VwGH Ra 2017/02/0149

VwGHRa 2017/02/014925.9.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision des M in B, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 9. Juni 2016, Zl. LVwG-601138/11/FP/Bb, betreffend Übertretung der StVO (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Braunau),

Normen

B-VG Art133 Abs4;
StGB §33;
StVO 1960 §52 lita Z10a;
StVO 1960 §99 Abs2e;
StVO 1960 §99;
VStG §19 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017020149.L00

 

Spruch:

I. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird hinsichtlich der Bestrafung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Das Land Oberösterreich hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht den Revisionswerber gemäß § 52 lit. a Z 10a StVO einer Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 79 km/h schuldig erachtet und über ihn gemäß § 99 Abs. 2e StVO eine Geldstrafe von EUR 430,-- (Ersatzfreiheitsstrafe sechs Tage) verhängt.

2 Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 23. Februar 2017, E 1319/2016-9, abgelehnt und die Beschwerde über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 20. April 2017, E 1319/2016-11, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

3 In der Folge erhob der Revisionswerber die vorliegende Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

4 Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet und die kostenpflichtige Ab- bzw. Zurückweisung der Revision beantragt.

 

5 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Das Verwaltungsgericht hat dem Revisionswerber unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH vom 28. März 2008, 2007/02/0325) und des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 10.211) die Einsicht in jenen Verordnungsakt versagt, gemäß dem die Verordnung erlassen wurde, die die Grundlage für die Bestrafung des Revisionswerbers wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung (§ 52 lit. a Z 10a StVO) war.

7 Nach den vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidungen stellt das Verfahren zur Erlassung einer im § 43 StVO genannten Verordnung kein Verwaltungsverfahren dar, an dem ein Beschwerdeführer eines Verwaltungsstrafverfahrens als Partei beteiligt ist. Es kommt somit dem Beschwerdeführer kein Recht auf Akteneinsicht in den Verordnungsakt betreffend eine Verkehrsbeschränkung zu. Durch die Abweisung eines Antrages auf Einsicht in einen solchen Verordnungsakt erfolgt keine Verletzung in Rechten (vgl. VwGH vom 8. März 2017, Ra 2017/02/0042).

8 Im Revisionsfall bestand nach dem Gesagten kein Anspruch auf Einsicht in den Akt über die Geschwindigkeitsbeschränkung, gemäß dem die Verordnung erlassen wurde.

9 Anders als der Revisionswerber meint, existiert Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Auswirkungen des Fernbleibens der vor das Verwaltungsgericht geladenen belangten Behörde (vgl. etwa jüngst VwGH vom 25. August 2017, Ra 2017/17/0389, und viele andere), in der der Verwaltungsgerichtshof der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes folgend (vgl. das Erkenntnis vom 14. März 2017, E 3282/2016, unter Bezug auf den Fall "Karelin", EGMR 20. September 2016, Appl. 926/08) keinen Widerspruch des für die Verwaltungsgerichte anzuwendenden Amtswegigkeitsprinzips zu der in Art. 6 EMRK normierten Unparteilichkeit des erkennenden Gerichtes auch bei Abwesenheit der belangten Behörde erblickt.

10 Sieht der Revisionswerber in der Unterlassung der Verkündung der Entscheidung einen Verstoß gegen § 29 VwGVG, ist er darauf zu verweisen, dass das VwGVG für Verfahren in Verwaltungsstrafsachen (2. Abschnitt), ein solches ist Verfahrensgegenstand, eine eigene Bestimmung für die Verkündung des Erkenntnisses vorsieht (§ 47 Abs. 4). Die Verletzung dieser Norm hat der Revisionswerber nicht behauptet.

Die Revision war daher hinsichtlich des erfolgten Schuldspruches mangels Darlegung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung zurückzuweisen.

11 Die Revision ist jedoch aus folgenden Gründen zulässig und hinsichtlich des Strafausspruches auch berechtigt:

12 Rügt der Revisionswerber die Strafbemessung, handelt es sich dabei im Regelfall um eine einzelfallbezogene Abwägung, die im Allgemeinen keine grundsätzliche Rechtsfrage darstellt (vgl. beispielsweise VwGH vom 9. Juni 2017, Ra 2017/02/0018, mwN).

13 Allerdings hat das Verwaltungsgericht im Revisionsfall gegen das Doppelverwertungsverbot verstoßen, wonach die für den Tatbestand oder den Strafsatz relevanten Umstände nicht noch zusätzlich als Strafzumessungsgründe berücksichtigt werden dürfen (vgl. VwGH vom 6. Juli 2015, Ra 2015/02/0042.

14 Da im Revisionsfall das Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung bereits für den anzuwendenden Strafsatz relevant ist (vgl. § 99 Abs. 2e StVO), hätte das Verwaltungsgericht dem Revisionswerber die konkrete Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit nicht noch als außergewöhnlich hohes Verschulden anlasten dürfen. Der Gesetzgeber hat diese Umstände bereits durch die Gliederung der Absätze in § 99 StVO mit ihren unterschiedlichen Strafrahmen entsprechend gewichtet.

15 Bei der neuerlichen Strafbemessung wird das Verwaltungsgericht auch die von ihm festgestellte Unbescholtenheit des Revisionswerbers ins Kalkül zu ziehen haben.

16 Das angefochtene Erkenntnis war daher im vorbezeichneten Umfang wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

17 Die Entscheidung über den Aufwandersatz erfolgte gemäß §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2013.

Wien, am 25. September 2017

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