VwGH Ra 2016/22/0003

VwGHRa 2016/22/000319.4.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Lechner, in der Revisionssache der***** gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 29. Juli 2015, LVwG 26.8-4849/2014-14 und LVwG 27.8-4850/2014-13, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Steiermark), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4;
EMRK Art8;
VwGG §34 Abs1;
VwGVG 2014 §24 Abs1;
B-VG Art133 Abs4;
EMRK Art8;
VwGG §34 Abs1;
VwGVG 2014 §24 Abs1;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

2.1. Der Landeshauptmann von Steiermark hat mit Bescheid vom 22. Juli 2014 die (neuerlichen) Anträge der Revisionswerberinnen (Mutter und Tochter, beide Staatsangehörige von Aserbaidschan) auf Erteilung einer "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" abgewiesen. Das Verwaltungsgericht hat - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 5. November 2014 - mit Erkenntnis vom 11. Dezember 2014 der dagegen erhobenen Beschwerde der Revisionswerberinnen Folge gegeben und die beantragten Aufenthaltstitel für zwölf Monate erteilt. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 23. Juni 2015, Ra 2015/22/0026 und 0027, der dagegen erhobenen Revision der Bundesministerin für Inneres Folge gegeben und das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

2.2. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht im zweiten Rechtsgang den Bescheid des Landeshauptmanns von Steiermark bestätigt und die Revision für nicht zulässig erklärt.

2.3. In der dagegen erhobenen außerordentlichen Revision machen die Revisionswerberinnen im Wesentlichen geltend, das Verwaltungsgericht sei im zweiten Rechtsgang unrichtig von einem unveränderten Sachverhalt ausgegangen, es habe keine neuerliche Verhandlung durchgeführt und kein Parteiengehör gewährt. Tatsächlich habe sich der Sachverhalt maßgeblich geändert, indem sich die Integration deutlich verstärkt habe (die Erstrevisionswerberin habe eine Beschäftigung aufgenommen, die Selbsterhaltungsfähigkeit erlangt und eine eigene Wohnung bezogen). Das Verwaltungsgericht hätte daher eine Verhandlung durchführen, den Sachverhalt erheben und das Parteiengehör gewähren müssen. Indem es dies unterlassen habe, sei es von der Rechtsprechung abgewichen bzw. fehle eine solche zur Frage, wie viel Zeit bis zur Entscheidung im zweiten Rechtsgang vergehen dürfe bzw. inwieweit sich der Sachverhalt ändern müsse, damit eine neue Verhandlungspflicht ausgelöst werde und neuerlich Parteiengehör zu gewähren sei.

3.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass die im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erfolgte - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Juli 2015, Ra 2014/22/0055, uva.).

3.2. Die Argumentation der Revisionswerberinnen zielt im Wesentlichen darauf ab, dass das angefochtene Erkenntnis nicht auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage ergangen sei, weil das Verwaltungsgericht die Verhandlungspflicht, die Pflicht zur Sachverhaltsermittlung und das Parteiengehör verletzt habe. Dieser Argumentation kann jedoch aus den nachstehenden Erwägungen nicht gefolgt werden:

Die Revisionswerberinnen übersehen, dass das Verwaltungsgericht ohnehin im ersten Rechtsgang (am 5. November 2014) eine mündliche Verhandlung zur Erörterung der Sache und zur Beweisaufnahme durchgeführt hat, die Abhaltung einer weiteren Verhandlung zur neuerlichen bzw. ergänzenden Erörterung und Beweisaufnahme im zweiten Rechtsgang von keiner Seite beantragt wurde und eine weitere Verhandlung zu dem angeführten Zweck auch von Amts wegen nicht (zwingend) erforderlich war (vgl. § 24 Abs. 1 VwGVG).

Es ist fallbezogen auch nicht zu beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht auf Grund des nur kurzen Zeitraums (von rund siebeneinhalb Monaten) zwischen den im ersten und zweiten Rechtsgang gefällten Erkenntnissen davon ausgegangen ist, dass in der Zwischenzeit keine wesentliche Sachverhaltsänderung eingetreten ist. Es wäre Sache der Revisionswerberinnen gewesen, eine solche erhebliche Änderung zeitgerecht (nach Ergehen der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Juni 2015) zu behaupten, was nicht geschehen ist. Das erstmals im Revisionsverfahren erhobene diesbezügliche Vorbringen verstößt gegen das Neuerungsverbot.

Die Revisionswerberinnen zeigen auch nicht konkret auf, inwieweit die behaupteten Mängel relevant gewesen seien, ihr Unterbleiben also zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. Sie legen insbesondere nicht dar, welches Vorbringen sie in einer weiteren Verhandlung bzw. im Rahmen eines neuerlichen Parteiengehörs erstattet hätten und welche andere Entscheidung sich daraus ergeben hätte. Ein geänderter Sachverhalt wird zwar näher behauptet, dabei jedoch außer Acht gelassen, dass die (künftige) Aufnahme einer Beschäftigung durch die Erstrevisionswerberin, die damit verbundene Selbsterhaltungsfähigkeit und das Vorhandensein einer Wohngelegenheit bereits Teil der Sachverhaltsgrundlage im ersten Rechtsgang waren.

3.3. Was die Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK betrifft, so ergibt sich aus dem schon angeführten hg. Erkenntnis vom 23. Juni 2015, dass das Verwaltungsgericht die Abwägung auf vertretbare Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen hat.

Dem im zweiten Rechtsgang um einige Monate längeren Inlandsaufenthalt ist fallbezogen im Hinblick auf die doch deutlich unter fünf Jahren liegende Gesamtdauer des Aufenthalts sowie die negativ ins Gewicht fallenden Gesichtspunkte - vor allem die mehrfache Ignorierung behördlicher und gerichtlicher Entscheidungen über die Verweigerung eines Asylbzw. Aufenthaltsrechts sowie die damit verbundene starke Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens - keine entscheidende Bedeutung beizumessen (vgl. neuerlich das Erkenntnis vom 23. Juni 2015, mwN).

4. Insgesamt werden daher in der maßgeblichen Zulassungsbegründung (vgl. den hg. Beschluss vom 22. Jänner 2016, Ra 2015/20/0167) keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb zurückzuweisen.

Wien, am 19. April 2016

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