VwGH Ra 2019/20/0274

VwGHRa 2019/20/027424.9.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, die Hofräte Mag. Eder und Dr. Schwarz, die Hofrätin Mag. Schindler sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. April 2019, W182 1421381-2/14E, betreffend Ausspruch der Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie eines Einreiseverbotes nach dem BFA-VG sowie Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem AsylG 2005 (Mitbeteiligter: C M, vertreten durch Brehm & Sahinol Rechtsanwälte OG in 1060 Wien, Linke Wienzeile 124/10), den Beschluss gefasst:

Normen

ABGB §138
BFA-VG 2014 §9
BFA-VG 2014 §9 Abs1
BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z5
FrPolG 2005 §52
MRK Art8

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019200274.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Bund hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 737,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Mutter des aus der Russischen Föderation stammenden Mitbeteiligten stellte am 23. Juni 2011 für sich und ihre vier Kinder - darunter den damals achtjährigen Mitbeteiligten - Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Sie verwies darauf, dass sich ihr Ehemann bereits in Österreich aufhalte. Zu den Fluchtgründen der Kinder verwies sie auf ihre eigenen Angaben, in denen sie sich wiederum auf die Gründe des Ehemannes bezogen hatte.

2 Mit Bescheid des (damals zuständigen) Bundesasylamtes vom 7. September 2012 wurde dem Mitbeteiligten gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. In ihrer Begründung hielt die Behörde fest, dem Vater des Mitbeteiligten sei mit Bescheid vom 7. September 2012 der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden. Daher sei dem Mitbeteiligten derselbe Schutz zu gewähren. 3 Mit Bescheid vom 19. Juli 2018 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass dem Mitbeteiligten der Status des Asylberechtigten aberkannt, ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung sowie ein auf sieben Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen und festgestellt werde, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung des Mitbeteiligten in die Russische Föderation nicht zulässig sei. Weiters legte die Behörde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. Mit einem weiteren Spruchpunkt wies die Behörde schließlich den vom Mitbeteiligten gestellten Antrag auf Ausstellung eines Konventionsreisepasses ab. 4 In ihrer Begründung nahm die Behörde betreffend die Aberkennung des Status als Asylberechtigter auf die Verurteilung des Mitbeteiligten (insbesondere) wegen des Verbrechens des mehrfachen - zum Teil schweren - Raubes zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten, wovon ein Teil von 15 Monaten bedingt nachgesehen worden war, Bezug.

5 Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ging die Behörde - in einer in sich widersprüchlichen Entscheidungsbegründung - einerseits davon aus, es lägen keine Umstände vor, wonach im Sinn des Art. 3 EMRK ein Abschiebungshindernis gegeben sei. Der Mitbeteiligte, der seine Muttersprache beherrsche, verfüge in seinem Heimatland über Verwandte und Freunde, die ihm zur Seite stehen würden. Er werde dort nicht in eine existenzbedrohende Notlage geraten. Es sei nicht das Ziel des Refoulementschutzes, "Menschen vor unangenehmen Lebenssituationen" zu schützen, "sondern einzig und allein Schutz vor exzeptionellen Lebenssituationen zu geben". Ohne nähere inhaltliche Erwägungen anzustellen und ohne sich mit dieser Einschätzung auseinanderzusetzen, führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl andererseits weiter aus, "(z)ufolge der Beweiswürdigung und den Feststellungen" werde die Abschiebung des Mitbeteiligten in seinen Herkunftsstaat "ausschließlich und nur aufgrund (seiner) Minderjährigkeit eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für (ihn) als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen, sodass der Status des subsidiären Schutzstatus nicht schon mangels Erfüllung der Voraussetzungen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG (2005) nicht zuzuerkennen" gewesen sei. Gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 sei dem Mitbeteiligten aber dennoch aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung wegen eines Verbrechens der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen. Demgemäß sei nach § 8 Abs. 3a AsylG 2005 auszusprechen, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten in sein Herkunftsland unzulässig sei. 6 Der Mitbeteiligte erhob Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, dem im Beschwerdeverfahren weitere Urkunden - insbesondere eine Stellungnahme der Bewährungshilfe sowie eine Ausfertigung eines weiteren am 14. Jänner 2019 gegen den Mitbeteiligten ergangenen Strafurteiles - vorgelegt wurden. Das Verwaltungsgericht führte im Beschwerdeverfahren eine Verhandlung durch.

7 Mit Erkenntnis vom 25. April 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde, soweit dem Mitbeteiligten mit dem Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Status des Asylberechtigen aberkannt, der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, ihm ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 nicht von Amts wegen erteilt und sein Antrag auf Ausstellung eines Konventionsreisepasses abgewiesen wurde, als unbegründet ab, wobei es den behördlichen Ausspruch über die Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz insofern abänderte, als die Nichtzuerkennung dieses Status auf § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 gestützt wurde (Spruchpunkt A) I.). Die übrigen Spruchpunkte des Bescheides vom 19. Juli 2018 hob das Bundesverwaltungsgericht auf und es sprach aus, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) auf Dauer für unzulässig erklärt und dem Mitbeteiligten gemäß § 54 Abs. 1 Z 1, § 55 Abs. 1 und § 58 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten erteilt werde (Spruchpunkt A) II.). Weiters erklärte das Verwaltungsgericht die Erhebung einer Revision für nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

8 Das Bundesverwaltungsgericht führte - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - aus, der Mitbeteiligte sei im März 2018 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens des - zum Teil versuchten - Raubes nach § 142 Abs. 1 (z.T. iVm § 15) StGB, des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 2 erster Satz StGB, des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel gemäß § 241e Abs. 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten, wobei davon 15 Monate unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden seien, rechtskräftig verurteilt worden.

9 Am 25. Juni 2018 sei er aus dem unbedingt ausgesprochenen Teil der Freiheitsstrafe "entlassen" worden.

10 Im Jänner 2019 sei er - wegen bereits kurz nach seiner Haftentlassung am 7. August 2018 begangener Straftaten - mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien wegen des Vergehens des - zum Teil versuchten - betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauches nach § 148a Abs. 1 (z.T. iVm § 15) StGB und des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 1 erster Fall StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden. Mit Beschluss vom gleichen Tag habe das Strafgericht vom Widerruf des mit dem Urteil vom 22. März 2018 ausgesprochenen bedingt nachgesehenen Teils der Freiheitsstrafe abgesehen, aber die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

11 Das Bundesverwaltungsgericht stellte - wenn auch disloziert - die strafbaren Handlungen des Mitbeteiligten im Einzelnen dar, wobei sich daraus (unter anderem) ergibt, dass er den Opfern der Raubüberfälle Faustschläge und Fußtritte versetzt sowie ein Opfer mit einer "Softgun" beschossen hatte. Das Verwaltungsgericht führte des Näheren auch die dieser Verurteilung zugrunde liegenden Tatumstände, die den Opfern zugefügten Verletzungen - Nasenbeinbruch, Abbrechen der Schneidezähne, "ausgeübte Gewalt in Form eines Kieferbruches" - sowie die vom Landesgericht für Strafsachen Wien bei der Strafbemessung als mildernd und als erschwerend gewerteten Umstände im Detail an. 12 Die Aberkennung des Status des Asylberechtigten begründete das Bundesverwaltungsgericht in seinen rechtlichen Erwägungen im Wesentlichen damit, dass im vorliegenden Fall neben dem Vorliegen der (näher genannten) Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 auch der Ausschlusstatbestand des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 erfüllt sei. Bei der Verübung eines schweren Raubes handle es sich - auch im Hinblick auf die Strafdrohung - um ein typischerweise schweres Verbrechen. Aber auch unter Berücksichtigung der konkreten Tatbegehungen hätten sich die Straftaten des Mitbeteiligten, insbesondere angesichts der besonderen Brutalität und der den Opfern teilweise zugefügten Verletzungen, keinesfalls nur abstrakt als schwer einzustufende Delikte erwiesen. Da die Delikte aufgrund der erheblichen Gewaltanwendung auch wiederholt gegen die körperliche Unversehrtheit von Personen gerichtet gewesen seien und der Mitbeteiligte bereits weniger als zwei Monate nach seiner Haftentlassung neuerlich straffällig geworden sei, sei trotz seiner Minderjährigkeit von einer von ihm ausgehenden Gemeingefahr und einem "entsprechend" überwiegenden öffentlichen Interesse auszugehen. Dies gelte umso mehr, als die Zeit des Wohlverhaltens seit der letzten Verurteilung im Jänner 2019 jedenfalls zu kurz sei, um von einer positiven Zukunftsprognose ausgehen zu können. 13 Anders als zuvor die Behörde gelangte das Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf die Frage des subsidiären Schutzes zum Ergebnis, die Rückführung des Mitbeteiligten in sein Heimatland werde nicht zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen. Er sei gesund und arbeitsfähig, habe in seinem Herkunftsstaat bis zu seinem achten Lebensjahr gelebt, sei dort sozialisiert worden, beherrsche die Landesprache und sei dort auch nicht allein. Er "verfüge" dort über seine Großmutter sowie Onkel und Tanten. Sohin werde er dort keiner lebensbedrohenden Lage ausgesetzt sein. Daran ändere seine Minderjährigkeit nichts. Diese sei vielmehr bei der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung zu berücksichtigen.

14 Im Rahmen dieser Interesseabwägung verwies das Bundesverwaltungsgericht zunächst auf den seit Juni 2011 währenden und zudem seit Zuerkennung des Status des Asylberechtigten rechtmäßigen Aufenthalt des Mitbeteiligten im Bundesgebiet. Den überwiegenden Teil seiner Schulbildung habe er in Österreich absolviert und er spreche "die deutsche Sprache auf Mittelschul-Niveau". Er habe in Österreich einen großen Freundes- und Bekanntenkreis. "Andererseits" beherrsche er die russische Sprache, habe im Herkunftsland bis zu seinem achten Lebensjahr gelebt und dort den Kindergarten und die Volksschule besucht. Zahlreiche Verwandte lebten noch in seiner Heimat. Besonders schwer wiege zu seinen Lasten die erhebliche und wiederholte Straffälligkeit. Es sei aber wiederum "deutlich zugunsten" des Mitbeteiligten zu werten, dass er mit seinen Eltern und Geschwistern, die in Österreich asylberechtigt seien, weshalb es diesen nicht zugemutet werden könne, das Familienleben im Heimatland fortzuführen, im gleichen Haushalt lebe. Dem komme noch zusätzliches Gewicht zu, weil der Mitbeteiligte als 16-jähriger noch minderjährig und dem Kindeswohl nach der Rechtsprechung ein hoher Stellenwert beizumessen sei. Das habe "im Kern" auch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl berücksichtigt, weil es die Entscheidung über die Unzulässigkeit der Abschiebung "eben gerade mit dem Kindeswohl des Minderjährigen und humanitären Ermessensgründe aufgrund der Trennung von seinen Eltern begründet" habe. Somit sei davon auszugehen, dass im vorliegenden Fall "noch" die familiären Interessen des minderjährigen Mitbeteiligten an einem Verbleib in Österreich die öffentlichen Interessen an der Vornahme einer Aufenthaltsbeendigung überwögen. Aktuell stelle sich die Erlassung einer Rückkehrentscheidung als unverhältnismäßig dar.

15 Die Erhebung einer Revision sei nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vorlägen. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich bei seinen Erwägungen auf die in seiner Entscheidung zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gestützt.

16 Gegen diese Entscheidung erhoben sowohl die vor dem Bundesverwaltungsgericht belangte Behörde als auch der Mitbeteiligte, der sich gegen die Aberkennung des Status des Asylberechtigten wendete, Revision an den Verwaltungsgerichtshof. Über die vom Mitbeteiligten erhobene Revision wurde bereits vom nach der Geschäftsverteilung des Verwaltungsgerichthofes zuständigen Senat mit Beschluss vom 28. August 2019, Ra 2019/14/0289, womit diese Revision mangels Vorliegens einer Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zurückgewiesen wurde, entschieden.

17 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

18 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

19 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 20 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wendet sich in seiner Begründung für die Zulässigkeit der Revision gegen die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG.

21 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. VwGH 10.7.2019, Ra 2019/14/0288; 10.7.2019, Ra 2019/19/0132, jeweils mwN). 22 Dieses Vertretbarkeitskalkül ist vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu sehen, wonach der Verwaltungsgerichtshof im Revisionsmodell nicht dazu berufen ist, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern - diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten. Dem Verwaltungsgerichtshof kommt im Revisionsmodell eine Leitfunktion zu. Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes ist es, im Rahmen der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (erstmals) die Grundsätze bzw. Leitlinien für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts festzulegen, welche von diesem zu beachten sind. Die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall kommt hingegen grundsätzlich dem Verwaltungsgericht zu, dem dabei in der Regel ein gewisser Anwendungsspielraum überlassen ist. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof ist nur dann unausweichlich, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. VwGH 5.7.2019, Ra 2019/01/0227, mwN).

23 Das Bundesverwaltungsgericht hat - nach Durchführung einer Verhandlung, in deren Rahmen sich dieses Gericht auch einen unmittelbaren Eindruck vom Mitbeteiligten verschafft hat (dessen Wesentlichkeit der Verwaltungsgerichtshof für nicht eindeutige Fälle in seiner Rechtsprechung stets hervorgehoben hat, vgl. statt vieler etwa VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0105; 20.12.2018, Ra 2018/21/0033, jeweils mwN) - alle für die Entscheidung maßgeblichen Umstände festgestellt und in seine Erwägungen einbezogen. Gegenteiliges wird auch in der Revision nicht behauptet.

24 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bekämpft die im Rahmen der rechtlichen Beurteilung vom Bundesverwaltungsgericht vertretene Ansicht, die Erlassung einer aufenthaltsbeenden Maßnahme erweise sich vor dem Hintergrund der familiären Bindungen des Mitbeteiligten in Österreich sowie unter Beachtung des Aspekts des Kindeswohls als unverhältnismäßig. Dem hält die revisionswerbende Behörde die strafbaren Handlungen des Mitbeteiligten und das daraus resultierende hohe öffentliche Interesse an der Hintanhaltung eines weiteren Aufenthaltes des Mitbeteiligten im Bundesgebiet entgegen. Weiters bringt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vor, das Bundesverwaltungsgericht habe nicht näher dargelegt, weshalb das Kindeswohl im konkreten Fall dazu führe, dass sich die Aufenthaltsbeendigung als unverhältnismäßig darstelle. 25 Damit zeigt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aber nicht im Sinn der oben dargestellten Rechtsprechung auf, dass das Bundesverwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet und den ihm bei der Entscheidung des Einzelfalles zuzugestehenden Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung vorgenommen hätte. 26 Das Bundesverwaltungsgericht hat im Rahmen seiner Beurteilung dem öffentlichen Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung aufgrund des strafbaren Verhaltens des Mitbeteiligten durchaus - insoweit im Einklang mit der von der Behörde vertretenen Einschätzung - hohes Gewicht zugemessen. Wenn der Mitbeteiligte in der Revisionsbeantwortung vorbringt, es habe sich bei seinen Taten um keinen bewaffneten Raub und um Jugendstraftaten gehandelt, so ist dies nicht geeignet, die vom ihm verübten strafbaren Handlungen in einem günstigeren Licht erscheinen zu lassen (vgl. in diesem Sinn schon den Mitbeteiligten betreffend VwGH 28.8.2019, Ra 2019/14/0289).

27 Es trifft aber der in der Revision pauschal erhobene Vorwurf, das Verwaltungsgericht habe nicht dargelegt, weshalb das Kindeswohl die Abstandnahme von der Erlassung der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbotes gebiete, in dieser Allgemeinheit nicht zu.

28 Zunächst hat das Bundesverwaltungsgericht darauf verwiesen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in seinem Bescheid selbst dem Kindeswohl eine solche Maßgeblichkeit eingeräumt hat, weil es die Abschiebung des Mitbeteiligten in sein Heimatland allein aufgrund seiner Minderjährigkeit für unzulässig erklärt hat. Dem ist vor dem Hintergrund der von der Behörde in ihrem Bescheid angestellten - oben dargestellten - Erwägungen zu ihrer Entscheidung betreffend die Frage der Zuerkennung von subsidiärem Schutz nicht entgegenzutreten. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat nämlich in seinen auf die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz bezogenen inhaltlichen Erwägungen (im Besonderen in Bezug auf eine drohende Verletzung des Art. 3 EMRK) verneint, dass diese gegeben wären. Dass das Bundesverwaltungsgericht davon ausging, schon die Behörde habe, weil diese ungeachtet ihrer eigenen Einschätzung zum Fehlen einer Verletzung des Art. 3 EMRK die Abschiebung des Mitbeteiligten allein aufgrund dessen Minderjährigkeit für unzulässig erklärt habe, bei ihren rechtlichen Überlegungen (allein) das Kindeswohl - das aber in der vorliegenden Situation entgegen der Ansicht der Behörde nur im Rahmen der Interessenabwägung Beachtlichkeit finden könne - als entscheidungswesentlich erachtet, stellt sich am Boden des Inhaltes des vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erlassenen Bescheides nicht nur als nachvollziehbar, sondern als zutreffend dar.

29 § 138 ABGB (samt Überschrift) lautet:

"Kindeswohl

§ 138. In allen das minderjährige Kind betreffenden Angelegenheiten, insbesondere der Obsorge und der persönlichen Kontakte, ist das Wohl des Kindes (Kindeswohl) als leitender Gesichtspunkt zu berücksichtigen und bestmöglich zu gewährleisten. Wichtige Kriterien bei der Beurteilung des Kindeswohls sind insbesondere

1. eine angemessene Versorgung, insbesondere mit Nahrung, medizinischer und sanitärer Betreuung und Wohnraum, sowie eine sorgfältige Erziehung des Kindes;

2. die Fürsorge, Geborgenheit und der Schutz der körperlichen und seelischen Integrität des Kindes;

3. die Wertschätzung und Akzeptanz des Kindes durch die Eltern;

4. die Förderung der Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes;

5. die Berücksichtigung der Meinung des Kindes in Abhängigkeit von dessen Verständnis und der Fähigkeit zur Meinungsbildung;

6. die Vermeidung der Beeinträchtigung, die das Kind durch die Um- und Durchsetzung einer Maßnahme gegen seinen Willen erleiden könnte;

7. die Vermeidung der Gefahr für das Kind, Übergriffe oder Gewalt selbst zu erleiden oder an wichtigen Bezugspersonen mitzuerleben;

8. die Vermeidung der Gefahr für das Kind, rechtswidrig verbracht oder zurückgehalten zu werden oder sonst zu Schaden zu kommen;

9. verlässliche Kontakte des Kindes zu beiden Elternteilen und wichtigen Bezugspersonen sowie sichere Bindungen des Kindes zu diesen Personen;

10. die Vermeidung von Loyalitätskonflikten und Schuldgefühlen des Kindes;

11. die Wahrung der Rechte, Ansprüche und Interessen des Kindes sowie

12. die Lebensverhältnisse des Kindes, seiner Eltern und seiner sonstigen Umgebung."

30 Dass diese Bestimmung auch im Bereich verwaltungsrechtlicher Entscheidungen, in denen auf das Kindeswohl Rücksicht zu nehmen ist, als Orientierungsmaßstab dient, hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung bereits festgehalten (vgl. etwa betreffend das in seinem § 28 Abs. 1 Z 2 ausdrücklich auf das Kindeswohl abstellende Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 VwGH 15.5.2019, Ra 2018/01/0076; in diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof betont, für die Auslegung der Wendung "wenn es dem Kindeswohl entspricht", ist "der durch das Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013, BGBl. I Nr. 15/2013, neugefasste § 138 ABGB heranzuziehen"). 31 Die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts haben wiederholt die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung zum Ausdruck gebracht (vgl. VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0034; 7.3.2019, Ra 2018/21/0141, mwN, insbesondere auch aus der Rechtsprechung des VfGH).

32 Bei einer Rückkehrentscheidung, von der Kinder bzw. Minderjährige betroffen sind, sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Rahmen der Abwägung gemäß § 9 BFA-VG "die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder", insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden (vgl. VwGH 25.4.2019, Ra 2018/22/0251, mwN). 33 Das Bundesverwaltungsgericht hat die nach der Rechtsprechung zu berücksichtigenden Umstände in seine die Interessenabwägung betreffenden Erwägungen, im Besonderen bei der Bedachtnahme auf das Kindeswohl des minderjährigen Mitbeteiligten, dessen Trennung von seiner Kernfamilie die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot zur Folge gehabt hätte, einbezogen. Es mag zutreffen, dass das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall ausführlicher hätte begründen können, weshalb es ausgehend von seinen Überlegungen zum Kindeswohl nicht von einem Überwiegen der öffentlichen Interessen gegenüber den familiären und privaten Interessen des Mitbeteiligten ausgegangen ist. Dies führt - am Boden der oben dargestellten Aufgaben des Verwaltungsgerichtshofes - fallbezogen aber nicht zu einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Rechtswidrigkeit, weil es der Revision nicht gelingt, aufzuzeigen, dass das Bundesverwaltungsgericht den ihm bei der Anwendung der in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien im Rahmen der Entscheidung über den konkreten Einzelfall eingeräumten Spielraum überschritten hätte. Dass das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung anhand der festgestellten Umstände insbesondere die in § 138 Z 4, Z 6, Z 9 und Z 12 ABGB genannten Kriterien vor Augen hatte, ist zudem fallbezogen evident, so dass insofern einem Begründungsmangel die Relevanz für den Verfahrensausgang fehlt. Inhaltlich setzt die Revision, die lediglich wiederholt auf das - wie erwähnt wegen der vom Mitbeteiligten begangenen strafbaren Handlungen unbestritten gegebene und vom Verwaltungsgericht ohnedies als hoch veranschlagte - öffentliche Interesse verweist, in Bezug auf die Frage des (von der revisionswerbenden Behörde in ihrem Verfahren noch als entscheidungswesentlich einbezogenen) Kindeswohls den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts nichts Stichhaltiges entgegen. Vielmehr räumt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in der Revision ein, dass es durch die Gestaltung seiner Entscheidungen habe erreichen wollen, dass dem Mitbeteiligten nur noch die Rechtsposition des Geduldeten im Sinn des § 46a Abs. 1 Z 2 FPG eingeräumt werde, zumal es zudem davon ausgegangen sei, es werde, solange der Mitbeteiligte noch minderjährig sei, nicht möglich sein, für ihn bei der für ihn zuständigen Vertretungsbehörde ein Heimreisezertifikat zu erlangen. 34 In Anbetracht dessen, dass die Behörde in ihrem Revisionsvorbringen zentral auf die strafbaren Handlungen des Mitbeteiligten abstellt, ist - um Missverständnisse zu vermeiden - ergänzend zu betonen, dass gemäß § 52 Abs. 11 FPG der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, nicht daran hindert, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde.

35 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 3 VwGG - in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - zurückzuweisen.

36 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Gemäß § 47 Abs. 3 VwGG haben Mitbeteiligte einen Anspruch auf Aufwandersatz im Fall der Abweisung der Revision. In Fällen, in denen die Revision nach der Vorlage an den Verwaltungsgerichtshof oder die außerordentliche Revision nach der Einleitung des Vorverfahrens zurückgewiesen oder zurückgezogen wurde, ist gemäß § 51 VwGG die Frage des Anspruches auf Aufwandersatz (§ 47 VwGG) so zu beurteilen, wie wenn die Revision abgewiesen worden wäre. Über die gegenständliche außerordentliche Revision wurde vom Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren eingeleitet. Sohin war beim vorliegenden Ergebnis dem Mitbeteiligten für die Erstattung der Revisionsbeantwortung - allerdings nur im ausdrücklich begehrten Ausmaß - Aufwandersatz zuzuerkennen.

Wien, am 24. September 2019

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