VwGH Ra 2017/22/0184

VwGHRa 2017/22/018422.3.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, Hofrätin Mag.ª Merl und die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien gegen das am 9. Juni 2017 verkündete und mit Datum 24. August 2017 ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, VGW-151/011/5114/2017-7, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: A M, vertreten durch Mag. Boris Knirsch, Mag. Michael Braun und Mag. Christian Fellner, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Rudolfsplatz 12/7), zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs1 Z5;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017220184.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein serbischer Staatsangehöriger, stellte unter Bezugnahme auf seine in Österreich lebenden Großeltern persönlich beim Landeshauptmann von Wien (im Folgenden: Behörde) am 4. Oktober 2016 einen Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" gemäß § 47 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Mit der Übernahme der Einreichbestätigung wurde er gemäß § 21 Abs. 3 NAG belehrt und darauf hingewiesen, dass sein sichtvermerksfreier Aufenthalt am 8. November 2016 ende.

2 Mit Schreiben vom 2. Dezember 2016 forderte die Behörde den Mitbeteiligten - unter Hinweis auf das Ende seines visumfreien Aufenthaltes am 8. November 2016 - auf, einen Nachweis über seine Ausreise nachzureichen; andernfalls sei sein Antrag aufgrund der Überschreitung der sichtvermerksfreien Zeit abzuweisen. Gleichzeitig wurde er auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht, einen Zusatzantrag gemäß § 21 Abs. 3 NAG zu stellen (Punkt 1). Nach Ansicht der Behörde erfülle der Mitbeteiligte auch nicht die besonderen Erteilungsvoraussetzungen für den beantragten Aufenthaltszweck (Punkt 2).

3 Der Mitbeteiligte führte in seiner - am 21. Dezember 2016 bei der Behörde eingelangten - Stellungnahme im Wesentlichen aus, er sei von seinen Großeltern bereits im Herkunftsstaat finanziell unterstützt worden und werde in Österreich entweder seinem erlernten Beruf nachgehen oder eine Ausbildung machen. Zudem legte er eine Kopie seines Reisepasses vor; darin sind Einbzw. Ausreisestempel vom 10. und vom 11. Dezember 2016 enthalten.

4 Mit Bescheid vom 28. Dezember 2016 wies die Behörde den verfahrensgegenständlichen Antrag ab.

5 Das Verwaltungsgericht Wien (LVwG) gab der dagegen erhobenen Beschwerde - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 8. Juni 2017 in Anwesenheit des Mitbeteiligten - mit mündlich verkündetem Erkenntnis statt, behob den angefochtenen Bescheid, bewilligte den "Antrag nach § 21 Abs. 3 Z 2 NAG" und erteilte "die Niederlassungsbewilligung nach dem NAG für den Zweck ‚sonstiger Angehöriger von dauernd in Österreich wohnhaften Zusammenführenden' gemäß § 47 Abs. 3 Zi 3 lit. a NAG". Eine ordentliche Revision wurde für unzulässig erklärt.

Begründend führte das LVwG im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte erfülle die Voraussetzungen für die Erteilung der beantragten Niederlassungsbewilligung gemäß § 47 Abs. 3 NAG. Die Großeltern, beide österreichische Staatsbürger, hätten seit 2012 dem Mitbeteiligten bereits im Herkunftsland Unterhalt geleistet und beglaubigte Haftungserklärungen sowie Einkommensnachweise vorgelegt. Der Mitbeteiligte habe im Herkunftsland in ungeordneten Verhältnissen gelebt und sei auf die Alimentation und Fürsorge der Großeltern angewiesen gewesen. Die allgemeinen Voraussetzungen (Krankenversicherung, ausreichendes Haushaltseinkommen und Wohnraum) seien erfüllt.

Betreffend den Zusatzantrag führte das LVwG aus, das Schreiben der Behörde vom 2. Dezember 2016 beinhalte eine Belehrung gemäß § 21 Abs. 3 NAG. Der Stellungnahme des Mitbeteiligten (eingelangt am 21. Dezember 2016) sei zu entnehmen, dass er "bei den Großeltern bleiben möchte, sie die einzigen sind die sich um ihn kümmern, er beabsichtige in Österreich seinem ausgelernten Job nachgehen wolle". Mangels Erledigung des Zusatzantrages durch die Behörde habe das LVwG darüber abzusprechen. Da der Mitbeteiligte auf die Obsorge der Großeltern angewiesen sei, gab das LVwG dem "Antrag" gemäß § 21 Abs. 3 NAG unter Berücksichtigung von "Erwägungen gemäß Art. 8 EMRK" statt.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision der Behörde.

7 Der Mitbeteiligte beantragte in seiner Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision, in eventu deren Abweisung.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Der Revisionswerber führt zur Zulässigkeit ua. aus, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil bei der Erteilung eines Aufenthaltstitels im Spruch die Gültigkeitsdauer festzulegen sei (Hinweis ua. auf VwGH 19.11.2014, Ra 2014/22/0010). Darüber hinaus sei das Schreiben des Mitbeteiligten vom 21. Dezember 2016 zu Unrecht als Zusatzantrag gemäß § 21 Abs. 3 NAG gewertet worden (Hinweis auf VwGH 17.11.2015, Ra 2015/22/0122).

9 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

10 §§ 1121 und 47 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2015, lauten auszugsweise:

"Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§ 11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt

werden, wenn

1. ...

5. eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien

oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6

vorliegt oder

6. ...

Verfahren bei Erstanträgen

§ 21. (1) Erstanträge sind vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten.

(2) Abweichend von Abs. 1 sind zur Antragstellung im Inland berechtigt:

  1. 1. ...
  2. 5. Fremde, die an sich zur visumfreien Einreise berechtigt

    sind, während ihres erlaubten visumfreien Aufenthalts;

(3) Abweichend von Abs. 1 kann die Behörde auf begründeten Antrag die Antragstellung im Inland zulassen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt und die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar ist:

1. im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen (§ 2 Abs. 1 Z 17) zur Wahrung des Kindeswohls oder

2. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im

Sinne des Art. 8 EMRK (§ 11 Abs. 3).

Die Stellung eines solchen Antrages ist nur bis zur Erlassung des Bescheides zulässig. Über diesen Umstand ist der Fremde zu belehren.

(4) ...

(6) Eine Inlandsantragstellung nach Abs. 2 Z 1, Z 4 bis 10, Abs. 3 und 5 schafft kein über den erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht. Ebenso steht sie der Erlassung und Durchführung von Maßnahmen nach dem FPG nicht entgegen und kann daher in Verfahren nach dem FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten.

...

...Aufenthaltstitel ‚Familienangehöriger'

und ‚Niederlassungsbewilligung - Angehöriger'

§ 47. (1) ...

(3) Angehörigen von Zusammenführenden kann auf Antrag eine ‚Niederlassungsbewilligung - Angehöriger' erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

  1. 1. ...
  2. 2. ...
  3. 3. sonstige Angehörige des Zusammenführenden sind,

    a) die vom Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat

    Unterhalt bezogen haben,

    b) ..."

    11 Zunächst wird festgehalten, dass die außerordentliche Revision rechtzeitig erhoben wurde. Dem in den Verwaltungsakten befindlichen Rückschein zufolge wurde das angefochtene Erkenntnis dem Revisionswerber - entgegen dem Vorbringen in der Revisionsbeantwortung - am 29. August 2016 zugestellt. Die Revision wurde am 10. Oktober 2016 persönlich und somit fristgerecht eingebracht.

    12 Der Verwaltungsgerichtshof sprach mit Erkenntnis vom 19. November 2014, Ra 2014/22/0010 bis 0014, aus, dass die fehlende Bestimmtheit des Zeitraumes, für den der Aufenthaltstitel erteilt werden soll, das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit belastet. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen. Da auch für den Aufenthaltstitel "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" gemäß § 47 Abs. 3 NAG keine gesetzliche Festlegung der Dauer der Bewilligung besteht, ist die Dauer, für die der beantragte Aufenthaltstitel erteilt werden soll, nicht eindeutig bestimmbar.

Indem das LVwG keine Geltungsdauer für den erteilten Aufenthaltstitel festlegte, erweist sich das angefochtene Erkenntnis bereits aus diesem Grund als rechtswidrig.

13 Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

Abgesehen davon, dass das LVwG fallbezogen zu Unrecht vom Vorliegen eines Antrages gemäß § 21 Abs. 3 NAG ausging, fällt eine Konstellation wie die vorliegende, in welcher der Antrag zulässigerweise im Inland gestellt wurde, nicht in den Anwendungsbereich des § 21 Abs. 1 und 3 leg. cit. 14 Vielmehr ließ das LVwG unberücksichtigt, dass der Mitbeteiligte die Dauer seines erlaubten visumfreien Aufenthalts überschritt, und dadurch der Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG verwirklicht wurde (vgl. VwGH 22.2.2018, Ra 2017/22/0154). Besonders berücksichtigungswürdige Gründe im Sinn des § 11 Abs. 3 NAG, aufgrund derer der Aufenthaltstitel trotz Vorliegen des Versagungsgrundes der Überschreitung des visumfreien Aufenthalts aus Gründen des Privat- und Familienlebens erteilt werden könnte, sind dem angefochtenen Erkenntnis nicht zu entnehmen. Dass der volljährige Mitbeteiligte bei seinen Großeltern, die sich um ihn kümmern, leben und hier einer Beschäftigung nachgehen möchte, stellt keinen derart berücksichtigungswürdigen Grund dar, der geeignet wäre, ein Überwiegen seiner Interessen gegenüber der Einhaltung fremdenrechtlicher Bestimmungen darzulegen.

15 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 22. März 2018

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