Normen
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
VwGG §42 Abs2 Z3;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018010080.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerberin, einer (nach den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis) Staatsangehörigen Jordaniens, war mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 13. November 2014 der Status der Asylberechtigten zuerkannt worden. Dieser Entscheidung lag zugrunde, dass die Revisionswerberin staatenlos und zuletzt in Syrien aufhältig gewesen sei.
2 Mit Bescheid des BFA vom 30. Dezember 2015 wurde der Revisionswerberin der Status der Asylberechtigten aberkannt, der Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, die vorübergehende Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung festgestellt und eine Aufenthaltsberechtigung nach § 57 AsylG 2005 erteilt. Dies begründete das BFA damit, dass die Revisionswerberin entgegen ihren Angaben Staatsangehörige von Jordanien sei.
3 Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 2. Juni 2016 wurde dieser Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG behoben und die Angelegenheit an das BFA zurückverwiesen. Dies begründete das BVwG unter anderem mit veralteten Länderberichten im Hinblick auf Jordanien.
4 Mit Bescheid vom 3. April 2017 erkannte das BFA der Revisionswerberin (wiederum) den Status der Asylberechtigten ab, erkannte ihr den Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung fest und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise.
5 Mit dem (vorliegend) angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde gegen diesen Bescheid - ohne Durchführung einer Verhandlung, aber nach Einräumung einer Stellungnahmemöglichkeit zu aktualisierten Länderfeststellungen - als unbegründet ab (A) und sprach aus, eine Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig (B).
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
7 Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit unter anderem die Verletzung der Verhandlungspflicht vor.
9 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
10 Gemäß § 21 Abs. 7 erster Fall BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017, 0018, grundlegend dargelegt, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen, die Abstandnahme von der Durchführung einer (beantragten) mündlichen Verhandlung ermöglichenden - und hier allein in Betracht zu ziehenden - Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint", folgende Kriterien beachtlich sind:
Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 30.4.2018, Ra 2017/01/0227).
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch in ständiger Rechtsprechung klargestellt, dass die im Beschwerdeverfahren eingeräumte Möglichkeit, zum Inhalt aktueller Länderberichte zur Situation im Herkunftsstaat schriftlich Stellung zu nehmen, grundsätzlich die Durchführung einer Verhandlung nicht ersetzen kann (vgl. VwGH 20.9.2017, Ra 2017/19/0207, mwN).
13 Im vorliegenden Fall war das BVwG gehalten, die Länderberichte im Hinblick auf Jordanien, deren mangelnde Aktualität bereits im Beschluss des BVwG vom 2. Juni 2016 gerügt wurde, zu aktualisieren (vgl. zu der in § 28 Abs. 3 dritter Satz VwGVG normierten Bindungswirkung einer Aufhebungs- und Zurückverweisungsentscheidung etwa VwGH 24.11.2016, Ra 2016/07/0098, mwN).
14 Schon vor diesem Hintergrund ist nicht zu sehen, dass die Voraussetzungen für die Abstandnahme von der Durchführung der beantragten Verhandlung gegeben gewesen wären.
15 Nach der oben angeführten ständigen Rechtsprechung kann daran auch die vom BVwG vorgenommene Einräumung von Parteiengehör auf schriftlichem Weg nichts ändern. Soweit sich das Bundesverwaltungsgericht auf das Erkenntnis vom 17. Oktober 2006, 2005/20/0459, beruft, genügt es festzuhalten, dass dieses nicht zu der oben dargestellten maßgeblichen Rechtslage ergangen ist.
16 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.
17 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 10. Juli 2018
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)