European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018180085.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 13. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zur Begründung dieses Antrages brachte der Revisionswerber im Wesentlichen vor, dass seine Familie Grundstücksstreitigkeiten mit einer anderen Familie gehabt habe, im Zuge derer sowohl der Vater des Revisionswerbers als auch zwei Söhne der anderen Familie getötet worden seien. Als zu einem späteren Zeitpunkt zwei Söhne der verfeindeten Familie verhaftet worden seien, weil sie Waffen an die Taliban verkauft hätten, sei die Familie des Revisionswerbers von der anderen Familie und auch von den Taliban dafür verantwortlich gemacht worden. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohe dem Revisionswerber eine Verfolgung sowohl durch die verfeindete Familie als auch durch die Taliban.
2 Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - in der auch der in Österreich lebende Bruder des Revisionswerbers, dem mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 16. Februar 2015 der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden war, als Zeuge vernommen wurde - wies das im Wege einer vom Revisionswerber erhobenen Säumnisbeschwerde zuständig gewordene BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 4. Jänner 2018 den Antrag betreffend Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, stellte fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und sprach aus, dass für die freiwillige Ausreise eine Frist von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestehe. Darüber hinaus erklärte es die Revision für nicht zulässig.
3 Im Rahmen der angefochtenen Entscheidung stellte das BVwG zunächst fest, dass dem Revisionswerber in Afghanistan weder eine Verfolgung durch die verfeindete Familie noch durch die Taliban drohe. In weiterer Folge legte das BVwG ausführlich dar, aufgrund welcher beweiswürdigender Erwägungen es von der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens ausgehe und inwiefern sich Widersprüche in den Aussagen des Revisionswerbers und dessen als Zeugen einvernommenen Bruders ergeben hätten. Zudem stützte das BVwG mit näherer Begründung seine Entscheidung auf die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul und legte dar, warum es nicht davon ausgehe, dass Art. 8 EMRK der Erlassung einer Rückkehrentscheidung entgegenstehe.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich im Wesentlichen gegen die Beweiswürdigung des BVwG wendet, weil dem Erkenntnis keine gesetzmäßige Begründung dafür zu entnehmen sei, warum dem Fluchtvorbringen nicht gefolgt werden könne. In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, dass sich die fluchtauslösenden Ereignisse bereits vor vielen Jahren ereignet hätten, der Revisionswerber damals ein Jugendlicher gewesen sei und noch immer mit der Aufarbeitung der traumatisierenden Erlebnisse zu kämpfen habe. Zudem sei insbesondere zu berücksichtigen, dass dem Bruder des Revisionswerbers vom BVwG aufgrund identer Fluchtgründe der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei. In der im Verfahren des Bruders ergangenen Entscheidung sei das BVwG davon ausgegangen, dass eine Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie in Zusammenhang mit einer Blutrache bestehe und - mangels familiären Netzwerkes - keine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif angenommen werden könne. Es sei jedenfalls unzulässig, dass das BVwG bei völlig identen Voraussetzungen und betreffend denselben Sachverhalt zu völlig divergierenden Ergebnissen gelange und auch die Rechtsfragen völlig unterschiedlich löse. In diesem Zusammenhang stelle sich die Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, ob bei Geschwistern die Annahme der Fluchtgründe, die Beweiswürdigung und die Bezug habenden Feststellungen "im Parallelverfahren" übernommen werden müssten.
5 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat mehrfach klargestellt, dass er - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (VwGH 6.4.2018, Ra 2018/01/0136).
10 Das BVwG legte die einzelnen beweiswürdigenden Erwägungen in seiner Entscheidung offen und berücksichtigte dabei insbesondere auch den seit den vorgebrachten fluchtauslösenden Ereignissen vergangenen Zeitraum sowie die damalige Minderjährigkeit des Revisionswerbers (vgl. diesbezüglich etwa VwGH 23.2.2016, Ra 2015/20/0161). Somit zeigt die Revision nicht auf, dass die Beweiswürdigung des BVwG unvertretbar im Sinn des Prüfungskalküls des Verwaltungsgerichtshofes wäre. Das BVwG hat sich auch damit auseinandergesetzt, dass dem Bruder des Revisionswerbers, der bereits rund drei Jahre vor dem Revisionswerber in Österreich eingereist war und den es auch als Zeugen im Verfahren des Revisionswerbers einvernommen hat, der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden war, und hat ausführlich begründet, warum es fallbezogen dennoch davon ausging, dass der Revisionswerber keine Verfolgung glaubhaft machen konnte.
11 Soweit in diesem Sinne in der Revision letztlich die Ansicht vertreten wird, dass das BVwG im gegenständlichen Verfahren an die Begründung des im Verfahren des Bruders des Revisionswerbers ergangenen Erkenntnisses gebunden wäre, genügt es dem zu entgegnen, dass eine Bindungswirkung in Bezug auf die Verfahren betreffend andere Parteien nicht besteht (vgl. in diesem Sinn auch VwGH 1.6.2017, Ra 2017/08/0022).
12 Soweit die Revision - völlig unsubstantiiert - Bedenken an dem vom BVwG herangezogenen Gutachten des Sachverständigen Mag. M äußert, genügt der Hinweis, dass sich das BVwG insbesondere bei der Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten in der afghanischen Hauptstadt nicht nur auf dieses Gutachten stützte, sondern darüber hinaus auch Länderberichte heranzog, denen die Revision nicht entgegengetreten ist (vgl. VwGH 7.3.2018, Ra 2018/18/0103).
13 Darüber hinaus ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. wiederum VwGH 21.3.2018, Ra 2018/18/0075). Indem die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung lediglich unsubstantiiert ausführt, dass das angefochtene Erkenntnis die Rechtsfrage hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen unrichtig gelöst und in diesem Bezug aktenwidrige bzw. grob unrichtige Feststellungen getroffen habe, zeigt sie nicht auf, dass die Interessenabwägung gemäß Art. 8 ERMK - in der das BVwG sämtliche relevanten Umstände berücksichtigte - entgegen den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Grundsätzen vorgenommen worden sei.
14 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Wien, am 30. Mai 2018
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