Normen
ASchG 1994 §130 Abs5 Z1;
BArbSchV 1994 §82 Abs6;
VStG §45 Abs1 Z2;
VStG §5 Abs1;
VStG §5;
VStG §9 Abs1;
VStG §9 Abs2;
VwGG §21 Abs1 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §48 Abs2;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017020240.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Das Kostenersatzbegehren des Magistrates der Stadt Wien wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 4. April 2016 wurde der Mitbeteiligte als der für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften bestellte verantwortliche Beauftragte einer näher bezeichneten Gesellschaft zweier arbeitnehmerschutzrechtlicher Übertretungen nach § 130 Abs. 5 Z 1 ASchG iVm § 82 Abs. 6 Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) schuldig erkannt. Über ihn wurde eine Geldstrafe von insgesamt EUR 16.800,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 1 Monat, 1 Woche, 5 Tage) verhängt.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten Folge, hob den angefochtenen Bescheid auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG ein. Die ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt.
3 In der Begründung gab das Verwaltungsgericht den Spruch des Straferkenntnisses, den Inhalt der Beschwerde sowie die Angaben der in der mündlichen Verhandlung vernommenen Personen wieder.
4 Das Verwaltungsgericht stellte folgenden Sachverhalt fest:
5 Am 11.11.2015 seien von der P. GmbH Bauarbeiten (Schalungsarbeiten) durchgeführt worden, wobei die beiden Arbeitnehmer Erich B. und Smiljan M. ein großflächiges Schalungselement (270 cm Höhe und 210 cm Breite, Gewicht ca. 382 kg) im Kellergeschoß, im Bereich der Ausfahrtsrampe der Garage, nicht standsicher aufgestellt hätten. Das großflächige Schalungselement sei nämlich nicht an beiden seitlichen Enden oberhalb seines Schwerpunktes abgestützt worden. Das Schalungselement sei vom Anschlagmittel des Hebezeuges (Kran) abgehängt worden, obwohl keine wirksamen Abstützungen vorhanden gewesen seien. Der Arbeitnehmer Erich B. habe beim Umstürzen des großflächigen Schalungselementes tödliche Verletzungen erlitten; der Arbeitnehmer Smiljan M. sei verletzt worden.
6 Großflächige Schalungselemente müssten auf ebenen tragfähigen Flächen standsicher aufgestellt sein. Es müssten zugfeste Abspannungen, zugfeste Verankerungen oder druckfeste Abstützungen angebracht sein. Jedes Schalungselement müsse an beiden seitlichen Enden oberhalb seines Schwerpunktes abgestützt werden. Schalungselemente dürften vom Anschlagmittel des Hebezeuges erst abgehängt werden, wenn die Abstützungen wirksam seien.
7 Es sei während des gesamten Verwaltungsstrafverfahrens unbestritten geblieben, dass es im Zuge der Schalungsarbeiten zur Tatzeit am Tatort zu einem schweren Arbeitsunfall gekommen sei, bei dem Erich B. tödlich verunglückt sei. Der zweite Arbeitnehmer Smiljan M. sei verletzt worden. Im Zuge des Verfahrens sei dabei geltend gemacht worden, dass Erich B., ein erfahrener "Schalungsarbeiter", aufgrund einer folgenschweren Fehlhandlung das Schalungselement verfrüht abgehängt habe, welches daraufhin umstürzte und Erich B. tödlich verletzt habe.
8 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht nach Darstellung der von ihm als maßgebend erachteten Rechtslage aus, das gesamte Vorbringen des Mitbeteiligten gehe im Wesentlichen "in die Richtung", dass ihn kein Verschulden treffe. Es sei daher anhand dieses Vorbringens zu beurteilen, ob dem Mitbeteiligten die Glaubhaftmachung mangelnden Verschuldens gelungen sei.
9 Der Mitbeteiligte habe in diesem Zusammenhang vorgebracht, dass der tödlich verunglückte Erich B. bereits die Lehre in der P. GmbH absolviert habe und ausgebildeter Schalungsbauer gewesen sei. Auch der verletzte Smiljan M. sei Facharbeiter und ständig im Schalungsbau eingesetzt. Eine gesetzeskonforme Unterweisung beider habe stattgefunden. Beide seien Facharbeiter. Darüber hinaus würden alljährliche Sicherheitsschulungen stattfinden.
10 Den schweren Bedienungsfehler des tödlich verunglückten Erich B. beschreibe der Mitbeteiligte - nicht unschlüssig - als eine Art "Blackout". Es handle sich um einen folgenschweren Fehler in der Manipulation des Schalungselementes, der aufgrund der Ausbildung und Erfahrung des tödlich Verunglückten (es handle sich um einen ausgebildeten Schalungsbauer) de facto unerklärlich sei.
11 Das Schalungselement sei kurz vor dem Arbeitsunfall noch an der Krankette angehängt und daher gesichert gewesen. Es sei jedoch von Erich B. vorzeitig abgehängt worden, sodass dieses Schalungselement in vorhersehbarer Weise umfallen habe müssen. Der tödlich Verunglückte habe nämlich - obwohl ihm die möglichen Folgen dieses Bedienungsfehlers klar sein hätten müssen - den Kranhaken vom Schalungselement entfernt, obwohl die Klammern und die Abstützungen noch nicht angebracht gewesen seien. Dieser schwere Bedienungsfehler habe zu dem tödlichen Arbeitsunfall führen müssen.
12 Der Mitbeteiligte habe auf umfangreiche Belehrungen hingewiesen und dies durch Beweismittel untermauert. Er habe auch ein Kontrollsystem dargestellt.
13 Im Zusammenhang mit dem "umfangreich dargestellten technischen Vorgang", dem Aufstellen eines Schalungselementes, erhebe sich die Frage, welches Alternativverfahren des Mitbeteiligten den verfahrensgegenständlichen Arbeitsunfall hätte vermeiden können. Klare Versäumnisse seien ihm jedoch nicht vorzuwerfen. Die betroffenen Arbeitnehmer seien ausreichend belehrt worden und zusätzlich erfahrene Schalungsarbeiter.
14 Der Beschwerde des Mitbeteiligten sei daher spruchgemäß Folge zu geben und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens zu verfügen gewesen.
15 Dagegen richtet sich die gemäß § 13 ArbIG erhobene Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.
16 Der Magistrat der Stadt Wien beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision unter Zuerkennung des Aufwandersatzes stattzugeben.
17 Der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet und die kostenpflichtige Ab- bzw. Zurückweisung der Revision beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
18 Der revisionswerbende Bundesminister erachtete die Revision deshalb als zulässig, weil entgegen der näher angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Entscheidungsbegründung des Landesverwaltungsgerichtes keine einzige konkrete Feststellung zu entnehmen sei, die einen rechtlichen Schluss auf das Vorliegen eines wirksamen Kontrollsystems im Sinne der von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an ein solches zuließe.
19 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
20 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Ausgestaltung des Kontrollsystems entlastet schlichtes "Vertrauen" darauf, dass sich ein Arbeitnehmer weisungskonform verhalte, den Arbeitgeber nicht. Das entsprechende Kontrollsystem hat gemäß der ständigen hg. Judikatur auch für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften Platz zu greifen. Im Rahmen eines funktionierenden Kontrollsystems kann es kein Vertrauen darauf geben, dass die eingewiesenen, laufend geschulten und ordnungsgemäß ausgerüsteten Arbeitnehmer die Arbeitnehmerschutzvorschriften einhalten. Vielmehr ist es für die Darstellung eines wirksamen Kontrollsystems erforderlich, unter anderem aufzuzeigen, welche Maßnahmen im Einzelnen der unmittelbar Übergeordnete im Rahmen des Kontrollsystems zu ergreifen verpflichtet war, um durchzusetzen, dass jeder in dieses Kontrollsystem eingebundene Mitarbeiter die arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften auch tatsächlich befolgt und welche Maßnahmen schließlich der an der Spitze der Unternehmenshierarchie stehende Anordnungsbefugte vorgesehen hat, um das Funktionieren des Kontrollsystems insgesamt zu gewährleisten, das heißt sicherzustellen, dass die auf der jeweils übergeordneten Ebene erteilten Anordnungen (Weisungen) zur Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften auch an die jeweils untergeordnete, zuletzt also an die unterste Hierarchie-Ebene gelangen und dort auch tatsächlich befolgt werden. Wie der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls bereits ausgesprochen hat, vermag auch das Hinzutreten eines - allenfalls auch krassen - Fehlverhaltens eines Arbeitnehmers, das in der Folge zu einem Arbeitsunfall geführt hat, am Verschulden des Arbeitsgebers an einer nicht erfolgten Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems nichts zu ändern (vgl. VwGH 9.6.2017, Ra 2017/02/0068, mwN).
21 Nach der Rechtsprechung vermögen Schulungen und Betriebsanweisungen als Vorsorge gegebenenfalls ein Kontrollsystem zu unterstützen, aber nicht zu ersetzen. Belehrungen, Arbeitsanweisungen oder stichprobenartige Kontrollen reichen ebenfalls nicht aus, die Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems glaubhaft zu machen (VwGH 7.3.2016, Ra 2016/02/0030). Auch ersetzt der Hinweis auf bisher tadellos arbeitende Mitarbeiter nicht die nähere Darlegung eines wirksamen Kontrollsystems, das gewährleistet, dass unter vorhersehbaren Verhältnissen mit gutem Grund die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften erwartet werden kann (VwGH 19.4.2017, Ra 2017/02/0036, mwN).
22 Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung und in Anbetracht der Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis, denen sich kein den dargestellten Anforderungen entsprechendes konkretes Kontrollsystem entnehmen lässt, war der vom Verwaltungsgericht gezogene rechtliche Schluss, den Mitbeteiligten treffe kein Verschulden an der Nichteinhaltung der in Rede stehenden Arbeitnehmerschutzvorschriften, unbegründet.
23 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
24 Nach § 48 Abs. 2 VwGG hat der Magistrat der Stadt Wien als Partei im Sinne des § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG (belangte Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht, wenn nicht von ihr selbst Revision erhoben wird) Anspruch auf Aufwandersatz lediglich im Fall der Abweisung der Revision (VwGH 28.5.2015, Ra 2014/07/0018). Zudem kommt - wovon im Revisionsfall auszugehen ist - im Falle der Identität des Rechtsträgers, dem der Kostenersatz aufzuerlegen wäre, mit jenem Rechtsträger, dem er zuzusprechen wäre, ein Zuspruch von Kosten nicht in Betracht (VwGH 31.7.2014, Ro 2014/02/0046, mwN). Das Kostenbegehren des Magistrates der Stadt Wien war daher abzuweisen.
Wien, am 4. Juli 2018
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