Normen
AsylG 2005 §3 Abs1
FlKonv Art1 AbschnA Z2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018140274.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Afghanistans, wurde im Iran geboren und wuchs dort auf. Er stellte am 22. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund brachte er vor, sein Vater sei in Afghanistan Anhänger von Abdul Rasul Sayyaf und seiner Partei und mit diesem persönlich bekannt gewesen. Nachdem sein Vater sich geweigert habe, für diese Gruppierung an Kampfhandlungen teilzunehmen, sei er beschuldigt worden, eine benachbarte Familie, bei denen es sich ebenfalls um Anhänger Sayyafs gehandelt habe, ermordet zu haben. Aus diesem Grund seien zwei Onkel väterlicherseits von Sayyaf bzw. seinen Anhängern getötet worden und seine Familie in den Iran geflohen. Bei einer Rückkehr in seinen Heimatdistrikt drohe ihm Gefahr, von den Feinden seines Vaters, die dort noch immer an der Macht seien, ermordet zu werden.
2 Mit Bescheid vom 13. April 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Mitbeteiligten zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung statt, erkannte ihm den Status des Asylberechtigten zu und stellte fest, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
4 Das Bundesverwaltungsgericht führte im Rahmen seiner Feststellungen zu den Fluchtgründen des Mitbeteiligten aus, diesem würde bei einer Rückkehr in seinen Heimatdistrikt die Gefahr von Gewalt durch Sayyaf und seine Anhänger drohen. Bei einer Ansiedlung außerhalb seines Heimatbezirks laufe der Mitbeteiligte Gefahr, in eine ausweglose "bzw." existenzgefährdende Notlage zu geraten.
5 Beweiswürdigend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Mitbeteiligte habe sein Fluchtvorbringen schlüssig und vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und politischen Strukturen in Afghanistan plausibel, weitgehend widerspruchsfrei, substantiiert und angereichert mit lebensnahen Details vorgebracht. Die Schilderungen zu den die Flucht seiner Eltern auslösenden Ereignissen stünden im Einklang mit den Berichten zu Abdul Rasul Sayyaf, seinem örtlichen, zeitlichen und sachlichen Wirkungskreis und seinem ethnischen Hintergrund, wofür das Bundesverwaltungsgericht auf eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Abdul Rasul Sayyaf vom April 2010 verwies. Das Fluchtvorbringen des Mitbeteiligten sei insgesamt als glaubhaft gemacht zu erachten.
6 Rechtlich führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Mitbeteiligte sei bei einer Rückkehr Verfolgungs- und Bedrohungshandlungen auf Grund einer Feindschaft seines Vaters ausgesetzt. Vor dem Hintergrund der Ermordung seiner Onkel sei davon auszugehen, dass es sich dabei um Verfolgung von asylrelevanter Intensität handle. Der Mitbeteiligte gehöre der sozialen Gruppe der Familie an. Zwar handle es sich bei den Feinden seines Vaters teilweise um nicht-staatliche Akteure. Angesichts der Berichtslage könne aber nicht davon ausgegangen werden, dass die staatlichen Sicherheitsbehörden ausreichend schutzfähig seien. Der Mitbeteiligte könne aus näher angeführten Gründen bei einer Rückkehr nicht auf eine innerstaatliche Fluchtalternative verwiesen werden.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, in der zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht wird, das Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum einen deshalb ab, weil es auf veralteten Länderinformationen beruhe und ihm keine konkreten Feststellungen zu den Anhängern Sayyafs in Afghanistan zu entnehmen seien. Es sei nicht ersichtlich, ob Sayyaf und seine Anhänger in Afghanistan nach wie vor eine maßgebliche Bedrohung darstellten. Im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation würden sich dazu keine Informationen finden. Aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation aus dem Jahr 2010 könne nicht abgeleitet werden, dass die "Sayyafs" Personen über Jahre hinweg verfolgen würden. Zum anderen habe der Mitbeteiligte keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit glaubhaft machen können. Für die Asylgewährung komme es auf die Flüchtlingseigenschaft im Zeitpunkt der Entscheidung an. Der vorgebrachte Fluchtgrund habe sich in den Jahren 1992/1993 und damit noch vor der Geburt des Mitbeteiligten ereignet. Überdies sei es niemals zu konkreten Bedrohungshandlungen gegen den Mitbeteiligten durch Anhänger Sayyafs gekommen. Es sei daher unwahrscheinlich, dass dieser im Fall der Rückkehr von Anhängern Sayyafs verfolgt werde, zumal es objektiv betrachtet keine Anzeichen gäbe, dass diese Kenntnis über den Mitbeteiligten hätten.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, erwogen:
9 Die Revision ist zulässig und auch begründet.
10 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes
kommt es für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zum Zeitpunkt der Entscheidung an (vgl. etwa VwGH 26.6.2018, Ra 2018/20/0307, mwN). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Mitbeteiligte bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Mitbeteiligte im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. - im vorliegenden Fall - des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 25.9.2018, Ra 2017/01/0203, mwN).
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 25.2.2019, Ra 2018/20/0039, mwN).
12 Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Bundesverwaltungsgericht seine Begründungspflicht verletzt. 13 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich im Rahmen der Beweiswürdigung zwar mit jenen Ereignissen, die Grund für die Flucht der Familie des - zum damaligen Zeitpunkt noch nicht geborenen - Mitbeteiligten aus Afghanistan waren, auseinandergesetzt und dieses Vorbringen als glaubwürdig beurteilt. Dem ist die Amtsrevision auch nicht entgegen getreten. Es fehlt aber jede Auseinandersetzung damit, ob dem Mitbeteiligten im Hinblick auf diese (vergangenen) Ereignisse im Fall einer Rückkehr (aktuell) die Gefahr einer Verfolgung durch Sayyaf bzw. seine Anhängern drohen werde. Insbesondere enthält das angefochtene Erkenntnis keine Feststellungen dazu, welche Rolle Sayyaf und seine Anhänger aktuell in Afghanistan spielen und ob von ihnen (nach wie vor) eine Bedrohung für Personen bzw. Verwandte solcher Personen ausgeht, die in einem Konflikt mit ihnen gestanden sind. Die vom Bundesverwaltungsgericht in die mündliche Verhandlung eingebrachte Anfragebeantwortung der Staatendokumentation aus dem Jahr 2010, auf Grund der im angefochtenen Erkenntnis auch gar keine Feststellungen getroffen werden und die überdies fallbezogen den Anforderungen an die Aktualität von Länderinformationen (vgl. etwa VwGH 28.03.2019, Ra 2018/14/0315, mwN) nicht genügt, ist vom Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Beweiswürdigung auch nur zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der vom Mitbeteiligten vorgebrachten Ereignisse, die zur Flucht seiner Familie aus Afghanistan geführt haben, nicht aber zur Beurteilung einer (aktuellen) asylrelevanten Gefährdung herangezogen worden. 14 Vor diesem Hintergrund ist die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Schlussfolgerung, dem Mitbeteiligten werde bei einer Rückkehr in seinen Heimatdistrikt die Gefahr von Gewalt durch Sayyaf und seine Anhänger drohen, einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht zugänglich.
15 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Wien, am 27. Juni 2019
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