VwGH Ra 2017/02/0135

VwGHRa 2017/02/013525.9.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision des O in F, vertreten durch Dr. Peter Sellemond, Dr. Walter Platzgummer, Mag. Robert Sellemond, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Speckbacherstraße 25, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 10. Mai 2017, Zlen. LVwG- 2017/13/0286-4, LVwG-2017/13/0287-4, betreffend Übertretung der StVO (Partei gemäß § 21 Abs. 2 Z 1 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Innsbruck), zu Recht erkannt:

Normen

StVO 1960 §5 Abs2;
StVO 1960 §5 Abs4a;
StVO 1960 §5 Abs5 Z1;
StVO 1960 §5 Abs5 Z2;
StVO 1960 §5 Abs6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird hinsichtlich Spruchpunkt A) (Bestätigung des Straferkenntnisses der Bezirkshautmannschaft Innsbruck vom 9. Jänner 2017, Zl. VA-740-2016) wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht in Punkt A) (Punkt B) betrifft ein zu hg. Ra 2017/11/0161 erledigtes Führerscheinentzugsverfahren) den Revisionswerber schuldig erachtet, er habe ein Fahrzeug in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt und sich nach Aufforderung eines besonders geschulten und von der Behörde hierzu ermächtigten Organs der Straßenaufsicht geweigert, sich einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden, bei einer Landespolizeidirektion tätigen, bei einer öffentlichen Krankenanstalt diensthabenden oder im Sinne des § 5a Abs. 4 StVO ausgebildeten und von der Landesregierung hierzu ermächtigten Arzt zur Blutabnahme zum Zwecke der Bestimmung des Blutalkoholgehaltes vorführen zu lassen. Eine Untersuchung der Atemluft durch Alkoholgehalt sei aus in seiner Person gelegenen Gründen nicht möglich gewesen. Dadurch habe der Revisionswerber eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 1 lit b StVO in Verbindung mit § 5 Abs. 4a StVO begangen, weshalb über ihn eine Geldstrafe in Höhe von EUR 1.600,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 14 Tage) verhängt wurde.

2 Den Feststellungen in der Begründung dieses Erkenntnisses ist zu entnehmen, dass der Revisionswerber aufgrund seiner auffälligen Fahrweise von zwei Polizeibeamten zu einer Verkehrskontrolle angehalten worden sei. Beide Beamte hätten beim Beschwerdeführer sofort starken Alkoholgeruch wahrgenommen. Nach einem positiven Alkovortest (2,22 Promille) sei der Revisionswerber zur Durchführung des Alkomattests aufgefordert worden. Da der im Fahrzeug der Beamten mitgeführte Alkomat einen technischen Defekt angezeigt habe, habe der Revisionswerber die Beamten zur Polizeiinspektion Wattens begleitet. Dort sei der Revisionswerber über allfällig eingenommene Medikamente, verwendete Zahnhaftcreme sowie über seinen Alkoholgenuss vor dem Lenkzeitpunkt befragt worden. Der Revisionswerber habe angegeben, eine bestimmte Menge Bier getrunken, Tabletten eingenommen und die Zahnhaftcreme "Fittydent" verwendet zu haben. Der Revisionswerber habe nicht angeben können, ob die Zahnhaftcreme alkoholfrei sei. Eine Nachschau der Beamten im Internet habe ergeben, dass es verschiedene Zahnhaftcremen von "Fittydent" gebe, nämlich alkoholhältige und nicht alkoholhältige. Aufgrund dieser Tatsache habe ein Beamter den Revisionsbewerber - einer internen polizeilichen Dienstanweisung folgend - zu einer Blutabnahme zum Zweck der Bestimmung des Blutalkoholgehaltes aufgefordert. Nach der internen polizeilichen Dienstanweisung sei eine Alkomatmessung bei einer behaupteten Verwendung einer Zahnhaftcreme nur dann durchzuführen, wenn der Proband unzweifelhaft glaubhaft machen könne, dass das von ihm verwendete Produkt frei von Alkohol sei. In allen anderen Fällen sei der Proband zu einer Blutabnahme aufzufordern, weil die Verwendung einer alkoholhältigen Zahnhaftcreme das Alkomatmessergebnis verfälschen könne. Aufgrund dieser Aufforderung zur Blutabnahme sei der Revisionswerber zunächst der Meinung gewesen, dass ihm Blut von einem Beamten abgenommen werde. Daraufhin sei aufgeklärt worden, dass ein zu verständigender Sprengelarzt die Untersuchung durchführen werde. Der Revisionswerber habe erwidert, dass er Bluter und Herzinfarktpatient sei und er aus gesundheitlichen Gründen einer Blutabnahme nicht zustimmen werde. Er wäre jedoch bereit, den Alkomattest durchzuführen. Dem Revisionswerber sei daraufhin erklärt worden, dass der Beamte aufgrund einer internen polizeilichen Dienstanweisung einen Alkomattest bei Verwendung einer Zahnhaftcreme, von der unbekannt sei, ob sie alkoholfrei oder nicht alkoholfrei sei, nicht durchführen dürfe. Außerdem sei der Revisionswerber darüber aufgeklärt worden, dass von einer Verweigerung der Blutabnahme auszugehen sei, wenn er der Durchführung der Blutabnahme nicht zustimme. Letztlich habe der Revisionswerber erklärt, dass er sich von niemanden Blut abnehmen lasse. Die Beamten seien daher von einer Verweigerung der Vorführung zur Blutabnahme zum Zweck der Bestimmung des Blutalkoholgehalts ausgegangen und hätten die Amtshandlung beendet.

3 Nach Darstellung anderer den Revisionswerber betreffenden Verfahren führte das Verwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht aus, es bestehe kein Anspruch bei Alkoholkontrollen, dass zunächst eine Überprüfung des Atemluftalkoholgehaltes durchzuführen sei. Zu Recht sei die Angabe des Revisionswerbers, eine unbestimmte Zahnhaftcreme verwendet zu haben, als Ursache dafür gesehen worden, dass die Atemluftuntersuchung auf Alkohol durch einen geeichten Alkomaten aus in der Person des Probanden gelegenen Gründen nicht möglich gewesen sei. Es sei daher zu Recht das Procedere der Blutabnahme eingeleitet worden. Das jeweils einschreitende Organ bestimme allein über die näheren Umstände der Durchführung einer Alkoholkontrolle. Der Aufgeforderte habe kein Wahlrecht, ob Atemluftprobe oder Blutalkoholtest durchgeführt werde. Die Bereitschaft des Revisionswerbers auf Durchführung eines Alkomattests ändere nichts an der Verweigerung der Verbringung zu einem Arzt zur Blutabnahme zur Bestimmung des Blutalkoholgehaltes.

4 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision erkennbar wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

5 Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Der Revisionswerber führt in der Zulässigkeitsbegründung der Revision aus, es liege nicht im Ermessen eines Organs der Straßenaufsicht zu entscheiden, ob die Untersuchung einer Person auf Alkoholgehalt durch Alkomattest oder durch Blutabnahme erfolge. Eine interne polizeiliche Dienstanweisung habe keine normative Wirkung. Die Verweigerung des Bluttestes sei rechtmäßig erfolgt.

7 Die Revision ist zulässig und auch berechtigt. 8 Gemäß § 5 Abs. 4a StVO sind die Organe der Straßenaufsicht

(weiters) berechtigt, Personen, bei denen eine Untersuchung gemäß Abs. 2 (Untersuchung der Atemluft auf Alkoholgehalt) aus Gründen, die in der Person des Probanden gelegen sind, nicht möglich war und die verdächtig sind, sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand zu befinden, zu einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden, bei einer Landespolizeidirektion tätigen, bei einer öffentlichen Krankenanstalt diensthabenden oder im Sinne des § 5a Abs. 4 ausgebildeten und von der Landesregierung hierzu ermächtigten Arzt zur Blutabnahme zum Zweck der Bestimmung des Blutalkoholgehaltes zu bringen.

9 Dass die Gründe, die eine Untersuchung der Atemluft auf Alkoholgehalt verhindern, in der Person des Probanden gelegen sein müssen, sah erstmals § 5 Abs. 5 Z 2 StVO (BGBl. Nr. 518/1994, 19. StVO Novelle) vor, wo die Blutabnahme für den Fall ermöglicht wurde, dass "eine Untersuchung gemäß Abs. 2 aus in der Person des Probanden gelegenen Gründen nicht möglich war" (entspricht der aktuellen Fassung).

10 In den Erläuterungen (RV 1580 BlgNR 28. GP ) zu dieser Bestimmung heißt es:

"Abs. 5 regelt die Berechtigung der Straßenaufsichtsorgane, den Betroffenen zwecks Feststellung der Beeinträchtigung durch Alkohol im Falle der sogenannten ‚Minderalkoholisierung' und im Falle der Unmöglichkeit der Untersuchung der Atemluft zum Arzt zu bringen. Bei der Vermutung der Alkoholisierung wird auf die schon bisher für relevant erachteten Alkoholisierungsmerkmale (schwankender Gang, gerötete Augenbindehäute, lallende Aussprache u. dgl.) abzustellen sein. In diesen Fällen soll eine klinische Untersuchung jedenfalls möglich sein, da diese zum Zeitpunkt des Vorliegens des Ergebnisses der Blutuntersuchung nicht nachholbar wäre. Dies würde eine unsachliche Besserstellung solcher Personen im Hinblick auf eine allfällige, strafbare Minderalkoholisierung bedeuten.

Der Gesetzgeber geht von der Gleichwertigkeit der Atemalkoholmessung und der Blutuntersuchung aus. Eine Vorführung zum Zweck der Blutabnahme ist nur zulässig, wenn eine Untersuchung nach Abs. 2 aus medizinischen Gründen, die in der Person des Probanden gelegen sind, nicht möglich ist und wenn der Verdacht besteht, dass sich die Person in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befindet. Die subsidiäre Anordnung der Blutalkoholuntersuchung hat ausschließlich den Zweck, dem Erfordernis der Wahl des gelindesten Mittels Rechnung zu tragen und die Fälle der im Zuge einer Blutabnahme notwendigen Eingriffe in die körperliche Integrität einzuschränken. Diesem Gedanken entspricht auch die Einschränkung, dass eine solche Vorführung zur Blutabnahme darüber hinaus nur bei Verdacht der Alkoholbeeinträchtigung zulässig sein soll."

11 Nach der Rechtsprechung hat derjenige, der gemäß § 5 Abs. 2 StVO zu einer Untersuchung der Atemluft aufgefordert wird, umgehend auf die Unmöglichkeit der Ablegung einer Alkoholuntersuchung mittels Alkomat aus medizinischen Gründen hinzuweisen, sodass die Organe der Straßenaufsicht in die Lage versetzt werden, das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 5 Abs. 5 Z 2 StVO zu prüfen, bejahendenfalls von der Aufforderung zur Untersuchung der Atemluft Abstand zu nehmen und den Aufgeforderten zum Zwecke der Feststellung des Grades zur Beeinträchtigung durch Alkohol zu einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt zu bringen (vgl. VwGH vom 27. Jänner 2006, 2005/02/0321).

12 Eine wesentliche Voraussetzung für die Verbringung des Probanden zu einem Arzt zum Zwecke der Bestimmung des Blutalkoholgehaltes nach § 5 Abs. 4a in Verbindung mit Abs. 6 StVO sind Gründe, die in der Person des Probanden gelegen sind und die eine Untersuchung nach § 5 Abs. 2 StVO unmöglich machen (VwGH vom 18. Juni 2007, 2007/02/0170, und vom 16. Februar 2007, 2006/02/0092).

13 Sowohl die Erläuterungen als auch die Rechtsprechung stellen als wesentliche Voraussetzung für die Verbringung des Probanden zu einem Arzt darauf ab, dass eine Untersuchung der Atemluft auf Alkoholgehalt aus "medizinischen Gründen", die in der Person des Probanden gelegen sein müssen, nicht möglich ist. Möglich ist die Untersuchung immer dann, wenn keine gesundheitlichen Gründe dem entgegenstehen, dass der Proband durch Blasen in den Alkomaten ein korrektes Ergebnis zu erzielen vermag. War der Proband aus gesundheitlichen (physischen oder psychischen) Gründen nicht in der Lage, hinsichtlich Blasvolumen, Blaszeit oder Atmung so auszuatmen, dass der Alkomat ein korrektes Ergebnis anzeigt, war die Untersuchung gemäß Abs. 2 aus in der Person des Probanden gelegenen Gründen nicht möglich. Umso mehr gilt dies, wenn das Beblasen des Alkomaten - etwa wegen schwerer Verletzungen oder Bewusstlosigkeit - gar nicht möglich ist.

14 Es kommt demnach bei der vom Verwaltungsgericht herangezogenen Bestimmung des § 5 Abs. 4a StVO als Voraussetzung für die Vorführung zur Blutabnahme nicht darauf an, dass bei einem Alkotest das Ergebnis verfälscht sein könnte, sondern allein darauf, dass der Proband in der Lage ist, den Alkomaten ordnungsgemäß zu beblasen, dass somit die Durchführung des Alkotests "aus gesundheitlichen Gründen" möglich war.

15 Für dieses Verständnis spricht auch die in den Erläuterungen wegen des notwendigen Eingriffes in die körperliche Integrität des Probanden zum Ausdruck kommende Subsidiarität der Blutuntersuchung. Die Blutuntersuchung soll eben nur dort zum Zug kommen, wo die Durchführung eines Alkotests faktisch nicht möglich ist. Allein die Vermutung, das Ergebnis des Alkotests könnte durch vor der Betretung vom Probanden verwendete Substanzen verfälscht werden, reicht für die Anordnung der Blutuntersuchung nicht aus.

16 Der Revisionswerber hat keine Umstände behauptet bzw. sind solche nicht hervorvorgekommen, die es ihm aus "medizinischen Gründen" unmöglich gemacht hätten, den Alkomaten korrekt zu bedienen. Die Verwendung einer Zahnhaftcreme vor der Betretung macht die Atemalkoholmessung nicht unmöglich.

17 Ergibt ein solcher vermeintlich verfälschter Alkotest eine relevante Alkoholisierung, steht es dem Probanden frei, einen Bluttest durchführen zu lassen (das Ergebnis einer Atemluftuntersuchung mit einem Alkomaten kann nämlich durch die Bestimmung des Blutalkoholgehaltes widerlegt werden (VwGH vom 25. April 2008, 2007/02/0275)). Gehen andererseits die Beamten beim Ergebnis einer Minderalkoholisierung von einer Verfälschung aus, steht es ihnen frei, den Probanden dem öffentlichen Sanitätsdienst zuzuführen (§ 5 Abs. 5 Z 1 StVO).

18 Die von den Beamten ins Treffen geführte Dienstanweisung hat keine normative Wirkung und ist daher für Dritte unbeachtlich.

19 Nach dem Gesagten erweist sich die Weigerung des Revisionswerbers, die Anordnung der Beamten zur Vorführung zur Blutabnahme zu befolgen, mangels festgestellter Unmöglichkeit zur Ablegung des Alkotests nicht als rechtwidrig, weshalb die Weigerung nicht Grundlage der Bestrafung des Revisionswerbers sein konnte.

20 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

21 Zur Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 25. September 2017

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte