Normen
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs3 Z2;
NAG 2005 §21 Abs3;
NAG 2005 §46 Abs1 Z2 litb;
VwGG §42 Abs2 Z1;
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs3 Z2;
NAG 2005 §21 Abs3;
NAG 2005 §46 Abs1 Z2 litb;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seiner Anfechtung (Spruchpunkte I. und II.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheiden des Landeshauptmannes von Wien jeweils vom 3. November 2015 wurden die Anträge der mitbeteiligten Parteien, Staatsangehörige der Republik Kosovo, vom 24. Juli 2015 auf Erteilung von Aufenthaltstiteln "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" samt Zusatzanträgen gemäß § 21 Abs. 3 NAG wegen unzulässiger Inlandsantragstellung abgewiesen. Zudem wurden die abweisenden Bescheide der erst- und zweitmitbeteiligten Parteien darauf gestützt, dass sie keine Deutschkenntnisse gemäß § 21a NAG in Verbindung mit § 46 Abs. 1 NAG nachweisen konnten.
2 Den dagegen erhobenen Beschwerden gab das Verwaltungsgericht Wien mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis statt, behob die angefochtenen Bescheide (Spruchpunkt I.), erteilte den mitbeteiligten Parteien gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 lit. b NAG jeweils einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" für die Dauer von zwölf Monaten (Spruchpunkt II.) und verpflichtete die mitbeteiligten Parteien zum Ersatz für Barauslagen (Spruchpunkt III.). Weiters sprach es aus, dass gegen dieses Erkenntnis eine Revision unzulässig sei.
3 Begründend stellte das Verwaltungsgericht fest, die mitbeteiligten Parteien seien im Februar 2015 illegal nach Österreich eingereist. Der Ehegatte der erstmitbeteiligten Partei sowie Vater der zweit- und drittmitbeteiligten Parteien, ebenfalls kosovarischer Staatsangehörige, verfüge über einen gültigen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus". Die Familie lebe in einer 51 m2 großen Wohnung in Wien und der Zusammenführende verdiene EUR 1.407,-- monatlich netto. Die erst- und zweitmitbeteiligten Parteien verfügten über Deutschkenntnisse auf A1-Niveau und erfüllten somit die Voraussetzungen gemäß § 21a Abs. 1 NAG. Weiters habe die erstmitbeteiligte Partei einen Arbeitsvorvertrag vorgelegt.
4 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht aus, die erst- und zweitmitbeteiligten Parteien hätten im Beschwerdeverfahren ihre Deutschkenntnisse nachgewiesen. Die unmündige minderjährige drittmittbeteiligte Partei sei gemäß § 21a Abs. 4 NAG von der Pflicht nach § 21a Abs. 1 NAG befreit.
5 Zur Abwägung nach § 21 Abs. 3 NAG führte das Verwaltungsgericht - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - aus, dass die mitbeteiligten Parteien seit eineinhalb Jahren in Österreich aufhältig seien, bereits über Deutschkenntnisse verfügten und in aufrechter Familiengemeinschaft mit einem Drittstaatsangehörigen mit Niederlassungsrecht in Österreich lebten. Das Vorliegen eines schützenswerten Familienlebens erscheine nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes umso mehr gegeben, als die minderjährigen zweit- und drittmitbeteiligten Parteien bereits eine Schule besuchten und ein mehrmonatiger Aufenthalt im Ausland den schulischen Erfolg sowie die ausgezeichnete Integration in nicht überschaubarem Maß gefährden würde. Im Kosovo lebten zwar die Verwandten der mitbeteiligten Parteien, doch sei die Antragstellung im Herkunftsstaat für die mitbeteiligten Parteien nicht zumutbar, weil sie zunächst eine Unterkunft in der Hauptstadt Pristina suchen müssten und sie die dafür notwendigen finanziellen Mittel nicht besäßen.
6 Die ordentliche Revision sei unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen gewesen sei.
7 Gegen die Spruchpunkte I. und II. dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Bundesministers für Inneres. Die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung, in der - unter Kostenersatz - die Zurückbzw. Abweisung der Revision beantragt wurde.
8 In seiner Zulässigkeitsbegründung gemäß § 28 Abs. 3 VwGG bringt der Revisionswerber vor, die mitbeteiligten Parteien seien zum Zeitpunkt des angefochtenen Erkenntnisses erst seit etwa einem Jahr und fünf Monaten im Bundesgebiet aufhältig. Diese Aufenthaltsdauer könne für sich genommen keine maßgebliche Verstärkung ihres persönlichen Interesses an einer Titelerteilung bewirken. Hinsichtlich des Familienlebens sei zu bemerken, dass der zusammenführende Ehemann bzw. Vater zumindest seit dem Jahr 2005 im Bundesgebiet aufhältig sei. Vor ihrem im Februar 2015 erfolgten Zuzug in das Bundesgebiet hätten die mitbeteiligten Parteien somit über einen Zeitraum von rund zehn Jahren nicht in Gemeinschaft mit ihm verbracht. Die familiären Bindungen zwischen den Beteiligten seien insofern als relativiert anzusehen; umso mehr, als laut den Verfahrensakten der Ehemann und Vater bis 21. Juli 2010 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet gewesen sei und die Ehe mit der erstmitbeteiligten Partei erst am 8. September 2010 geschlossen worden sei. Soweit das Verwaltungsgericht von einer "ausgezeichneten Integration" der mitbeteiligten Parteien spreche, könne diese Feststellung anhand der Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis und auch anhand der Aktenlage nicht nachvollzogen werden. Insbesondere könnten der Schulbesuch der zweit- und drittmitbeteiligten Parteien im Bundesgebiet selbst in Verbindung mit erlangten Deutschkenntnissen für sich genommen nicht ins Gewicht fallen. Gleiches gelte mit Blick auf den Nachweis von Deutschkenntnissen auf A1-Niveau und die arbeitsrechtliche Einstellungszusage für die erstmitbeteiligte Partei. Davon abgesehen seien die Integrationsschritte während des unrechtmäßigen Aufenthaltes der mitbeteiligten Parteien erfolgt und somit während eines Zeitraumes, in dem sie sich ihres unsicheren Aufenthaltsstatus hätten bewusst sein müssen. Nicht zuletzt sei zu bemerken, dass die mitbeteiligten Parteien unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist seien und offenbar lediglich zur Ermöglichung eines Aufenthaltes Asylanträge gestellt hätten.
Weiters sei das angefochtene Erkenntnis in seinem Spruchpunkt II. auf § 46 Abs. 1 Z 2 lit. b NAG gestützt, der ein Quotenerfordernis vorsehe. Dem Erkenntnis sei jedoch keinerlei Feststellung zu entnehmen, ob Quotenplätze für die mitbeteiligten Parteien verfügbar gewesen wären.
9 Die Revision ist zulässig und auch begründet. 10 Gemäß § 21 Abs. 1 NAG sind Erstanträge vor der Einreise in
das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten.
Nach § 21 Abs. 3 Z 2 NAG kann die Behörde abweichend von Abs. 1 leg. cit. auf begründeten Antrag die Antragstellung im Inland zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK (§ 11 Abs. 3 NAG) zulassen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG vorliegt und die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Aus § 21 Abs. 3 Z 2 NAG ergibt sich, dass die Inlandsantragstellung auf begründeten Antrag dann zugelassen werden kann, wenn - ausnahmsweise, nämlich für den Fall der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Ausreise des Fremden - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht. Bei der vorzunehmenden Beurteilung nach Art. 8 EMRK ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Versagung eines Aufenthaltstitels mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 11 Abs. 3 NAG genannten Kriterien in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 2016, Ra 2015/22/0119, mwN).
11 Wie die Revision zutreffend ausführt, kommt einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zu (vgl. das Erkenntnis vom 23. Juni 2015, Ra 2015/22/0026 und 0027). Die hier zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht vorliegende Aufenthaltsdauer von etwa eineinhalb Jahren konnte daher für sich genommen keine maßgebliche Verstärkung der persönlichen Interessen der mitbeteiligten Parteien an einer Titelerteilung bewirken.
12 Das Verwaltungsgericht berücksichtigte zunächst zutreffend, dass im Rahmen der Abwägung nach Art. 8 EMRK dem Bestehen einer Ehe mit einem dauerhaft niedergelassenen Partner große Bedeutung zukommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. November 2013, 2013/22/0224).
13 Weiters verwies es zwar auf den hohen Stellenwert des öffentlichen Interesses an der Befolgung fremdenrechtlicher Vorschriften, ließ aber unberücksichtigt, dass sich die mitbeteiligten Parteien rechtswidrig in Österreich aufhalten und zunächst Anträge auf internationalen Schutz stellten, die letztlich zurückgewiesen wurden. Einen Grund für die Asylantragstellung konnte die erstmitbeteiligte Partei auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht angeben. Entgegen der im asylrechtlichen Verfahren ergangenen Anordnung zur Außerlandesbringung verblieben die mitbeteiligten Parteien im Bundesgebiet und stellten die gegenständlichen Anträge. Dieser Umstand wäre bei der Abwägung zu berücksichtigen und auf Seite des öffentlichen Interesses in Anschlag zu bringen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 2016, Ro 2016/22/0005).
14 Soweit die mitbeteiligten Parteien in der Revisionsbeantwortung auf das Kindeswohl verweisen, ist dem entgegen zu halten, dass die zweit- und drittmitbeteiligten Parteien auch bisher - jedenfalls mehr als zehn Jahre - von ihrem Vater getrennt und lediglich mit ihrer Mutter gemeinsam im Kosovo lebten und auch Verwandte in ihrem Herkunftsstaat haben. Es ist nicht ersichtlich, dass ihnen die Unterkunftnahme - auch mit Unterstützung des Zusammenführenden - bzw. die Fortführung des gemeinsamen Familienlebens im Kosovo nicht möglich wäre.
15 Darüber hinaus reichen die angeführten Feststellungen des Verwaltungsgerichtes - worauf die Revision zutreffend hinweist - nicht hin, die so bezeichnete "ausgezeichnete Integration" der mitbeteiligten Parteien darzutun.
16 Die vom Verwaltungsgericht durchgeführte Abwägung nach Art. 8 EMRK steht daher nicht mit den vom Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen in Einklang, weshalb das angefochtene Erkenntnis bereits aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
17 Bei diesem Ergebnis kommt ein Kostenzuspruch an die Mitbeteiligten nicht in Betracht.
Wien, am 27. April 2017
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