VwGH Ra 2019/20/0192

VwGHRa 2019/20/019212.8.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 4. März 2019, Zl. G308 2192677-1/16E, betreffend Zurückverweisung nach dem VwGVG in Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: G A S), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs3
VwGVG 2014 §28 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019200192.L00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger des Irak, stellte am 27. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Bei der niederschriftlichen Einvernahme des Mitbeteiligten vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 7. Juni 2017 gab der Mitbeteiligte zu seinen Fluchtgründen zusammengefasst an, er sei als Automechaniker beim irakischen Militär gewesen, sei von den Vorfällen rund um das Massaker des IS bei Camp Speicher im Jahr 2014 betroffen gewesen und habe sich unerlaubt vom Dienst entfernt, sodass ihm bei einer Rückkehr eine Gefängnisstrafe drohe und ihn die schiitischen Milizen verfolgen würden.

3 Das BFA wies den Antrag des Mitbeteiligten mit Bescheid vom 15. März 2018 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt werde, erließ gegen den Mitbeteiligten eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei und erließ ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkte I. bis VI.). Gleichzeitig erkannte das BFA einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VII.), setzte keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VIII.) und sprach aus, dass der Mitbeteiligte ab dem 27. Februar 2017 das Recht zum Aufenthalt verloren habe (Spruchpunkt IX.).

4 Dagegen erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

5 Mit Teilerkenntnis vom 10. August 2018 hob das BVwG den Spruchpunkt VII. des Bescheides, mit dem einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde, ersatzlos auf und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6 In Erledigung der Beschwerde hob das BVwG den Bescheid des BFA mit Beschluss vom 4. März 2019 zur Gänze auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück. Unter einem sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7 In seiner Begründung führte das BVwG aus, das vom BFA durchgeführte Ermittlungsverfahren erweise sich in wesentlichen Punkten als mangelhaft bzw. sei in wesentlichen Punkten gar kein Ermittlungsverfahren durchgeführt worden. Das BFA hätte für eine mögliche Beurteilung des Sachverhaltes den Mitbeteiligten noch einmal einvernehmen müssen. Weiters habe es das BFA unterlassen, dem Bescheid relevante Länderberichte zugrunde zu legen und den Sachverhalt bezüglich des Fluchtvorbringens zu erheben. Ebenso wenig habe es aktuelle Feststellungen zum Privat- und Familienleben des Mitbeteiligten getroffen, zumal die einzige Einvernahme über acht Monate vor Erlassung des Bescheides stattgefunden habe. Zuletzt sei dem Mitbeteiligten keine Möglichkeit zur Stellungnahme zum gegen ihn erlassenen Einreiseverbot zugekommen und es fänden sich im Bescheid keinerlei, auf den konkreten Fall bezogene Ausführungen darüber, weshalb das Einreiseverbot in der Dauer von fünf Jahren als gerechtfertigt erscheine.

8 Der Verwaltungsgerichtshof erklärte mit Beschluss vom 12. April 2019, Zl. Ro 2018/18/0007, die gegen das Teilerkenntnis vom 10. August 2018 erhobene Amtsrevision als gegenstandslos geworden und stellte das Verfahren ein.

9 Gegen den Beschluss des BVwG vom 4. März 2019 richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des BFA.

10 In der Revision wird zur Zulässigkeit vorgebracht, die vom BVwG angenommenen Mängel könnten die Zurückverweisung schon deshalb nicht tragen, weil sie keine krassen oder besonders gravierenden Ermittlungsmängel im Sinn der hg. Rechtsprechung darstellen würden. Da das BVwG die Zurückverweisung lediglich darauf stütze, dass der Bescheid des BFA Mängel in Bezug auf Parteiengehör, Beweiswürdigung, Art. 8 EMRK-Abwägung und Gefährdungsprognose aufweise, ohne aufzuzeigen, welche Sachverhaltsfeststellungen zu treffen wären bzw. fehlen würden, weiche es von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Das BVwG hätte die fehlenden Feststellungen zur Verurteilung des Mitbeteiligten im Interesse der Raschheit selbst treffen müssen. Selbst wenn man davon ausginge, dass das BVwG nicht schon gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG zu einer Sachentscheidung verpflichtet gewesen wäre, lägen aber jedenfalls die Voraussetzungen für eine Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht vor. Um eine zurückverweisende Entscheidung darauf gründen zu können, bedürfe es entsprechender Feststellungen durch das BVwG, auf deren Basis diese Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 VwGVG als gegeben angenommen werden könnten. Derartiges sei vom BVwG nicht dargelegt worden, da es lediglich im Hinblick auf das den Verurteilungen des Mitbeteiligten zugrunde liegende Fehlverhalten Ermittlungsmängel des BFA konkret aufgezeigt habe.

 

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

12 Die Revision ist im Hinblick auf das oben angeführte Vorbringen zulässig und auch berechtigt.

13 Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Gemäß § 28 Abs. 3 erster Satz leg. cit. hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.

14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. zu alldem VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314, mwN).

15 Nach dieser Rechtsprechung kann eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht darauf gestützt werden, dass die Behörde das Parteiengehör verletzt habe. Eine allfällige Verletzung des Parteiengehörs durch die erste Instanz ist nämlich dann als saniert anzusehen, wenn die Partei Gelegenheit gehabt hat, zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens im Rechtsmittel gegen den (eine ausreichende Darstellung der Beweisergebnisse enthaltenden) erstinstanzlichen Bescheid Stellung zu nehmen (vgl. VwGH 27.12.2018, Ra 2015/08/0095, mwN). Zudem geht aus dem Verwaltungsakt hervor, dass der Mitbeteiligte am 7. Juni 2017 zu seinen Fluchtgründen einvernommen und mit Schreiben des BFA vom 22. November 2017 aufgefordert wurde, zu seinem Privat- und Familienleben sowie zu den Länderinformationen zum Irak Stellung zu nehmen, wobei eine Stellungnahme nicht erfolgt ist. 16 Die vom BVwG gerügten Feststellungsmängel hätte es durch (bloß) ergänzende Ermittlungen - allenfalls unter Inanspruchnahme der Staatendokumentation - selbst beheben und damit zu einer raschen meritorischen Entscheidung beitragen können (vgl. VwGH 6.9.2018, Ra 2018/18/0115).

17 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch wiederholt hervorgehoben, dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung zu vervollständigen sind (vgl. VwGH 5.10.2016, Ra 2016/19/0208, mwN). 18 Soweit das BVwG weiters festhält, dass die zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegende strafgerichtliche Verurteilung in der Prognosebeurteilung keine Berücksichtigung gefunden habe, so übersieht es, dass das BFA die Verurteilung im Rahmen der Gefährdungsprognose auf den Seiten 93 ff des Bescheides berücksichtigt und die Dauer des verhängten Einreiseverbotes auch begründet hat.

19 Die vom BVwG aufgezeigten Mängel des verwaltungsbehördlichen Verfahrens sind sowohl für sich betrachtet als auch in Kombination nicht ausreichend, um eine Aufhebung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu rechtfertigen. Angesichts der getätigten Ermittlungen des BFA kann nicht davon gesprochen werden, dass das BFA jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hätte. Krasse bzw. gravierende Ermittlungslücken im Sinne der dargestellten hg. Judikatur liegen daher fallbezogen nicht vor. Die aufgezeigten Schwächen des Bescheides hätte das BVwG durch (bloß) ergänzende Ermittlungen somit beheben können.

20 Nach dem Gesagten hat das BVwG hinsichtlich der Voraussetzungen für eine auf § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG gestützte Behebung des Bescheides und Zurückverweisung der Rechtssache an die Behörde die Rechtslage verkannt. Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Wien, am 12. August 2019

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