VwGH Ra 2015/19/0144

VwGHRa 2015/19/014410.11.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Feiel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schmidt, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 9. März 2015, W105 2014635-1/4E, betreffend Säumnisbeschwerde in einer Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: M A H in G, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §34 Abs1 Z2;
AsylG 2005 §34;
AsylG 2005 §35 Abs4;
AsylG 2005 §35;
AVG §73 Abs1;
AVG §73;
B-VG Art130 Abs1 Z3;
MRK Art8;
VwGG §39 Abs2 Z4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §28 Abs7;
VwGVG 2014 §29;
AsylG 2005 §34 Abs1 Z2;
AsylG 2005 §34;
AsylG 2005 §35 Abs4;
AsylG 2005 §35;
AVG §73 Abs1;
AVG §73;
B-VG Art130 Abs1 Z3;
MRK Art8;
VwGG §39 Abs2 Z4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §28 Abs7;
VwGVG 2014 §29;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die Mitbeteiligte, eine somalische Staatsangehörige, stellte am 21. März 2013 bei der Österreichischen Botschaft Addis Abeba (in Folge: Österreichische Botschaft) für sich und ihre fünf minderjährigen Kinder einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Hierzu führte sie aus, in Österreich lebe ihr Sohn, dem mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26. September 2011 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und dem die aus diesem Grund erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung immer wieder seither auch verlängert worden sei.

Mit Bescheid der Österreichischen Botschaft vom 30. Mai 2013 wurde dieser Antrag nach negativer Wahrscheinlichkeitsprognose iSd § 35 AsylG 2005 durch das Bundesasylamt abgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 31. Juli 2013, durch einen Rechtsvertreter am 6. August 2013 persönlich beim Bundesasylamt, Außenstelle Graz eingebracht, stellte die Mitbeteiligte den "Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 AsylG". Das Bundesasylamt, Außenstelle Graz, leitete den Antrag der Mitbeteiligten vom 31. Juli 2013 an die Österreichische Botschaft weiter, in dem sie den Antrag in einen solchen nach "§ 35 AsylG 2005" umdeutete.

Mit Schreiben vom 30. August 2013 übermittelte die Österreichische Botschaft dem Bundesasylamt den zuvor übermittelten Antrag mit der Anmerkung zurück, dass aufgrund des nach "§ 34 AsylG" gestellten Antrages keine Zuständigkeit der Botschaft zu erkennen sei.

Mit Schreiben vom 16. Oktober 2013 teilte das Bundesasylamt gegenüber der Österreichischen Botschaft gemäß § 35 Abs. 4 AsylG neuerlich mit, dass bezugnehmend auf die dortige Note vom 30. August 2013 nach Prüfung der Sachlage die Gewährung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht wahrscheinlich sei.

Mit Schriftsatz vom 18. August 2014, durch einen Rechtsvertreter am 19. August 2014 persönlich beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Regionaldirektion Steiermark eingebracht, erhob die Mitbeteiligte Säumnisbeschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl "betreffend den am 6. August 2013 eingebrachten Antrag auf internationalen Schutz nach dem § 34 AsylG". Begründend führte sie aus, ein ihren am 6. August 2013 - durch den Vertreter Mag. F I - eingebrachten, schriftlichen Antrag auf internationalen Schutz nach § 34 AsylG 2005, behandelnder Bescheid sei weder vom Bundesasylamt, Außenstelle Graz, noch von der seit 1. Jänner 2014 für die Bearbeitung von Anträgen nach § 34 AsylG 2005 zuständigen Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, erlassen worden. Vielmehr sei dieser deutlich gekennzeichnete Antrag auf internationalen Schutz nach § 34 AsylG 2005 an die Österreichische Botschaft weitergeleitet worden, welche mit Bescheid einen angeblich von der mitbeteiligten Partei am 28. August 2013 eingebrachten Einreiseantrag nach § 35 AsylG 2005 abgewiesen habe. Die Mitbeteiligte habe jedoch - anders als im Bescheid ausgeführt -

keineswegs am 18. August 2013 bzw. am 28. August 2013 bei der Österreichischen Botschaft einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG 2005 gestellt.

Die Säumnisbeschwerde wurde - nach Urgenz der Mitbeteiligten am 19. November 2014 - vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 21. November 2014 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

Mit dem nunmehr beim Verwaltungsgerichtshof in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht der Säumnisbeschwerde gemäß § 8 VwGVG "stattgegeben" und dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aufgetragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der im Erkenntnis festgelegten Rechtsanschauung des Bundesverwaltungsgerichtes binnen acht Wochen ab Zustellung zu erlassen. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht - nach Darstellung des Verfahrensganges - aus, im gegenständlichen Fall sei unbestritten davon auszugehen, dass seitens der belangten Behörde Säumnis im Sinne des § 73 Abs. 1 AVG vorliege. Die von der Mitbeteiligten vorgebrachten Umstände seien seitens der belangten Behörde unbestritten geblieben. In der vorliegenden Rechtssache - so das Bundesverwaltungsgericht weiter in seiner Begründung - habe es daher von seiner Ermächtigung gemäß § 28 Abs. 7 VwGVG Gebrauch gemacht, seine Entscheidung auf einzelne Rechtsfragen zu beschränken und der belangten Behörde aufgetragen, innerhalb einer Frist von acht Wochen den versäumten Bescheid zu erlassen. Zumal die erste Instanz die bisherigen Ermittlungstätigkeiten durchgeführt habe, entspreche diese Vorgehensweise dem Interesse der Einfachheit und Raschheit.

Die Erhebung einer Revision sei nicht zulässig, weil aus den dem Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen hervorgehe, dass das Bundesverwaltungsgericht im gegenständlichen Fall nicht von der zitierten einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes, insbesondere zum Flüchtlingsbegriff, zum Refoulementschutz bzw. zum durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf Privat- und Familienleben abgehe. In Bezug auf die Anwendung und Auslegung des § 28 Abs. 7 VwGVG orientiere sich das Bundesverwaltungsgericht an der Vorbildbestimmung des § 42 Abs. 4 VwGG aF und dessen einheitlicher Anwendung durch den Verwaltungsgerichtshof, weshalb auch in diesem Punkt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung erkannt werden könne.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Entscheidung erhobene außerordentliche Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach Vorlage derselben und der Verwaltungsakten durch das Bundesverwaltungsgericht sowie nach Einleitung des Vorverfahrens und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch die Mitbeteiligte erwogen:

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bringt zur Zulässigkeit (unter anderem und mit näherer Begründung) vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es in seinem Erkenntnis lediglich den Verfahrensgang, das Vorbringen der Mitbeteiligten sowie die gesetzlichen Bestimmungen zur Entscheidungspflicht und zur Säumnisbeschwerde angeführt habe, nicht jedoch einzelne maßgebliche Rechtsfragen im Sinne des § 28 Abs. 7 VwGVG, unter deren Zugrundelegung die revisionswerbende Partei einen Bescheid erlassen könnte, gelöst habe. Darüber hinaus fehle Rechtsprechung zur Frage, ob ein Antrag auf internationalen Schutz eines Familienangehörigen gemäß § 34 AsylG 2005 vom Ausland aus zulässig sei.

Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch begründet.

Im gegenständlichen Verfahren sind die Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, idF BGBl. I Nr. 122/2013, maßgebend.

Dessen § 28 lautet auszugsweise:

"Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) ...

(7) Im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG kann das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis vorerst auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen beschränken und der Behörde auftragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiermit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen. Kommt die Behörde dem Auftrag nicht nach, so entscheidet das Verwaltungsgericht über die Beschwerde durch Erkenntnis in der Sache selbst, wobei es auch das sonst der Behörde zustehende Ermessen handhabt.

(8) ..."

§ 28 Abs. 7 VwGVG sieht im Säumnisbeschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht die Möglichkeit vor, dass sich das Verwaltungsgericht auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen beschränken und das Verfahren an die Behörde mit dem Auftrag zurückverweisen kann, den ausstehenden Bescheid unter Bindung an die Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes innerhalb einer Frist von maximal acht Wochen nachzuholen. Durch diese gesetzliche Regelung wird dem Verwaltungsgericht die Wahlmöglichkeit eingeräumt, im Falle einer zulässigen Säumnisbeschwerde die Zuständigkeit in der Angelegenheit unter den näher bestimmten Voraussetzungen wieder auf die Behörde zu übertragen. Eine maßgebliche Voraussetzung für eine solche Entscheidung ist, dass das Verwaltungsgericht darin über einzelne maßgebliche Rechtsfragen der Angelegenheit entscheidet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 2014, Ra 2014/22/0106).

Diesem Erfordernis ist das Bundesverwaltungsgericht nicht nachgekommen, weil es keine Rechtsanschauung zu maßgeblichen Rechtsfragen dargelegt, sondern begründungslos der Verwaltungsbehörde die Erlassung des versäumten Bescheides unter Setzung einer Nachfrist aufgetragen hat. Damit wird dem klaren Wortlaut des § 28 Abs. 7 VwGVG, nämlich der Behörde eine Entscheidung in den maßgeblichen Rechtsfragen vorzugeben, nicht entsprochen (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis vom 16. Dezember 2014).

Da dies das Bundesverwaltungsgericht verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Bevor sich das Verwaltungsgericht jedoch einer neuerlichen Entscheidung unter Zugrundelegung obiger Ausführungen stellt, wird es folgendes zu berücksichtigen haben:

Das Bundesverwaltungsgericht ist ohne tragfähige eigene Begründung davon ausgegangen, dass eine Säumnis des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vorliegt. Wie bereits zuvor ausgeführt, liegt der Säumnisbeschwerde ein von einem Rechtsvertreter der Mitbeteiligten schriftlich gestellter Antrag nach § 34 AsylG 2005 zugrunde. Weshalb "in unbestrittener Weise" - so das Bundesverwaltungsgericht - davon auszugehen sei, dass eine Säumnis gemäß "§ 73 AVG" vorliege, erhellt sich nicht. In diesem Zusammenhang hätte das Bundesverwaltungsgericht in einem ersten Schritt prüfen und in der nach § 29 VwGVG gebotenen Begründung offenlegen müssen, warum es vom Bestehen einer Entscheidungspflicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich des schriftlich gestellten Antrages ausgeht.

Von der Durchführung der von der mitbeteiligten Partei beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 10. November 2015

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte