European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019050044.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.
4 Nach ständiger hg. Judikatur hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nur im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. Darin ist konkret auf die vorliegende Rechtssache bezogen aufzuzeigen, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung über die Revision zu lösen hätte. Dieser ist weder verpflichtet, Gründe für die Zulässigkeit einer Revision anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit einer Revision hätten führen können, aufzugreifen (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 2.8.2018, Ra 2018/05/0158, mwN).
5 Mit Bescheid der Vizebürgermeisterin der Gemeinde S. vom 21. Februar 2018 wurde der Antrag des Revisionswerbers vom 15. Oktober 2015 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen einen (näher bezeichneten) baubehördlichen Bescheid abgewiesen, wogegen der Revisionswerber Berufung erhob. Diese wurde mit Bescheid des Gemeindevorstandes der Gemeinde S. vom 4. September 2018 gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 und Abs. 4 iVm § 63 Abs. 5 AVG abgewiesen. 6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde (unter Spruchpunkt 1.) die von der Revisionswerberin gegen diesen Berufungsbescheid erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen und (unter Spruchpunkt 2.) eine ordentliche Revision für unzulässig erklärt.
7 Die Revision bringt in ihrer Zulässigkeitsbegründung (§ 28 Abs. 3 VwGG) im Wesentlichen vor, dass bisher zur Frage, ob auch eine Kontrollpflicht des Rechtsanwaltes für einen langjährig verlässlich tätigen, geprüften, eintragungsfähigen Rechtsanwaltsanwärter, der lediglich formal eine Stellung als Rechtsanwaltsanwärter habe, und zur Frage, wie ein minderer Grad des Versehens eines derartigen Rechtsanwaltsanwärters im Rahmen der Wiedereinsetzung zu behandeln sei, eine hg. Rechtsprechung fehle. Die im vorliegenden Fall (gemeint: mit der gegenständlichen baurechtlichen Angelegenheit) betraute Rechtsanwaltsanwärterin sei lediglich formal Rechtsanwaltsanwärterin und arbeite in der Kanzlei der Rechtsvertreterin des Revisionswerbers seit April 2005. Sie habe im Juni 2008 die Rechtsanwaltsprüfung abgelegt und sei seit zumindest 2009 in die Liste der Rechtsanwälte eintragungsfähig. Sie sei fertig ausgebildet und fähig, selbstständig zu arbeiten. Grundsätzlich sei sie in ihrer Erfahrung und ihrer Ausbildung einem Rechtsanwalt gleichzustellen. Die im angefochtenen Erkenntnis zitierten Entscheidungen hätten ganz anders gelagerte Fälle zum Inhalt, weil in diesen Fällen die Rechtsanwaltsanwärter alle in Ausbildung gewesen seien, die Rechtsanwaltsprüfung noch nicht abgelegt hätten und noch nicht eintragungsfähig gewesen seien, weshalb sie auch nicht auf eine derart lange Erfahrungspraxis hätten zurückgreifen können wie die gegenständliche Rechtsanwaltsanwärterin. Es stelle sich daher die Frage, ob bei einer derartigen Fallkonstellation den Rechtsanwalt noch eine Überwachungspflicht treffe oder ob nicht ein derartiger Rechtsanwaltsanwärter wie ein Substitut oder Rechtsanwalt zu behandeln sei.
8 Mit diesem Vorbringen werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme:
9 Nach ständiger hg. Judikatur stellt ein dem Vertreter widerfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt. Das Verschulden von Kanzleikräften stellt für den Vertreter dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis dar, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleikräften nachgekommen ist. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 22.3.2018, Ra 2018/01/0107, mwN).
10 Die Frage, ob das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) fallbezogen zu Recht das Vorliegen eines minderen Grades des Versehens verneint hat, ist grundsätzlich keine Rechtsfrage, der über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zukommt. Eine solche Rechtsfrage läge nur dann vor, wenn die Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. zum Ganzen nochmals VwGH 22.3.2018, Ra 2018/01/0107, mwN).
11 Es entspricht der ständigen hg. Judikatur, dass ein berufsmäßiger Parteienvertreter die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten hat, dass auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen, etwa die fristgerechte Einbringung von Rechtsmitteln, gesichert erscheint, wobei durch entsprechende Kontrollen u.a. dafür vorzusorgen ist, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Was der Wiedereinsetzungswerber in Erfüllung seiner nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht vorgenommen hat, hat er im Wiedereinsetzungsantrag substantiiert zu behaupten. Wenn allerdings in keiner Weise dargelegt wird, wie das diesbezügliche Kontrollsystem eingerichtet ist, kann von einer Organisation des Kanzleibetriebes, die eine fristgerechte Setzung von Vertretungshandlungen mit größtmöglicher Zuverlässigkeit sicherstellt, und von einer wirksamen Überwachung keine Rede sein. Fehlt es an einem diesbezüglichen Vorbringen, liegt jedenfalls kein bloß minderer Grad des Versehens vor (vgl. aus der ständigen hg. Judikatur etwa VwGH 19.9.2017, Ra 2017/20/0102, mwN). 12 So hat der Verwaltungsgerichtshof etwa in einem Fall, in dem der Wiedereinsetzungswerber behauptet hatte, dass die immer zuverlässige und erfahrene Konzipientin (mit Rechtsanwaltsprüfung) des ihn vertretenden Rechtsanwaltes eine Frist einmalig nicht vermerkt habe und eine Nachkontrolle durch den Rechtsanwalt unter Berücksichtigung des Ausbildungsstandes der Konzipientin für die richtige Kalendierung einer Frist nicht erforderlich gewesen sei, ausgeführt, dass der Vertreter auch dann gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht (Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleikräften) verstößt, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Fall des Versagens einer Kanzleikraft Fristversäumungen auszuschließen geeignet sind (vgl. dazu VwGH 20.1.2016, Ra 2015/04/0098, mwN). 13 Im vorliegenden Fall handelt es sich nach dem Vorbringen des Revisionswerbers bei der Konzipientin seines Rechtsvertreters, auch wenn diese aufgrund der vor Jahren abgelegten Rechtsanwaltsprüfung längst als selbstständige Rechtsanwältin in die Liste der Rechtsanwälte eintragungsfähig wäre, um dessen Angestellte, hinsichtlich deren Tätigkeit ein (wirksames) Kontrollsystem vorzusehen ist. Den Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis, dass - mangels entsprechender Ausführungen im Wiedereinsetzungsantrag - kein Hinweis darauf vorliege, dass der Rechtsvertreter ein solches (wirksames) Kontrollsystem für die Einhaltung von Fristen eingerichtet habe, tritt die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung nicht entgegen. Im Hinblick darauf kann nicht davon gesprochen werden, dass das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis die Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise getroffen habe, sodass die Revision mit dem oben wiedergegebenen Vorbringen keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufwirft.
14 Eine solche Rechtsfrage stellt auch nicht die in der Zulässigkeitsbegründung der Revision gestellte weitere Frage, ob eine Vizebürgermeisterin einen Bescheid ohne Hinweis darauf ausfertigen dürfe, dass sie in Vertretung des Bürgermeisters agiere, dar. Dieses Vorbringen zielt offenbar darauf ab, dass der erstinstanzliche Bescheid vom 21. Februar 2018 von der Vizebürgermeisterin der Gemeinde S. erlassen wurde. 15 Nach der hg. Judikatur (vgl. etwa VwGH 12.12.2017, Ra 2016/05/0065, mwN) ist anhand des äußeren Erscheinungsbildes einer behördlichen Erledigung, also insbesondere anhand des Kopfes, Spruches, der Begründung, der Fertigungsklausel und der Rechtsmittelbelehrung, also nach objektiven Gesichtspunkten, zu beurteilen, ob diese Erledigung einer bestimmten Behörde bzw. welcher Behörde sie zuzurechnen ist. Ergibt sich aus der erstinstanzlichen Entscheidung eindeutig, dass der Vizebürgermeister als Baubehörde erster Instanz eingeschritten ist, so ist die Erledigung - weil gemäß § 2 Abs. 1 NÖ Bauordnung 2014 Baubehörde erster Instanz (außer im Fall einer Stadt mit eigenem Statut) der Bürgermeister ist und § 27 Abs. 1 NÖ Gemeindeordnung 1973 vorsieht, dass der Vizebürgermeister den Bürgermeister im Falle dessen Verhinderung vertritt - die Erledigung des Vizebürgermeisters dem Bürgermeister zuzurechnen (vgl. zum Ganzen nochmals VwGH 12.12.2017, Ra 2016/05/0065, mwN). Im genannten Bescheid vom 21. Februar 2018 wurde einleitend ausdrücklich darauf hingewiesen, dass "die Baubehörde als I. Instanz (Vizebürgermeisterin ...)" der Gemeinde S. über den Wiedereinsetzungsantrag des Revisionswerbers entscheide, sodass keine Zweifel bestehen können, dass dieser Bescheid dem Bürgermeister der Gemeinde S. zuzurechnen ist.
16 Die Revision war daher, weil darin keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt werden, gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 27. Februar 2019
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