VwGH Ra 2019/18/0396

VwGHRa 2019/18/039614.10.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M K, vertreten durch Mag. Hubert Wagner, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Wattmanngasse 8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. August 2019, Zl. W125 2206852- 1/15E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
MRK Art8

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180396.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und stellte am 25. März 2015 den ersten Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen mit Bescheid vom 24. Juni 2015 als unzulässig zurück und sprach aus, dass Litauen für die Prüfung des Antrags zuständig sei. Es ordnete die Außerlandesbringung des Revisionswerbers an und stellte fest, dass dessen Abschiebung nach Litauen zulässig sei. Mit rechtskräftigem Erkenntnis vom 3. November 2015 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde ab. Die Trennung von seiner in Österreich asylberechtigten Lebensgefährtin und dem ersten gemeinsamen Kind erachtete es dabei für zulässig.

3 Der Revisionswerber wurde im Dezember 2015 nach Litauen abgeschoben, wo er ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz stellte, welcher abgewiesen wurde. Am 26. April 2016 stellte er daraufhin einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Am 30. August 2016 schloss der Revisionswerber die Ehe mit seiner bisherigen Lebensgefährtin, einer in Österreich asylberechtigten Staatsangehörigen der Russischen Föderation. Das zweite gemeinsame Kind kam am 17. August 2016 zur Welt. Den zweiten Antrag wies das BFA mit Bescheid vom 10. Februar 2017 unter Ausspruch der Zuständigkeit Litauens zurück, zugleich ordnete es die Außerlandesbringung an und stellte fest, dass die Abschiebung nach Litauen zulässig sei. Die Trennung von seiner Ehegattin und den nunmehr zwei gemeinsamen Kindern sei zulässig.

4 Nach der erneuten Abschiebung nach Litauen im Dezember 2016 wurde er von dort aus - nach Zurückziehung eines weiteren Antrags auf internationalen Schutz in Litauen - im Jänner 2017 in die Russische Föderation abgeschoben.

5 Die gegen den zweiten Bescheid des BFA erhobene Beschwerde wurde vom BVwG mit Erkenntnis vom 18. April 2017 als unbegründet abgewiesen.

6 Am 17. Oktober 2017 stellte der Revisionswerber den gegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz, welchen er zusammengefasst damit begründete, dass er in seinem Heimatstaat aufgrund seines Vollbarts, so wie ihn auch der Prophet Mohammed getragen habe, von Anhängern Kadirovs verfolgt werde. Zudem gebe es in Tschetschenien keine Menschenrechte, und seine Familie lebe in Österreich.

7 Mit Bescheid vom 31. August 2018 wies das BFA den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte es mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

8 Am 26. November 2018 kam das dritte Kind des Revisionswerbers und seiner Ehegattin in Österreich zur Welt. 9 Die gegen den Bescheid vom 31. August 2018 erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis - nach Durchführung einer Verhandlung - als unbegründet ab. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig. 10 Begründend führte das Gericht - zusammengefasst - aus, der Revisionswerber habe kein asylrelevantes Fluchtvorbringen glaubhaft machen können. Dass er nur aufgrund seines Vollbarts einer Verfolgung ausgesetzt wäre, sei unplausibel, insbesondere weil er Sympathien für radikale Sichtweisen des Islam explizit verneint habe. Alternativ stehe dem Revisionswerber zudem eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Moskau, Rostow oder Stawropol offen. Auch eine reale Gefahr einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung drohe dem Revisionswerber in der Russischen Föderation nicht. Zur Rückkehrentscheidung hielt das BVwG fest, dass aufgrund des Umstands, dass sowohl die Ehefrau des Revisionswerbers als auch die drei gemeinsamen, minderjährigen Kinder im Bundesgebiet lebten, zweifelsfrei ein Familienleben vorliege, jedoch ein Eingriff in dieses zulässig sei. Dies begründete das BVwG damit, dass sich der Revisionswerber bereits bei der Geburt des ersten gemeinsamen Kindes im Jahr 2015 seines unsicheren Aufenthalts bewusst sein habe müssen. In der Folge seien seine beiden in Österreich gestellten Anträge auf internationalen Schutz jeweils zurückgewiesen, und der Revisionswerber zwei Mal nach Litauen überstellt worden. Umso mehr habe er sich daher der bloß vorübergehenden Natur seines Aufenthalts bewusst sein müssen, habe aber dennoch einen dritten Antrag auf internationalen Schutz gestellt und sei nunmehr Vater dreier Kinder. Die vorübergehende Trennung des Revisionswerbers von seiner Familie sei auch vor dem Hintergrund als zulässig zu erachten, dass seine Ehefrau und Kinder bereits im Vorfeld zeitweise - aufgrund der Ausweisungen des Revisionswerbers - auf sich allein gestellt gewesen seien, was dem Revisionswerber bei der Begründung des Familienlebens auch bewusst gewesen sei. Es stehe dem Revisionswerber weiterhin offen, bei Erfüllung der aufenthaltsrechtlichen Regelungen des Fremdenpolizeigesetzes (FPG) und des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) ins Bundesgebiet zurückzukehren, und er habe sowohl die Möglichkeit, den Kontakt zu seiner Familie mittels elektronischer Medien aufrecht zu erhalten, als auch jene, seine Familie in einem benachbarten Drittstaat wie etwa der Ukraine zu treffen. Auch ein Eingriff in das Privatleben des Revisionswerbers sei zulässig, weil er sich mit einer Aufenthaltsdauer von drei Jahren und neun Monaten erst relativ kurz im Bundesgebiet aufhalte und während dieser Zeit keine nachhaltigen Integrationsbemühungen - wie etwa eine Erwerbstätigkeit, den Besuch eines Deutschkurses oder das Knüpfen enger sozialer Bindungen - gezeigt habe.

11 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit geltend gemacht wird, das BVwG weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, indem es das nachvollziehbare und identisch gebliebene Fluchtvorbringen des Revisionswerbers als unglaubhaft beurteilte. Zudem hätte die im Rahmen der Rückkehrentscheidung getroffene Interessenabwägung zu Gunsten des Revisionswerbers ausfallen müssen, weil er sich integriert habe und ein intaktes Familienleben führe.

12 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

13 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 15 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 16 Soweit die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen die Beweiswürdigung des BVwG angreift, vermag sie nicht aufzuzeigen, dass diese an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit leidet (vgl. VwGH 20.8.2019, Ra 2019/18/0288, mwN). Im Übrigen gelingt es der Revision auch nicht, der - bereits für sich tragfähigen - Alternativbegründung, wonach dem Revisionswerber eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative offenstehe, Konkretes entgegenzuhalten. 17 Soweit die Revision betreffend die Rückkehrentscheidung die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK rügt, ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (VwGH 3.4.2019, Ra 2019/18/0030).

18 Im gegenständlichen Fall bejahte das BVwG aufgrund der Ehe des Revisionswerbers mit einer in Österreich asylberechtigten Staatsangehörigen der Russischen Föderation und ihren gemeinsamen drei Kindern das Vorliegen eines Familienlebens nach Art. 8 EMRK und begründete im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung, warum diese dennoch zu Ungunsten des Revisionswerbers ausfiel. Dabei setzte sich das BVwG auch mit der Frage der Möglichkeiten der Aufrechterhaltung des Familienlebens außerhalb von Österreich eingehend auseinander. Es hat dabei zutreffend auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, wonach bei der Gewichtung der für den Fremden sprechenden Umstände im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend einbezogen werden darf, dass er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Diese Überlegungen gelten insbesondere auch für eine Eheschließung mit einer in Österreich aufenthaltsberechtigten Person, wenn dem Fremden zum Zeitpunkt des Eingehens der Ehe die Unsicherheit eines gemeinsamen Familienlebens in Österreich in evidenter Weise klar sein musste (vgl. VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0683, mwN).

19 Dass diese in Zusammenhang mit Art. 8 EMRK durch das BVwG vorgenommene, ausführliche Interessenabwägung unvertretbar sei, ist der Revision mit ihren pauschalen Ausführungen indessen nicht gelungen aufzuzeigen.

20 Sofern in der Revision diesbezüglich auf ein enges soziales Netzwerk, die Mitgliedschaft in Vereinen und eine ehrenamtliche Tätigkeit des Revisionswerbers hingewiesen wird, ist dem entgegen zu halten, dass dieses Vorbringen erstmals im Revisionsverfahren erstattet wurde und daher dem aus § 41 Abs. 1 VwGG abgeleiteten Neuerungsverbot unterliegt.

21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 14. Oktober 2019

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