VwGH Ra 2019/08/0032

VwGHRa 2019/08/003225.4.2019



Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des D J in H, vertreten durch Dr. Georg Lehner, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Südtirolerstraße 12a, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31. Juli 2018, Zl. W198 2189946- 1/2E, betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG und dem AlVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Wiener Gebietskrankenkasse in 1030 Wien, Wienerbergstraße 15-19; mitbeteiligte Parteien: 1. R B, Wien, 2. Pensionsversicherungsansta lt in 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 3. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in 1201 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65-67; weitere Partei: Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2
VwGVG 2014 §25

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019080032.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Wiener Gebietskrankenkasse hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass der Erstmitbeteiligte auf Grund seiner Tätigkeit bei der revisionswerbenden Partei in der Zeit vom 4. Juli 2012 bis 30. November 2013 gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 ASVG der Pflichtversicherung in der Kranken-, Pensions- und Unfallversicherung sowie gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG der Arbeitslosenversicherung unterlag. Der Erstmitbeteiligte habe seine Tätigkeit für die revisionswerbende Partei in persönlicher Abhängigkeit als Dienstnehmer erbracht. Die Sachverhaltsfeststellungen hätten unmittelbar auf Grund der Aktenlage getroffen werden können. Sie würden sich insbesondere auf die Ermittlungen der Finanzpolizei, den Strafantrag, die vom Erstmitbeteiligten ausgestellten Rechnungen sowie den Prüfbericht gründen. Die konkrete Ausgestaltung der Tätigkeit des Erstmitbeteiligten würde sich aus seinen am 27. August 2014 gegenüber der belangten Behörde getätigten Ausführungen sowie aus seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 29. September 2014 ergeben. Dem Beschwerdevorbringen, wonach der Vernehmung des Erstmitbeteiligten ein Dolmetscher hätte beigezogen werden müssen, sei entgegen zu halten, dass eine Person, die (angeblich) selbständig werbend am Markt aufgetreten sei, der deutschen Sprache zumindest in dem Ausmaß mächtig sein müsse, um grundlegende Fragen zu ihrer beruflichen Tätigkeit verstehen und beantworten zu können. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG Abstand genommen werden können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlange in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine und eine mündliche Erörterung die weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lasse. 2 Gegen dieses Erkenntnis hat die revisionswerbende Partei Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben. Dieser hat mit Beschluss vom 4. Dezember 2018, E 3697/2018, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese über nachträglichen Antrag dem Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 20. Dezember 2018 zur Entscheidung abgetreten. Gegen das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes richtet sich die außerordentliche Revision. Die mitbeteiligten Parteien haben keine Revisionsbeantwortung erstattet.

 

3 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

4 Die revisionswerbende Partei bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, sie habe die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt sowie Beweisanträge gestellt. (Aus der im Verwaltungsakt erliegenden Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid der belangten Behörde ergibt sich, dass der Revisionswerber die Richtigkeit der schriftlichen Angaben der Erstmitbeteiligten bestritten hat. Dieser sei der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig gewesen, um die an ihn gestellten Fragen verstehen zu können. Der Erstmitbeteiligte habe die Zustelldienste als selbständiger Unternehmer erbracht.)

5 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

6 In Ansehung dessen, dass die revisionswerbende Partei die Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch das Verwaltungsgericht beantragt hat, durfte das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG von der Verhandlung nur dann absehen, wenn die Akten erkennen hätten lassen, dass durch die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstanden.

7 Es gibt im vorliegenden Fall, in dem "civil-rights" zu beurteilen sind und eine Beschäftigung des Erstmitbeteiligten in persönlicher Abhängigkeit konkret bestritten worden ist, keinen Hinweis darauf, dass von vornherein angenommen werden könnte, die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung werde nichts zur Klärung der Rechtssache beitragen. Es gehört gerade im Fall zu klärender bzw. widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichtes, dem auch im § 25 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen, um sich als Gericht einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen. Ist eine Verhandlung nach Art. 6 EMRK geboten, dann ist eine Prüfung der Relevanz des Verfahrensmangels der Unterlassung einer solchen Verhandlung nicht durchzuführen (vgl. VwGH 14.6.2017, Ra 2017/08/0009, mwN).

8 Da die Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung auf einer Verkennung der Vorgaben des § 24 VwGVG beruhte, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

9 Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 25. April 2019

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