VwGH Ra 2017/18/0118

VwGHRa 2017/18/011827.6.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Februar 2017, Zl. W185 2146641- 1/5E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: M J alias M B J alias M T in W, vor dem Bundesverwaltungsgericht vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §13 Abs3;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017180118.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Gambias, stellte am 29. Juli 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Im Zuge der Erstbefragung gab er an, am 2. Februar 2000 geboren und somit minderjährig zu sein. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ging im weiteren Verfahren jedoch davon aus, dass der Mitbeteiligte schon bei Antragstellung volljährig gewesen sei. Dabei stützte sich die Behörde vor allem darauf, dass der Mitbeteiligte in früheren Asylverfahren in Norwegen und Italien als volljährig behandelt worden sei.

2 Nach Konsultationen mit den zuständigen italienischen Behörden erließ das BFA den Bescheid vom 13. Jänner 2017, mit dem der Antrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 wegen Zuständigkeit Italiens als unzulässig zurückgewiesen wurde. Gleichzeitig ordnete das BFA die Außerlandesbringung des Mitbeteiligten an und stellte fest, dass die Abschiebung nach Italien zulässig sei.

3 Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten vom 27. Jänner 2017 gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG statt und hob den bekämpften Bescheid auf. Die Revision wurde für nicht zulässig erklärt.

4 Begründend führte das BVwG aus, es bestünden begründete Zweifel daran, dass der Mitbeteiligte zum Zeitpunkt der Antragstellung volljährig gewesen sei. Er habe im Verfahren durchgehend angegeben, am 2. Februar 2000 geboren worden und somit minderjährig zu sein. Das behauptete Geburtsdatum finde sich auch in dem im Original vorgelegten Auszug aus dem gambischen Geburtenregister; eine Urkunde, die im Rahmen einer veranlassten Überprüfung nicht als Fälschung habe erkannt werden können. Es gebe keine Erläuterungen der italienischen oder norwegischen Behörden dafür, warum diese zu den (volljährigen) Altersangaben gekommen seien. Insbesondere gebe es auch keine Hinweise für eine erfolgte medizinische Altersfeststellung in einem dieser Länder. Die Erklärung des Mitbeteiligten, wie es in den Vorverfahren zu einer - nicht den Tatsachen entsprechenden - Alterseinschätzung gekommen sei, habe nicht widerlegt werden können. Das vom BFA eingeholte multifaktorielle Altersgutachten habe zwar ein wahrscheinliches Alter des Mitbeteiligten von 18,44 Jahren ergeben. Es sei jedoch auch festgehalten worden, dass ein Mindestalter von 17,04 Jahren bei Antragstellung in Österreich möglich wäre. Auch nach der medizinischen Altersdiagnose bestünden somit begründete Zweifel an der Volljährigkeit des Mitbeteiligten zum Zeitpunkt der Antragstellung, weshalb gemäß § 13 Abs. 3 BFA-VG von der Minderjährigkeit des Mitbeteiligten auszugehen sei.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Amtsrevision.

6 Zur Zulässigkeit der Revision wird darin geltend gemacht, das BVwG habe in seiner Beweiswürdigung zum Alter des Mitbeteiligten und der Begründung seiner Entscheidung nicht alle in Betracht kommenden Umstände berücksichtigt. Auch fehle "explizite Rechtsprechung" des Verwaltungsgerichtshofes, ob die Zweifelsregel des § 13 Abs. 3 BFA-VG jedenfalls zur Anwendung gelangen müsse, wenn eine Minderjährigkeit der Person zum Antragszeitpunkt nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne. Im Übrigen sei das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es unter Zugrundelegung seiner Ansicht, der Mitbeteiligte müsse als minderjährig behandelt werden, dessen Beschwerde nicht inhaltlich hätte behandeln dürfen. Die Zustellung des angefochtenen Bescheides sei nämlich an den minderjährigen Mitbeteiligten, nicht aber an seinen gesetzlichen Vertreter erfolgt. Aus der Aktenlage ergebe sich auch nicht, dass dieser Zustellmangel nachträglich geheilt wäre. Der Bescheid sei daher nicht rechtswirksam erlassen worden und es wäre die Beschwerde des Mitbeteiligten mangels eines tauglichen Anfechtungsgegenstandes als unzulässig zurückzuweisen gewesen.

7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

8 Im vorliegenden Fall ging das BVwG beweiswürdigend davon aus, dass begründete Zweifel an der Volljährigkeit des Mitbeteiligten bestünden. Dabei stützte es sich vor allem darauf, dass nach dem eingeholten Altersgutachten ein Mindestalter des Mitbeteiligten von unter 18 Jahren (bei Antragstellung in Österreich) bestanden haben könne, der Mitbeteiligte ein solches im Verfahren stets behauptet habe und er auch einen entsprechenden urkundlichen Nachweis dafür vorgelegt habe, der nicht als Fälschung zu identifizieren gewesen sei.

9 Die Amtsrevision bezweifelt all dies nicht, sondern verweist auf andere Beweisergebnisse, die nach ihrem Dafürhalten für die Volljährigkeit des Mitbeteiligten sprächen. Eine Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung des BVwG wird damit allerdings nicht aufgezeigt; nur eine solche könnte aber nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung begründen (vgl. etwa VwGH vom 10. April 2017, Ra 2017/01/0088, mwN). In diesem Zusammenhang ist insbesondere darauf zu verweisen, dass die vom BFA ins Treffen geführten Ermittlungsergebnisse aus vorangegangenen Asylverfahren in anderen Staaten der Europäischen Union auch der Asylbehörde selbst offenkundig nicht ausreichten, um gesicherte Aussagen zur Volljährigkeit des Mitbeteiligten zu treffen, wäre doch sonst die Einholung eines Altersgutachtens nach der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 13 Abs. 3 BFA-VG nicht erforderlich gewesen (vgl. etwa VwGH vom 25. Februar 2015, Ra 2014/20/0045, vom 25. Februar 2016, Ra 2016/19/0007, und vom 28. März 2017, Ra 2016/01/0267). Dem angefochtenen Erkenntnis haften entgegen dem Revisionsvorbringen auch keine Begründungsmängel an, die eine nachprüfende Kontrolle der angefochtenen Entscheidung hindern würden.

10 Soweit die Amtsrevision geltend macht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für die Anwendung der Zweifelsregel des § 13 Abs. 3 letzter Satz BFA-VG, ist ihr zu erwidern, dass die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Rechtssätze ausreichen, um die angesprochene Rechtsfrage im Revisionsfall zu lösen. So hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt erkannt, dass im Zweifel von den Angaben des Asylwerbers zu seinem Geburtsdatum (Alter) auszugehen ist, wenn weder nach den sonst vorliegenden Ermittlungsergebnissen noch aufgrund des eingeholten Altersgutachtens hinreichend gesicherte Aussagen zur Volljährigkeit des Asylwerbers möglich sind (vgl. VwGH vom 16. April 2007, 2005/01/0463, zur vergleichbaren Rechtslage vor dem FrÄG 2009, bzw. etwa das bereits zitierte Erkenntnis des VwGH vom 25. Februar 2015, Ra 2014/20/0045, zur aktuellen Rechtslage). Von diesen rechtlichen Leitlinien ist das BVwG im vorliegenden Fall nicht abgewichen.

11 Auch das weitere Vorbringen der Amtsrevision, das BVwG hätte die Beschwerde des Mitbeteiligten ausgehend von dessen Minderjährigkeit zurückweisen müssen, weil der angefochtene Bescheid diesfalls nicht rechtswirksam erlassen worden sei, vermag ihre Zulässigkeit nicht zu begründen: Wie die zur Klärung des Vorliegens einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten ergänzenden Ermittlungen ergaben (das BFA nahm dazu im Rahmen des eingeräumten Parteiengehörs nicht Stellung), kam die dem Mitbeteiligten übermittelte Ausfertigung des Bescheides des BFA dem gesetzlichen Vertreter des Mitbeteiligten, nämlich dem im Zulassungsverfahren bestellten Rechtsberater (§ 10 Abs. 3 BFA-VG), am 24. Jänner 2017 vor Einbringung der Beschwerde an das BVwG tatsächlich zu. Die mangelhafte Zustellung des Bescheides an den minderjährigen Mitbeteiligten wurde dadurch gemäß § 9 Abs. 3 ZustG geheilt (vgl. etwa VwGH vom 11. Dezember 2013, 2012/08/0221, mwN). Der Bescheid des BFA vom 13. Jänner 2017 war somit rechtswirksam erlassen, weshalb das BVwG die dagegen erhobene Beschwerde auch zu Recht inhaltlich behandelt hat.

12 Die Amtsrevision war aus diesen Gründen wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG zurückzuweisen.

Wien, am 27. Juni 2017

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