Normen
MRK Art6;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §44 Abs3 Z1;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht unter Herabsetzung der Geld- und Ersatzfreiheitsstrafe den Revisionswerber schuldig erachtet, unter näher angeführten Umständen die auf Freilandstraßen höchst zulässige Geschwindigkeit von 100 km/h um 75 km/h überschritten zu haben, wodurch er § 20 Abs. 2 StVO iVm § 99 Abs. 2e StVO übertreten habe. Es sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.
2 Die Behandlung der dagegen beim Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde hat dieser mit Beschluss vom 21. September 2017, E 949/2017-5, abgelehnt und die Beschwerde über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 7. November 2017, E 949/2017-7, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. 3 Gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts
Niederösterreich vom 17. März 2017 richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht erstattete eine Revisionsbeantwortung, zu der sich der Revisionswerber äußerte.
4 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Der Revisionswerber führt im Zulässigkeitsvorbringen aus, es liege eine erhebliche Rechtsfrage vor, weil das Verwaltungsgericht entgegen der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keine mündliche Verhandlung anberaumt habe.
8 Die Revision ist aus folgenden Gründen zulässig und berechtigt:
9 § 44 Abs. 1 bis 5 VwGVG lauten:
"(1) Das Verwaltungsgericht hat eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
(2) Die Verhandlung entfällt, wenn der Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
(3) Das Verwaltungsgericht kann von einer Verhandlung
absehen, wenn
1. in der Beschwerde nur eine unrichtige rechtliche
Beurteilung behauptet wird oder
2. sich die Beschwerde nur gegen die Höhe der Strafe
richtet oder
3. im angefochtenen Bescheid eine 500 Euro nicht
übersteigende Geldstrafe verhängt wurde oder
4. sich die Beschwerde gegen einen verfahrensrechtlichen
Bescheid richtet
und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung
beantragt hat. Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer
Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen.
Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn es einen Beschluss zu fassen hat, die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.
(5) Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden."
10 Eine Begründung für das Absehen von einer Verhandlung findet sich im angefochtenen Erkenntnis nicht. Da das Verwaltungsgericht mit Erkenntnis entschieden hat, kommt ein Absehen nach § 44 Abs. 4 VwGVG (das voraussetzt, dass das Verwaltungsgericht einen Beschluss zu fassen hat) nicht in Betracht. Ein ausdrücklicher Verzicht auf die Durchführung einer Verhandlung (im Sinn des § 44 Abs. 5 VwGVG) wurde nicht festgestellt. Auch der das Absehen von einer Verhandlung ermöglichende Tatbestand des § 44 Abs. 3 Z 1 VwGVG (die weiteren Tatbestände dieser Bestimmung kommen fallbezogen nicht in Betracht) liegt nicht vor. Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber in seiner Beschwerde gegen das Straferkenntnis nämlich die Begehung der Verwaltungsübertretung bestritten, die Beweiswürdigung gerügt und Beweisanträge gestellt. Damit lag die Voraussetzung des § 44 Abs. 3 Z 1 VwGVG für ein Absehen von einer Verhandlung nicht vor.
11 Dieser Verfahrensmangel war im Hinblick auf Art. 6 EMRK jedenfalls wesentlich (VwGH 23.3.2015, Ra 2014/08/0066, mwN).
12 Da das angefochtene Erkenntnis bereits aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war, war auf das weitere Revisionsvorbringen nicht einzugehen.
13 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 19. Februar 2018
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