Normen
B-VG Art130 Abs1 Z2
B-VG Art132 Abs2
SPG RichtlinienV 1993 §6 Abs1 Z2
SPG 1991 §35
VwGG §28 Abs1 Z4
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2019010310.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die revisionswerbende Partei hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde den „beiden Beschwerden“ des Revisionswerbers wegen Verletzung in subjektiven Rechten infolge Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls‑ und Zwangsgewalt durch Identitätsfeststellung gemäß § 35 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) stattgegeben und wurden die beiden am 9. September 2017 gegen 17:00 Uhr und gegen 17:50 Uhr im Bereich des K‑Berges durch Organe der Landespolizeidirektion Wien (LPD) gemäß § 35 SPG erfolgten Feststellungen der Identität des Revisionswerbers als rechtswidrig erklärt (Spruchpunkt I.). Die Beschwerde wegen Verletzung in subjektiven Rechten infolge Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls‑ und Zwangsgewalt durch Hinderung am Fotografieren (Handgesten, In‑den‑Weg‑Stellen und Ausspruch eines Verbotes) wurde als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt II.). Weiters wurden die „sieben Beschwerden“ wegen Verletzung von Richtlinien als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass im Zuge „der drei in beschwerdegezogenen Amtshandlungen“ am 9. September 2017 im Bereich des K‑Berges folgende Richtlinien gemäß Richtlinien‑Verordnung ‑ RLV nicht verletzt worden seien: „gegen 17:00 Uhr am Parkplatz [...] die Richtlinien gemäß §§ 6 Abs. 1 Z 2, 9 Abs. 1 und 3 und 10 Abs. 1 und 2 RLV (Bekanntgabe des Zweckes des Einschreitens, Bekanntgabe der Dienstnummer, Dokumentation); gegen 17:50 Uhr an der [H‑Straße] bei der T‑Kreuzung mit der [K‑Gasse] die Richtlinien gemäß §§ 6 Abs. 1 Z 2 und 3 und 10 Abs. 1 und 2 RLV (Bekanntgabe des Zweckes des Einschreitens, Dokumentation) und gegen 19:00 Uhr [...] die Richtlinien gemäß §§ 6 Abs. 1 Z 2 und 3 und 10 Abs. 1 und 2 RLV (Bekanntgabe des Zweckes des Einschreitens, Dokumentation)“ (Spruchpunkt III.). Außerdem verpflichtete das Verwaltungsgericht den Rechtsträger der belangten Behörde und den Revisionswerber jeweils zum anteilsmäßigen Kostenersatz des Maßnahmebeschwerdeverfahrens (Spruchpunkte IV. und V.). Eine Revision erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig (Spruchpunkt VI.).
2 Begründend führte das Verwaltungsgericht zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen aus, es habe für die Beamten kein Grund zur Annahme nach § 35 Abs. 1 Z 1 SPG bestanden, der Revisionswerber stünde im Zusammenhang mit einem konkreten gefährlichen Angriff oder könne über einen solchen Auskunft erteilen.
3 Zu Spruchpunkt II. führte das Verwaltungsgericht begründend im Wesentlichen aus, es sei kein Zwang auf den Revisionswerber ausgeübt worden. Die Aufforderung, Abstand zu halten, sei „nicht als Ausübung von Befehlsgewalt“ zu qualifizieren. Dem Revisionswerber seien keine Zwangsmaßnahmen im Falle der Nichtbefolgung angedroht worden. Aufgrund der lockeren Kettenformation der Beamten habe der Revisionswerber auch nicht von unmittelbar unangekündigten Sanktionen ausgehen müssen, sodass keine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls‑ und Zwangsgewalt vorliege.
4 Zu Spruchpunkt III. erwog das Verwaltungsgericht ‑ soweit für das Revisionsverfahren relevant ‑ im Wesentlichen, dass bei den beiden Identitätsfeststellungen die jeweils einschreitenden Beamten dem Revisionswerber als Zweck der Amtshandlung § 35 Abs. 1 Z 1 SPG genannt hätten und der bekannt zu gebende Zweck des Einschreitens der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nicht das gesamte bei der Behörde vorhandene Wissen umfasse, sondern es genüge vielmehr, dass die einschreitenden Beamten dem Revisionswerber den Informationsstand, der ihnen im Zeitpunkt der jeweiligen Amtshandlung zur Verfügung gestanden sei, bekannt geben. Es bestehe keine Verpflichtung, nicht unmittelbar zur Verfügung stehende Informationen zu beschaffen. § 6 Abs. 1 Z 2 RLV verlange nicht, dass der bekannt gegebene Zweck rechtlich tragfähig sei, hierfür sei als Rechtsschutz die vom Revisionswerber ohnehin genutzte Möglichkeit der Maßnahmenbeschwerde vorgesehen. Es käme zu einer generellen Verdoppelung des Rechtsschutzes, wenn eine Verletzung subjektiv‑öffentlicher Rechte immer die Erhebung einer Beschwerde nach § 88 und § 89 SPG ermöglichte. Die Aufforderung, Abstand zu halten, stelle keine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls‑ und Zwangsgewalt dar. Es sei auch keine Amtshandlung vorgelegen, weil mit dieser Aufforderung keine Gesetze vollzogen worden seien, sondern es sich um „eine schlichte Aufforderung“ an den Revisionswerber gehandelt habe, sich selbst und die Beamten nicht zu gefährden. Somit sei anlässlich der Identitätsfeststellungen in korrekter Weise Auskunft über den Zweck der Amtshandlungen erteilt worden. Auf die Aufforderung, Abstand zu halten, sei § 6 Abs. 1 Z 2 RLV mangels Vorliegens einer Amtshandlung nicht anwendbar gewesen.
5 Die Unzulässigkeit einer ordentlichen Revision begründete das Verwaltungsgericht textbausteinartig.
6 Gegen die Spruchpunkte II. und III. (hinsichtlich des Spruchpunktes III. „in Bezug auf die Abweisung der auf § 6 Abs. 1 Z. 2 und 3 RLV gestützten Richtlinienbeschwerden“) sowie VI. dieses Erkenntnisses erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.
7 Die LPD erstattete nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof eine Revisionsbeantwortung mit einem Antrag auf Aufwandersatz.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision ‑ gesondert ‑ vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt bei der Prüfung eines angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses eines Verwaltungsgerichts dem Revisionspunkt nach § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG entscheidende Bedeutung zu, denn der Verwaltungsgerichtshof hat nicht zu prüfen, ob irgendein subjektives Recht des Revisionswerbers verletzt worden ist, sondern nur, ob jenes verletzt worden ist, dessen Verletzung der Revisionswerber behauptet. Durch den Revisionspunkt wird der Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festgelegt und der Rahmen abgesteckt, an den der Verwaltungsgerichtshof bei der Prüfung des angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses gebunden ist. Wird der Revisionspunkt unmissverständlich ausgeführt, so ist er einer Auslegung aus dem Gesamtzusammenhang der Revision nicht zugänglich (vgl. aus der ständigen hg. Judikatur etwa VwGH 24.3.2022, Ra 2022/01/0067, mwN).
12 Vorliegend erachtet sich der Revisionswerber durch das angefochtene Erkenntnis u.a.
„[...] in seinen [...] Rechten, nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 38 SPG weggewiesen zu werden [...]“
als verletzt.
Sohin sei der Revisionswerber zur Erhebung der gegenständlichen außerordentlichen Revision legitimiert.
13 Das subjektiv‑öffentliche Recht eines Maßnahmenbeschwerdeführers besteht aber alleine darin, dass der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig erklärt wird (vgl. erneut VwGH 24.3.2022, Ra 2022/01/0067, mit Verweisen auf VwGH 4.6.2021, Ra 2021/01/0178, und VwGH 5.12.2017, Ra 2017/01/0373, Rn. 59, mwN).
14 Mit den genannten Ausführungen zur Maßnahmenbeschwerde werden sohin keine tauglichen Revisionspunkte im Sinne des § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG geltend gemacht.
15 In ihrem Zulässigkeitsvorbringen zur Richtlinienbeschwerde behauptet die Revision im Hinblick auf die Identitätsfeststellungen nach § 35 SPG ein Abweichen von der maßgeblichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 6 Abs. 1 Z 2 RLV (Hinweis auf VwGH 24.8.2004, 2003/01/0041), weil ‑ nach Auffassung des Revisionswerbers ‑ ein bloßer Verweis der Beamten auf eine gesetzliche Bestimmung nicht genüge.
16 Nach dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es gemäß § 6 Abs. 1 Z 2 RLV Aufgabe der einschreitenden Polizisten, über das „Warum“ (Zweck) dieser Maßnahmen (zumindest oberflächlich) Auskunft zu erteilen, geht es doch bei der in Frage stehenden Richtlinienbestimmung zweifelsohne darum, dem Betroffenen durch Information ein adäquates Reagieren zu ermöglichen und so die Gefahr einer Eskalation nach Möglichkeit hintanzuhalten. Dabei wird man angesichts des Charakters der RLV als Berufspflichtenkodex und angesichts dessen, dass erkennbar auf ein sofortiges Agieren abgestellt wird, vom einschreitenden Polizisten nur erwarten können, dass er die dem Zweck der Amtshandlung nicht zuwiderlaufenden Möglichkeiten, die ihm für eine Verständigung zur Verfügung stehen, nützt und dergestalt versucht, mit den ihm unter Bedachtnahme auf den Vorrang der Aufgabenerfüllung zu Gebote stehenden Mitteln den normierten Informationspflichten zu entsprechen (vgl. VwGH 24.8.2004, 2003/01/0041).
17 Ausgehend von diesen Leitlinien ist es nicht als unvertretbar anzusehen, wenn das Verwaltungsgericht einzelfallbezogen im Ergebnis annahm, dass mit der Bekanntgabe der entsprechenden, die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zur Identitätsfeststellung ermächtigenden Bestimmung des SPG (hier: § 35 SPG) ausreichend Auskunft über den Zweck der Amtshandlungen erteilt wurde.
18 In der Revision werden damit im Hinblick auf die Richtlinienbeschwerde keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
19 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
20 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
21 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 25. Juli 2022
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