VwGH Ra 2018/19/0312

VwGHRa 2018/19/031210.9.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17. April 2018, W233 2178291-1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: A A A in L), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §11;
AsylG 2005 §8 Abs1;
MRK Art3;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018190312.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird in den Spruchpunkten A) II. und A) III. wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte ist Staatsangehöriger von Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken. Er stellte am 21. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Mit Bescheid vom 24. Oktober 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Mitbeteiligten sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Es erteilte dem Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 und § 9 BFA-Verfahrensgesetz eine Rückkehrentscheidung, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.) und setzte die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV.).

3 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten, soweit es die Frage der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten betraf, keine Folge (Spruchpunkt A) I.). Es erkannte dem Mitbeteiligten allerdings den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu (Spruchpunkt A) II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung mit Gültigkeit bis zum 17. April 2019 (Spruchpunkt A) III.). Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

5 Das Bundesverwaltungsgericht führte hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zusammengefasst aus, der Mitbeteiligte sei zwar ein arbeitsfähiger junger Mann mit Grundschulbildung und Berufserfahrung, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Es müsse demgegenüber aber maßgeblich berücksichtigt werden, dass der Mitbeteiligte seinen Herkunftsstaat Afghanistan bereits mit 15 Jahren verlassen habe und sich in der Folge vier Jahre im Iran aufgehalten und dort bis zum Eintritt seiner Volljährigkeit eine für eine Persönlichkeitsbildung prägende Sozialisierung erfahren habe. Dazu komme, dass der Mitbeteiligte in Europa noch einmal anders sozialisiert worden sei und schon recht beachtliche Integrationserfolge aufweise. Er verfüge in Afghanistan derzeit über keine hinreichenden sozialen oder familiären Netzwerke und wäre bei einer Rückkehr vorerst auf sich alleine gestellt.

6 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erhob gegen die Spruchpunkte A) II. und A) III. dieses Erkenntnisses Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage derselben und der Verfahrensakten sowie nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

7 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, wonach vom Vorliegen einer realen Gefahr im Sinn des Art. 3 EMRK nur unter exzeptionellen Umständen ausgegangen werden könne und die bloße Möglichkeit einer Verletzung von Art. 3 EMRK nicht ausreiche. Der Mitbeteiligte sei volljährig, gesund, arbeitsfähig, verfüge über Schulbildung und Berufserfahrung und spreche Dari. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten iSd § 8 AsylG 2005 lägen nicht vor.

8 Die Amtsrevision ist zulässig. Sie ist auch begründet. 9 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits wiederholt mit

dem Kriterium nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 einer realen Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung durch eine Rückkehr nach Afghanistan auseinandergesetzt. In Fortsetzung dieser Rechtsprechung wurde etwa in jenem Fall, der dem hg. Beschluss vom 20. April 2018, Ra 2018/18/0194, zugrunde lag, das Vorliegen einer realen Gefahr im Sinn des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 verneint. Der Sachverhalt des gegenständlichen Verfahrens - insbesondere betreffend die Lage in Afghanistan - stimmt in den entscheidungswesentlichen Punkten mit jenem des zitierten Falles überein (vgl. weiters 25.5.2016, Ra 2016/19/0036; 8.9.2016, Ra 2016/20/0063; 25.4.2017, Ra 2016/01/0307; 8.8.2017, Ra 2017/19/0118; 20.9.2017, Ra 2016/19/0209; 20.9.2017, Ra 2017/19/0190, Ra 2017/19/0205; 18.10.2017, Ra 2017/19/0157 zu im Iran geborenen bzw. aufgewachsenen Staatsangehörigen Afghanistans vgl. insbesondere VwGH 2.8.2018, Ra 2017/19/0229 und VfGH 12.12.2017, E 2068/2017). Aus den dort dargestellten Gründen ist auch die hier gegenständliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes mit Rechtswidrigkeit belastet.

10 Durch die Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes wird zwar (wie in den zitierten gleichgelagerten Fällen) eine schwierige Lebenssituation für den Mitbeteiligten bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgezeigt. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber in seiner jüngeren Rechtsprechung bereits erkannt, dass eine schwierige Lebenssituation (bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht), die ein Asylwerber bei Rückführung in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen. Mit Bezug auf die Verhältnisse in Afghanistan wurde ausgeführt, es könne zutreffen, dass ein alleinstehender Rückkehrer ohne familiären Rückhalt und ohne finanzielle Unterstützung in der afghanischen Hauptstadt Kabul (anfangs) mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert sei. Soweit es sich aber um einen jungen und gesunden Mann, der über Schulbildung und Berufserfahrung verfüge, handle, sei - auf der Grundlage der allgemeinen Länderfeststellungen zur Lage im Herkunftsstaat - nicht zu erkennen, dass eine Neuansiedlung in Kabul nicht zugemutet werden könne. Dies stehe auch im Einklang mit der Einschätzung der - im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts maßgeblichen - UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016, denen zufolge es alleinstehenden, leistungsfähigen Männern im berufsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilität möglich sei, auch ohne Unterstützung durch die Familie in urbaner Umgebung zu leben (vgl. zB VwGH 29.5.2018, Ra 2018/20/0146, mwN). Eine solche spezifische Vulnerabilität wird nach der zitierten Rechtsprechung auch nicht alleine dadurch begründet, dass der Revisionswerber im Iran aufgewachsen ist.

11 Die Annahme des Bundesverwaltungsgerichtes, es bestehe unter Berücksichtigung der den Mitbeteiligten betreffenden individuellen Umstände im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan auch in Kabul die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK, ist daher eine rechtliche Beurteilung, die in den Feststellungen keine Deckung findet (vgl. auch dazu die bereits oben zitierten Entscheidungen).

12 Die vom Bundesverwaltungsgericht angeführten Integrationserfolge des Revisionswerbers sind nicht im Rahmen der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, sondern bei der Interessensabwägung nach Art. 8 EMRK zu berücksichtigen.

13 Das angefochtene Erkenntnis war sohin im Umfang der Anfechtung - dem von der im Spruchpunkt A) II. enthaltenen Entscheidung rechtlich abhängenden Ausspruch in Spruchpunkt A) III. ist die Grundlage entzogen - wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 10. September 2018

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