VwGH Ra 2019/17/0089

VwGHRa 2019/17/008912.11.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und die Hofrätinnen Mag. Dr. Zehetner sowie Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des C M in W, vertreten durch Mag. Rainer Hochstöger, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Breitwiesergutstraße 10, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 9. Juli 2019, RM/7100011/2018, betreffend Maßnahmenbeschwerde in einer Angelegenheit nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt Wien 2/20/21/22), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2
AVG §45 Abs3
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §24
VwGVG 2014 §24 Abs1
VwGVG 2014 §24 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019170089.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Schriftsatz vom 21. August 2018 erhob der Revisionswerber Maßnahmenbeschwerde an das Bundesfinanzgericht (BFG) wegen eines behaupteten tätlichen Angriffs eines Polizeiorgans (WEGA) gegen den Revisionswerber anlässlich einer am 11. Juli 2018 vom Finanzamt Wien 2/20/21/22 durchgeführten Kontrolle nach dem Glücksspielgesetz (GSpG). Er beantragte (unter anderem) die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG. Begründend führte der Revisionswerber aus, ein Polizeiorgan der WEGA habe ihm im Zuge der Kontrolle einen Schlag gegen den Kopf/Halsbereich versetzt und ihn sodann einige Sekunden gewürgt.

2 Die belangte Behörde erstattete - nach Aufforderung durch das BFG - eine Stellungnahme samt Anlagen; der Revisionswerber replizierte und führte aus, dass sämtliche Zeugenaussagen bestritten würden, sofern diese mit dem eigenen Vorbringen in Widerspruch stünden. Weiters übermittelte der Revisionswerber dem BFG in diesem Schriftsatz einen Link zu einem den Vorfall betreffenden Video und gab an, er verzichte - sofern das Gericht das Video gesichtet und dessen wesentliche Bestandteile als Sachverhalt festgestellt habe - ausdrücklich auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BFG die Maßnahmenbeschwerde - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Das BFG stellte fest, dass die Organe der WEGA und der Finanzpolizei den Revisionswerber im Zuge der Kontrolle im Lokal angetroffen hätten, wobei es auch zu einem körperlichen Kontakt gekommen sei. Für das BFG sei dieser erhebliche Sachverhalt durch die Darstellung der belangten Behörde, die Zeugenaussagen des Revisionswerbers sowie der involvierten Amtsorgane im Ermittlungsverfahren der Landespolizeidirektion geklärt worden:

Der behauptete tätliche Angriff gegen den Revisionswerber habe nicht vorgelegen und es habe keine rechtswidrige Handlung der beteiligten Amtsorgane gegeben. Das Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG begründete das BFG damit, dass der Sachverhalt aufgrund der Aktenlage und der vorliegenden Schriftsätze als vollständig zu beurteilen und dieser Sachverhalt im Verfahren nicht substantiiert bestritten worden sei. 4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

5 1. § 24 VwGVG lautet:

"Verhandlung

§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist oder

  1. 2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist;
  2. 3. wenn die Rechtssache durch einen Rechtspfleger erledigt

    wird.

(3) Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.

(5) Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden."

6 2. Die Revision ist - im Hinblick auf den im Verfahren unterlaufenen relevanten Verfahrensmangel, auf den die Revision hinweist - zulässig und berechtigt.

7 3.1. Nach der hg. Rechtsprechung lassen die Akten im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG erkennen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, wenn von vornherein absehbar ist, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann, wenn also die Voraussetzungen hinsichtlich der Klärung des Sachverhaltes gegeben sind und auch keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, für die eine Erörterung in einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erforderlich wäre. Bei konkretem sachverhaltsbezogenem Vorbingen des Revisionswerbers vor dem Verwaltungsgericht ist eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. VwGH 14.12.2017, Ra 2015/07/0126, mwN).

8 Gerade im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen gehört es jedoch zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem in § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sich als Gericht einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen. Steht der Aufnahme eines unmittelbaren Beweises kein tatsächliches Hindernis entgegen, darf sich das Verwaltungsgericht nicht mit einem mittelbaren Beweis zufrieden geben. Die Unmittelbarkeit in Hinblick auf die Aussage eines Zeugen (bzw. einer Partei) verlangt damit dessen Einvernahme vor dem erkennenden Verwaltungsgericht. Bei widersprüchlichen Zeugenaussagen ist es zur Wahrheitsfindung erforderlich, in konkreter Fragestellung die jeweiligen Aussagen des einen Zeugen den eine gegenteilige Position einnehmenden anderen Zeugen vorzuhalten (vgl. zum Ganzen VwGH 30.1.2019, Ra 2018/03/0131, mwN). Dies gilt im gleichen Maße für die jeweiligen Aussagen der Partei selbst.

9 3.2. Diesen Vorgaben hat das BFG jedoch - wie die Revision zutreffend aufzeigt - nicht entsprochen, weil es trotz widersprechender Angaben der Partei und der Amtsorgane zum behaupteten Schlag gegen den Kopf/Halsbereich den maßgeblichen - strittigen - Sachverhalt ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung feststellte und eine Beweiswürdigung durchführte, ohne die beteiligten Personen unmittelbar gehört zu haben. 10 Das zur Amtswegigkeit verpflichtete Verwaltungsgericht hat damit insbesondere dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Aufnahme der erforderlichen Beweise nicht entsprochen und sich derart auch keinen unmittelbaren Eindruck von dem Revisionswerber bzw. dessen Glaubwürdigkeit verschafft (vgl. VwGH 24.9.2019, Ra 2019/03/0055). 11 3.3. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Verwaltungsgericht bei Einhaltung der verletzten Verfahrensvorschriften zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

12 4. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. 13 5. Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 12. November 2019

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