den (zuletzt rechtmäßigen) Aufenthalt der Mitbeteiligten im Bundesgebiet seit rund 20 Jahren, die seit März 2005 aufrechte Ehegemeinschaft mit einem Österreicher und die enge Beziehung zur österreichischen, am 10. Februar 2014 geborenen Tochter, die bereits durch den sechsmonatigen (durch Anrechnung der vom 16. Februar bis zum 22. August 2017 verbüßten Vorhaftzeit erfolgten) Strafvollzug traumatisiert sei und eine Angststörung erlitten habe. Dabei erscheine auch die Möglichkeit einer Kontaktpflege im Wege grenzüberschreitender (elektronischer) Kommunikationsmittel mit einem Kind dieses Alters als lebensfremd. Eine langfristige Trennung von der Mutter sei somit unzumutbar. Die Mitbeteiligte stehe zudem seit 2002 wegen einer HIV-Infektion in Behandlung und erhalte eine (komplexe) antiretrovirale Therapie, deren Fortsetzung in Nigeria - wie näher dargestellt wurde - problematisch erscheine. Sie spreche Deutsch auf Niveau B 1, sei - ebenso wie ihr Ehemann - in Vollzeit berufstätig und auch sozial integriert. Unter Berücksichtigung des langen Zurückliegens ihres früheren fremdenrechtlichen Fehlverhaltens sowie des Vorliegens lediglich einer strafgerichtlichen Verurteilung könne von einer Aufenthaltsbeendigung abgesehen werden.

Die Durchführung der von der Mitbeteiligten beantragten mündlichen Verhandlung habe aufgrund des Vorliegens der Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen können. "Zudem" seien die (eben wiedergegebenen) wesentlichen Sachverhaltselemente nach dem Akteninhalt unstrittig festgestanden.

6 Die dagegen erhobene Amtsrevision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof ein Vorverfahren durchgeführt hat, in dessen Rahmen die Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete, erweist sich als unzulässig:

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

8 Insoweit macht die Amtsrevision geltend, das BVwG habe in Bezug auf die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG eine unvertretbare grobe Fehlbeurteilung vorgenommen und zu Unrecht von der Durchführung der (von der Mitbeteiligten) beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen.

9 Zum erstgenannten Argument ist vorauszuschicken, dass der Entscheidung des BVwG eine einzelfallbezogene Beurteilung zugrunde lag, in deren Rahmen zutreffend die Kriterien des § 9 Abs. 2 BFA-VG Berücksichtigung gefunden haben. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die einzelfallbezogene Beurteilung betreffend - insbesondere - die Interessenabwägung bei einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme aber dann nicht revisibel, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde (vgl. etwa VwGH 3.7.2018, Ro 2018/21/0007, Rn. 11, und VwGH 7.3.2019, Ra 2019/21/0001, Rn. 12, mwN).

10 Dies ist hier, entgegen der Meinung in der Amtsrevision, nach der (in Rn. 5) dargestellten Argumentation des BVwG - insbesondere mit dem lang andauernden und intensiven Familienleben sowie den Mutter und Tochter im Fall eines Vollzuges der Aufenthaltsbeendigung drohenden gesundheitlichen Risiken - zu bejahen. Die hierfür maßgeblichen Sachverhaltselemente waren, worauf auch das BVwG zutreffend verwies, im Verfahren insgesamt unbestritten geblieben. Von daher bestand somit - auch am Maßstab des § 21 Abs. 7 BFA-VG - keine Pflicht für das BVwG, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

11 Diesbezüglich zeigt die Revision mit ihrem dazu erstatteten Vorbringen, das BVwG hätte sich einen persönlichen Eindruck "von der Glaubwürdigkeit" (gemeint wohl: Unglaubwürdigkeit) der Mitbeteiligten machen sowie durch die Einvernahme von Zeugen "weitere Sachverhaltselemente ermitteln können, die geeignet gewesen wären, eine anderslautende, nämlich das BFA bestätigende, Entscheidung herbeizuführen", eine Klärungsbedürftigkeit nicht konkret auf.

So unterlässt es das BFA, in der Amtsrevision darzulegen, welche konkreten tragenden Erwägungen seiner Beweiswürdigung vom BVwG nicht geteilt worden wären. Bei der Argumentation mit der "Glaubwürdigkeit" der Mitbeteiligten lässt die Amtsrevision außer Acht, dass die Sachverhaltsannahmen des BVwG auf der Aktenlage beruhen und sich das BVwG bei seiner Beweiswürdigung nicht - in Abweichung von der Beurteilung des BFA - auf die Glaubwürdigkeit der Mitbeteiligten stützte. Soweit das BFA "weitere Sachverhaltselemente" vermisst, bleibt im Dunkeln, worum es sich dabei handeln sollte. Im Übrigen wäre es am BFA gelegen, derartige Umstände schon vor Erlassung seines Bescheides vom 14. Jänner 2019 (laut Rn. 3) zu ermitteln und dann seiner Entscheidung zugrunde zu legen (vgl. VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0211, Rn. 17). 12 Die Voraussetzungen für die Abstandnahme von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung waren somit der Sache nach erfüllt. Der festgestellte, auch in der Revision nicht bestrittene Sachverhalt wurde lediglich rechtlich anders (nämlich vom BFA abweichend) gewertet. Insgesamt wird somit keine im Ergebnis unvertretbare Vorgangsweise des BVwG dargestellt. 13 Soweit die Revision erstmals damit argumentiert, die Tochter der Mitbeteiligten besitze "gemäß Art. 25 Abs. 1 lit. c der Verfassung der Bundesrepublik Nigeria auch die nigerianische Staatsbürgerschaft", sodass sich ihre Einreise und längere Aufenthalte in Nigeria als unproblematisch erwiesen, ist dies - wie die Mitbeteiligte in ihrer Revisionsbeantwortung zutreffend darlegt - schon als unzulässige Neuerung unbeachtlich. Im Übrigen wird vom BFA außer Acht gelassen, dass eine Trennung des Kindes vom Vater (bzw. alternativ von der Mutter) dem Kindeswohl widerspricht.

14 Die Revision zeigt somit insgesamt keine ihre Zulässigkeit begründende, für die Lösung des vorliegenden Falles wesentliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf, weshalb sie gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen war. 15 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 12. November 2019

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