VwGH Ra 2017/21/0135

VwGHRa 2017/21/013521.12.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision des A M in K, vertreten durch Dr. Manfred Angerer, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Neuer Platz 5/III, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26. Juni 2017, W159 1427582-2/9E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Festsetzung einer Ausreisefrist und Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs1;
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z5;
BFA-VG 2014 §9 Abs2;
BFA-VG 2014 §9 Abs3;
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §52 Abs9;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

1. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 richtet, zurückgewiesen.

2. zu Recht erkannt:

Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Somalia, reiste spätestens im Juli 2011 nach Österreich ein und stellte hier einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 18. Juni 2012 vollinhaltlich ab und wies den Revisionswerber nach Somalia aus.

Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 10. Juni 2016, Asyl und subsidiären Schutz betreffend, als unbegründet ab. Im Übrigen verwies es "das Verfahren" gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurück.

Mit Bescheid vom 9. Mai 2017 sprach das BFA sodann aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde. Unter einem erließ es gegen den Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Somalia zulässig sei und setzte die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 26. Juni 2017 als unbegründet ab und es sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gegen sein Erkenntnis gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

 

Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:

Hat das Verwaltungsgericht - so wie hier das BVwG - in seinem Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist, hat die Revision zufolge § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision). Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof dann im Rahmen dieser vorgebrachten Gründe zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

In Bezug auf die Entscheidung nach § 57 AsylG 2005 fehlt es gänzlich an einem entsprechenden Vorbringen in der vorliegenden Revision. Insoweit war sie daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG - in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - als unzulässig zurückzuweisen.

Im Übrigen - die Rückkehrentscheidung und die damit im Zusammenhang stehenden Aussprüche betreffend - erweist sich die Revision aber als zulässig und berechtigt.

Die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, insbesondere der hier in Rede stehenden Rückkehrentscheidung, setzt nach § 9 Abs. 1 BFA-VG unter dem dort genannten Gesichtspunkt eines Eingriffs in das Privat- und/oder Familienleben voraus, dass ihre Erlassung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Im Zuge dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. grundlegend zur seit dem 1. Jänner 2014 geltenden Rechtslage VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101, Punkte 3.2. und 3.3. der Entscheidungsgründe).

Im Rahmen der so gebotenen Interessenabwägung kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter dem Gesichtspunkt der Bindungen zum Heimatstaat (§ 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG) auch der Frage Bedeutung zukommen, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann (vgl. das eben genannte Erkenntnis VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101, Punkte 4.1. und 4.2. der Entscheidungsgründe; siehe darauf bezugnehmend etwa auch VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119, am Ende von Punkt 2.3. der Entscheidungsgründe).

Vor diesem Hintergrund hatten sich das BFA und das BVwG, die beide davon ausgegangen sind, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen Eingriff in das Privatleben des Revisionswerbers darstelle, im vorliegenden Fall mit der notorischen Dürrekatastrophe in Somalia und der dort vorherrschenden Nahrungsmittelknappheit auseinanderzusetzen (VwGH 31.8.2017, Ra 2016/21/0296, Rn. 11).

Das BFA hat dieser Verpflichtung nur insoweit entsprochen, als es Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des Revisionswerbers traf, in deren Rahmen auch Abschnitte betreffend "Dürre" enthalten sind. Folgerungen für die konkrete Situation des Revisionswerbers wurden daraus aber nicht einmal ansatzweise getroffen.

Das BVwG wiederholte die (allgemeinen) Feststellungen des BFA zur Dürre in Somalia. Schon dazu ist allerdings anzumerken, dass diese Feststellungen zwar auf Berichten beruhen, die bis in den Jänner 2017 reichen; es wären dem BVwG allerdings noch aktuellere Unterlagen zur Verfügung gestanden, wozu etwa auf eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Thema "Somalia Versorgung mit Grundnahrungsmitteln in Mogadischu" vom 7. Juni 2017 zu verweisen ist. Gerade angesichts der bekanntermaßen volatilen Situation in Somalia wäre es Aufgabe des BVwG gewesen, auf aktuellste Grundlagen zurückzugreifen. Dass dies unterblieben ist, ist fallbezogen insoweit relevant, als es in der erwähnten Anfragebeantwortung zusammenfassend heißt, den verarbeiteten Quellen sei zu entnehmen, dass Somalia mit einer Hungersnot konfrontiert sei, die auch Mogadischu betreffe, "wo täglich viele Menschen eintreffen, die der anhaltenden Dürre entfliehen wollen". Insoweit ist - gemessen am vom BVwG verwerteten Berichtsmaterial - auf eine Verschärfung der krisenhaften Situation in Somalia, auch in Mogadischu, zu schließen.

Dem BVwG ist dann zwar zuzugestehen, dass es - anders als das BFA - auch die individuelle Situation des Revisionswerbers vor dem Hintergrund der vorherrschenden Dürre in Somalia in den Blick nahm; es führte aus, er würde im Falle einer Rückkehr nach Mogadischu zu seiner dort lebenden Familie (Eltern und zwei Geschwister) "gehen"; diese könne aber offenbar trotz der Dürre die lebensnotwendigen Bedürfnisse befriedigen, weil der Revisionswerber "in diesem Zusammenhang" nichts Gegenteiliges berichtet habe und weil seine Familie nicht von der Landwirtschaft abhänge.

Diese Überlegungen mögen angesichts der Angaben des Revisionswerbers vor dem BFA insgesamt nicht unplausibel sein. Es trifft aber im Sinn der Zulassungsausführungen der gegenständlichen Revision zu, dass die Versorgungssicherheit der Familie des Revisionswerbers vom BFA nie erörtert geschweige denn festgestellt wurde; auch der Revisionswerber selbst hat sich dazu nicht geäußert. Von daher handelt es sich bei der dargestellten Überlegung des BVwG um einen auf neuen Tatsachenannahmen beruhenden Gesichtspunkt, sodass vor dem Hintergrund der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kein geklärter Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG vorlag und damit die Durchführung der ausdrücklich beantragten Beschwerdeverhandlung erforderlich gewesen wäre (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, VwSlg. 18863 A, insbesondere Punkt 5.12. der Entscheidungsgründe). Mit dem Vorbringen in der Revision, es fehle der Familie des Revisionswerbers auf Grund der anhaltenden Dürre in Somalia an der nötigen Grundversorgung, was auf den Revisionswerber "durchschlage", wird auch die Relevanz des dargestellten Verfahrensfehlers ausreichend dargetan, weshalb das angefochtene Erkenntnis, betreffend die Rückkehrentscheidung und die damit zusammenhängenden Aussprüche, gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 50 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 21. Dezember 2017

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