Normen
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
B-VG Art132 Abs1 Z2;
B-VG Art133 Abs1 Z1;
VStG §45 Abs1 idF 2013/I/033;
VStG §45 Abs1 Z4 idF 2013/I/033;
VwGG §21 Abs1 Z2;
VwGG §26 Abs1 Z3;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §17;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018020009.L00
Spruch:
1. zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
2. den Beschluss gefasst:
Der Antrag der belangten Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 16. Dezember 2015 wurde dem Mitbeteiligten vorgeworfen, er habe als Mitglied des Vorstandes und somit als gemäß § 9 Abs. 1 VStG 1991 zur Vertretung nach außen Berufener der X AG zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Arbeitgeberin mit Sitz in Y am 18.06.2015 drei näher angeführte Übertretungen des ASchG begangen habe, weshalb über den Mitbeteiligten drei Geldstrafen von je EUR 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafen je zwei Tage und zwölf Stunden) verhängt wurden. Die X AG hafte gemäß § 9 Abs. 7 VStG für die über den Mitbeteiligten verhängten Geldstrafen.
2 Auf Grund der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis hinsichtlich der drei Übertretungen "Gemäß § 50 VwGVG in Verbindung mit § 45 Abs. 1 zweiter Satz VStG in Verbindung mit Z 4 leg. cit. ... jeweils eine Ermahnung ausgesprochen." Der Mitbeteiligte habe daher keinen Kostenbeitrag zu leisten. Die ordentliche Revision erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.
3 In der Begründung gab das Verwaltungsgericht den Spruch des Straferkenntnisses, den Inhalt der Beschwerde sowie die Ausführungen in der mündlichen Verhandlung wieder und übernahm wörtlich die dem Mitbeteiligten im Spruch des Straferkenntnisses vom 16. Dezember 2015 vorgeworfenen Übertretungen als Sachverhalt. Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht keine Feststellungen getroffen. In rechtlicher Hinsicht ging das Verwaltungsgericht von einer Erfüllung der objektiven Tatseite sowie vom Verschulden des Mitbeteiligten aus. Zur Strafhöhe führte das Verwaltungsgericht nach Wiedergabe von § 130 Abs. 1 Z 5 bis 7 ASchG und von § 45 Abs. 1 zweiter Satz VStG aus, dass die von den herangezogenen Deliktsnormen geforderten Kriterien von dem vom Mitbeteiligten geführten Unternehmen nicht erfüllt seien. Das Verfahren habe jedoch ergeben, dass das vom Mitbeteiligten geleitete und europaweit aufgestellte Unternehmen "in den meisten anderen EU-Staaten angesichts des in Österreich entwickelten gesetzlichen Standards mit gegenstandsbezogen weit geringeren Anforderungen konfrontiert (ist), weshalb es zu einer Überspannung des Sorgfaltsmaßstabes führen würde, hinsichtlich dieser Abweichung im angelasteten Zeitraum dem (Mitbeteiligten) ein die Ermahnung nicht mehr rechtfertigendes Verschulden vorzuwerfen."
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Amtsrevision des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.
5 Der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der er die kostenpflichtige Zurück- bzw. Abweisung der Revision beantragt.
6 Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht hat einen als Revisionsbeantwortung bezeichneten Schriftsatz eingebracht und beantragt, der Revision stattzugeben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 Als zulässig erachtet die revisionswerbende Amtspartei die Revision, weil nach der ständigen Rechtsprechung die Anwendung von § 45 Abs. 1 Z 4 VStG voraussetze, dass die in dieser Bestimmung genannten Umstände kumulativ vorlägen und die Anwendung dieser Gesetzesstelle schon dann nicht mehr in Betracht komme, wenn auch nur einer dieser Umstände nicht vorliege. Dann komme auch eine Ermahnung nach § 45 Abs. 1 letzter Satz VStG nicht in Frage. Mit der Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und der Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat habe sich das Verwaltungsgericht nicht auseinandergesetzt. Hinsichtlich der Frage des geringen Verschuldens habe es außer Acht gelassen, dass nach ständiger Rechtsprechung das Vorliegen eines bloß geringfügigen Verschuldens im Sinne des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG insbesondere dann auszuschließen sei, wenn der Beschuldigte durch vorangegangene Beanstandungen von der Rechtswidrigkeit eines Zustandes oder eines Verhaltens Kenntnis habe erlangen können und dennoch keine Änderung herbeigeführt habe.
8 Die vorliegende Revision ist zulässig, weil das Verwaltungsgericht, wie in der Revision zutreffend aufgezeigt wird, bei der Anwendung der Bestimmung des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist. Sie ist aus diesem Grund auch berechtigt.
9 § 45 Abs. 1 Z 4 VStG lautet:
"§ 45. (1) Die Behörde hat von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn
...
4. die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering sind".
10 Gemäß § 45 Abs. 1 letzter Satz VStG kann die Behörde, anstatt die Einstellung zu verfügen, dem Beschuldigten im Fall der Z 4 unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid eine Ermahnung erteilen, wenn dies geboten erscheint, um ihn von der Begehung strafbarer Handlungen gleicher Art abzuhalten.
11 Nach ständiger Rechtsprechung zu § 45 Abs. 1 Z 4 VStG müssen die dort genannten Umstände - geringe Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes, geringe Intensität der Beeinträchtigung dieses Rechtsgutes durch die Tat sowie geringes Verschulden - kumulativ vorliegen. Fehlt es an einer der in § 45 Abs. 1 Z 4 VStG genannten Voraussetzungen für die Einstellung des Strafverfahrens, kommt auch keine Ermahnung nach § 45 Abs. 1 letzter Satz VStG in Frage (vgl. etwa VwGH 7.4.2017, Ra 2016/02/0245, mwH).
12 Entgegen dieser Rechtsprechung hat das Verwaltungsgericht zu diesen - für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen einer Einstellung bzw. einer Ermahnung des Mitbeteiligten relevanten - Umständen keine Feststellungen getroffen. Ohne entsprechende Feststellungen erweist sich die vom Verwaltungsgericht im Ergebnis vertretene Rechtsanschauung, es lägen die Voraussetzungen für eine Ermahnung vor, als rechtswidrig.
13 In diesem Zusammenhang ist an die Anforderungen an Form und Inhalt eines verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses zu erinnern, zu denen der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 21.10.2014, Ro 2014/03/0076, grundlegend Stellung genommen hat. Daraus ist für das angefochtene Erkenntnis hervorzuheben, dass die Begründung der Entscheidung in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben, erfordert. Die drei logisch aufeinander aufbauenden und formal zu trennenden Elemente einer ordnungsgemäß begründeten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehen sohin erstens in einer im Indikativ gehaltenen Tatsachenfeststellung, zweitens in der Beweiswürdigung und drittens in der rechtlichen Beurteilung. Die bloße Zitierung von Beweisergebnissen, wie zum Beispiel von Zeugenaussagen, ist weder erforderlich noch hinreichend, eine Aufzählung aufgenommener Beweise mag zweckmäßig sein. Lässt eine Entscheidung die Trennung dieser Begründungselemente in einer Weise vermissen, dass die Rechtsverfolgung durch die Partei oder die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird, dann führt ein solcher Begründungsmangel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung schon aus diesem Grund. Gleiches gilt, wenn eine solche maßgebliche Beeinträchtigung sonst in einem Mangel an Klarheit bzw. Übersichtlichkeit der Zusammenfassung iSd § 60 AVG gründet.
14 Diesen Anforderungen an ein verwaltungsgerichtliches Erkenntnis hinsichtlich Klarheit und Übersichtlichkeit widerspricht im vorliegenden Fall schon das Verhältnis einer insgesamt 40 Seiten umfassenden wörtlichen engzeiligen Wiedergabe des Straferkenntnisses, der Beschwerde sowie der Ausführungen in der mündlichen Verhandlung (allein diese auf rund 14 Seiten) auf der einen Seite zum festgestellten Sachverhalt auf der anderen Seite, der sich auf eineinhalb Seiten in der wörtlichen Wiedergabe des Spruches des Straferkenntnisses erschöpft, sowie zur Beweiswürdigung, die in zwei Sätzen abgehandelt wurde. Dieser exzessiven Wiedergabe insbesondere der Beweisaufnahmen steht die dargestellte Rechtsprechung entgegen, wonach die Zitierung von Beweisergebnissen, wie zum Beispiel von Zeugenaussagen, weder erforderlich noch hinreichend ist. Auch der Sinn dieser Wiedergabe erschließt sich im konkreten Fall nicht; das Verwaltungsgericht begründete keine einzige Feststellung mit einem davor wiedergegebenen Beweisergebnis.
15 Insgesamt war das angefochtene Erkenntnis daher wegen prävalierender Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
16 Soweit die belangte Behörde - als Partei des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht i.S. des § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG - in ihrer Revisionsbeantwortung selbst den Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses stellt, ist festzuhalten, dass das angefochtene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes der belangten Behörde am 17. August 2017 zugestellt wurde; der in der Revisionsbeantwortung vom 2. Februar 2018 gestellte Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses - der Sache nach als Revision der belangten Behörde zu verstehen - ist damit verspätet, sodass dieser Antrag gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen war (vgl. VwGH 31.7.2014, Ro 2014/02/0099). Wien, am 6. März 2018
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