VwGH Ra 2016/22/0072

VwGHRa 2016/22/00727.12.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lechner, in der Revisionssache des R S M in Wien, vertreten durch Dr. Gustav Eckharter, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/15, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 14. April 2016, VGW-151/081/12215/2015/E-19, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §73 Abs2;
B-VG Art130 Abs1 Z3;
B-VG Art133 Abs4;
B-VG Art151 Abs51 Z8;
VwGG §25a Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwGVG 2014 §28 Abs7;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien (VwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - der Beschwerde des Revisionswerbers, eines indischen Staatsangehörigen, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG statt, wies den Antrag vom 8. Februar 2013 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 41a Abs. 9 Niederlassungs - und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab und erklärte die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

5 Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision, in der im Rahmen der Zulässigkeitsbegründung als Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung zunächst geltend gemacht wird, das VwG habe in einem Säumnisbeschwerdeverfahren anstelle der Behörde selbst in der Sache entschieden, ohne dabei die Vorgaben des § 28 Abs. 7 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG einzuhalten (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 2015, Ra 2015/19/0075). Es bestehe eine einheitliche Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 7 VwGVG, wonach das VwG der Behörde die Möglichkeit einzuräumen habe, unter Vorgabe der maßgeblichen Rechtsfragen den Bescheid binnen einer - acht Wochen nicht übersteigenden - Frist zu erlassen.

6 Mit diesem Vorbringen zeigt der Revisionswerber keine grundsätzliche Rechtsfrage auf, weil § 28 Abs. 7 VwGVG dem VwG die Wahlmöglichkeit einräumt, entweder gleich in der Sache selbst zu entscheiden oder sich auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen zu beschränken und gleichzeitig das Verfahren an die Behörde mit dem Auftrag zurückzuverweisen, den ausstehenden Bescheid unter Bindung an die Rechtsansicht des VwG innerhalb einer Frist von höchstens acht Wochen nachzuholen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Juli 2016, Ra 2014/04/0015, sowie Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, § 28 VwGVG, K 29).

7 Die in diesem Zusammenhang vom Revisionswerber zitierte hg. Judikatur zu § 28 Abs. 7 VwGVG (Hinweis unter anderem auf die hg. Erkenntnisse vom 15. März 2016, Ra 2015/01/0208, vom 10. November 2015, Ra 2015/19/0144, und vom 16. Dezember 2014, Ra 2014/22/0106) betraf Fälle, in welchen das im Wege des Säumnisbeschwerdeverfahrens zuständig gewordene VwG von der Möglichkeit der Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 7 VwGVG Gebrauch machte, allerdings dem Erfordernis der Darlegung der Rechtsanschauung zur maßgeblichen Rechtsfrage nicht nachkam. Eine Verpflichtung des VwG, der Behörde zuvor die Möglichkeit einzuräumen, den Bescheid zu erlassen, lässt sich aus keiner der zitierten Entscheidungen ableiten.

8 Auch mit dem Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 2015, Ra 2015/19/0075, und § 16 VwGVG zeigt der Revisionswerber keine grundsätzliche Rechtsfrage auf, weil der diesem Erkenntnis zugrunde liegende Sachverhalt nicht vergleichbar und § 16 leg. cit. im gegenständlichen Verfahren nicht anzuwenden ist. Fallbezogen ging die Zuständigkeit nämlich bereits mit Einbringen des Devolutionsantrages am 13. Dezember 2013 an das Bundesministerium für Inneres über und das VwG war gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG zur Weiterführung des mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Bundesministerium für Inneres anhängigen Verfahrens zuständig (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 26. Juni 2014, Ro 2014/21/0064, und vom 4. Juli 2015, Ra 2014/04/0015).

9 Der Revisionswerber bringt weiter vor, es gebe keine Judikatur zu der Frage, ob das VwG überhaupt berechtigt sei, eine ordentliche Revision für unzulässig zu erklären, wenn es im Säumnisbeschwerdeverfahren anstelle der Behörde die erste meritorische Entscheidung treffe.

10 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das VwG im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, dass ein in einem Verfahren über Beschwerden wegen der Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG ergangenes Erkenntnis von dieser Regelung ausgenommen wäre. Für die vom Revisionswerber vertretene Rechtsansicht mangelt es daher an einer Rechtsgrundlage. Der Umstand, dass das VwG im vorliegenden Fall im Säumnisbeschwerdeverfahren angerufen wurde und entschied, hindert die Zurückweisung der Revision gegen das angefochtene Erkenntnis nicht, wenn - wie im vorliegenden Fall - von der Revision keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt wird (vgl. in diesem Sinn auch die hg. Beschlüsse vom 4. August 2016, Ra 2016/18/0123, und vom 14. September 2016, Ra 2016/18/0081 bis 0082).

11 Der Revisionswerber wendet sich auch gegen die vom VwG vorgenommene Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK und führt aus, nach der herrschenden Judikatur seien Aufenthaltsbeendigungen nach einem langen Aufenthalt nur dann zulässig, wenn der Fremde die Zeit überhaupt nicht genutzt habe, um sich sozial und beruflich zu integrieren (Hinweis ua. auf das hg. Erkenntnis vom 3. Oktober 2013, 2013/22/0199).

12 Der Verwaltungsgerichtshof sprach bereits wiederholt aus, dass die im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitel unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen, wenn sie - wie vorliegend - auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde, nicht revisibel ist (vgl. den hg. Beschluss vom 20. Juli 2016, Ra 2016/22/0049).

13 Dem Revisionswerber gelingt es auch nicht, mit der von ihm zitierten hg. Judikatur einen Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum regelmäßigen Überwiegen der persönlichen Interessen eines Fremden an einem Verbleib in Österreich bei einem mehr als zehnjährigen (bzw. knapp unter zehnjährigen) Inlandsaufenthalt aufzuzeigen, weil die Sachverhaltskonstellationen nicht vergleichbar sind. Der Revisionswerber hielt sich nämlich zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses weniger als neun Jahre in Österreich auf. Die vom VwG im vorliegenden Fall nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und unter ausreichender Bedachtnahme auf alle maßgeblichen Aspekte erzielte Lösung kann im Ergebnis nicht als unvertretbar angesehen werden (vgl. zu einem ähnlichen Sachverhalt das hg. Erkenntnis vom 11. Juni 2014, 2013/22/0192).

14 Die Revision war deshalb gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 7. Dezember 2016

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