Normen
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs11 Z2
AsylGDV 2005 §4 Abs1 Z2
AsylGDV 2005 §4 Abs2
AsylGDV 2005 §8 Abs1
AVG §59 Abs1
B-VG Art133 Abs4
NAG 2005 §19 Abs9
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §28 Abs1
VwGVG 2014 §28 Abs2
VwGVG 2014 §28 Abs3
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2016210314.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der seit Anfang Oktober 2006 in Österreich aufhältige Mitbeteiligte, seinen Angaben zufolge ein sudanesischer Staatsangehöriger, stellte am 20. Mai 2014 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005. Dem Antrag waren insbesondere Nachweise über die Absolvierung der Deutschprüfung A2 und über den Besuch eines EDV‑Kurses, ein Arbeitsvorvertrag sowie mehrere Empfehlungsschreiben angeschlossen. Nach der genannten Bestimmung ist ein Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA‑VG zur Aufrechterhaltung des Privat‑ und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.
2 Mit Schreiben des BFA vom 13. Juli 2016 wurde der Mitbeteiligte im Rahmen der „Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme“ aufgefordert, iSd § 8 Abs. 1 Z 1 und 2 AsylG‑DV 2005 ein gültiges Reisedokument und die Geburtsurkunde (im Original) oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument vorzulegen.
3 In der hierauf ergangenen Stellungnahme vom 25. Juli 2016 verwies der Mitbeteiligte auf die lange Dauer seines Aufenthalts in Österreich und die in diesem Zeitraum gesetzten integrationsbegründenden Schritte (Absolvierung von Deutschkursen, Aufbau eines großen Freundeskreises, aufrechte Krankenversicherung), wobei er außerdem noch am 5. August 2016 diverse Belege über Weiterbildungsmaßnahmen (Zeugnis über die Pflichtschulabschluss‑Prüfung, Zeugnis über die Abschlussprüfung aus Berufsorientierung, „Energie‑Führerschein‑Zertifikat“) sowie ein weiteres Empfehlungsschreiben vorlegte. In der erwähnten Stellungnahme brachte der Mitbeteiligte auch vor, über keine Identitätsdokumente zu verfügen. Deshalb stelle er [offenbar gemeint: iSd § 4 Abs. 1 AsylG‑DV 2005] den Antrag, die Heilung des Mangels der Nichtvorlage der vom BFA für erforderlich gehaltenen Dokumente zuzulassen.
4 Ohne weitere Ermittlungen wies das BFA sodann den Antrag des Mitbeteiligten auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 20. Mai 2014 „gemäß § 55 AsylG 2005“ mit Bescheid vom 11. August 2016 zurück. Unter einem erließ es gegen den Mitbeteiligten gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA‑VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG (Spruchpunkt I.). Weiters stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt II.). Schließlich setzte es die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt III.).
5 Die Antragszurückweisung begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass der Mitbeteiligte trotz Aufforderung seiner Mitwirkungspflicht zur Klärung seiner Identität durch Vorlage entsprechender Dokumente nicht nachgekommen sei. Der Mitbeteiligte verschleiere seit zehn Jahren seine Identität, zumal aufgrund einer Sprachanalyse anzunehmen sei, er stamme aus Nigeria. Er habe sich bei der nigerianischen Botschaft nicht um die Ausstellung eines Reisepasses bemüht, obwohl ihm dies zumutbar sei; außerdem habe er die Vorführung vor eine nigerianische Delegation zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes verweigert.
6 In der dagegen erhobenen Beschwerde verwies der Mitbeteiligte ‑ wie auch schon in der Stellungnahme vom 25. Juli 2016 ‑ auf die während seines langen Aufenthalts in Österreich erlangte Integration, weshalb ihm der beantragte Aufenthaltstitel zu erteilen gewesen wäre. Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig, weil das BFA gar keine inhaltliche, sondern ohne ausreichende Rechtfertigung eine den Antrag zurückweisende Entscheidung getroffen und damit dem Mitbeteiligten zu Unrecht eine Sachentscheidung vorenthalten habe.
7 Dieser Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Beschluss vom 12. September 2016 Folge, behob den Bescheid des BFA vom 11. August 2016 und verwies die Angelegenheit „gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG“ zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück. Weiters sprach das BVwG noch aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
8 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Amtsrevision des BFA, die sich unter dem vorstehend genannten Gesichtspunkt als unzulässig erweist:
9 Den Ausführungen in der Amtsrevision ist zwar darin beizupflichten, dass Sache des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG in erster Linie war, ob das BFA den Antrag des Mitbeteiligten auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zu Recht zurückgewiesen hat. Auch wenn das BFA im Spruch seines Bescheides hierfür keine Rechtsgrundlage nannte, ist nach der Begründung erkennbar, dass die Antragszurückweisung auf § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 gestützt werden sollte und somit wegen Verletzung der allgemeinen Mitwirkungspflichten durch den Mitbeteiligten ‑ infolge Unterlassung der Vorlage eines gültigen Reisedokumentes und (des Originals) der Geburtsurkunde ‑ vorgenommen wurde (zur Auslegung der genannten Norm siehe des Näheren das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2015, Ra 2015/21/0039).
10 Dem liegt die Bestimmung des § 8 Abs. 1 Z 1 und 2 AsylG‑DV 2005 zugrunde, wonach dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach den §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 ein gültiges Reisedokument und die Geburtsurkunde (oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument) anzuschließen sind. In diesem Zusammenhang sieht § 4 Abs. 1 AsylG‑DV 2005 allerdings vor, dass die Behörde auf begründeten Antrag die Heilung eines Mangels (u.a.) nach § 8 AsylG‑DV 2005 zulassen kann, und zwar
„1. im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen zur Wahrung des Kindeswohls,
2. zur Aufrechterhaltung des Privat‑ und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK oder
3. im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.“
Diesbezüglich wird im Abs. 2 der genannten Bestimmung noch Folgendes angeordnet:
„Beabsichtigt die Behörde den Antrag nach Abs. 1 zurück‑ oder abzuweisen, so hat die Behörde darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.“
11 Das BVwG begründete seine Entscheidung betreffend die Aufhebung des den verfahrenseinleitenden Antrag des Mitbeteiligten auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zurückweisenden Spruchteiles und die diesbezügliche Zurückverweisung an das BFA zur Erlassung eines neuen Bescheides ‑ in tragender Weise ‑ damit, dass das BFA entgegen § 4 Abs. 2 AsylG‑DV 2005 keinen „Abspruch“ über den vom Mitbeteiligten gestellten „Antrag auf Mängelheilung“ vorgenommen habe.
12 Dem hält die Amtsrevision entgegen, das BFA habe über den „Mängelheilungsantrag“ implizit abgesprochen. Auch wenn ein „entsprechender expliziter Spruchpunkt“ nicht getroffen worden sei, so sei das BFA in seinem Bescheid doch ausführlich auf die unterbliebene Mitwirkung des Mitbeteiligten eingegangen. In diesem Zusammenhang wird noch darauf verwiesen, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage fehle, ob über einen Antrag nach § 4 AsylG‑DV 2005 explizit im Spruch abgesprochen werden müsse und eine Antragszurückweisung nach § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 ohne einen derartigen Spruchpunkt rechtswidrig sei.
13 Damit zeigt die Amtsrevision aber keine erhebliche Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B‑VG auf, weil trotz Fehlens einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine solche Rechtsfrage vorliegt, wenn die Rechtslage eindeutig ist (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0076, mwN). Das ist hier der Fall:
14 Nach der wiedergegebenen und insoweit ganz eindeutigen Bestimmung des § 4 Abs. 2 AsylG‑DV 2005 ist über einen Antrag auf Zulassung der Heilung ‑ sofern ihm nicht stattgegeben wird ‑ in Form der Zurückweisung oder der Abweisung abzusprechen. Demnach kann es keinem Zweifel unterliegen, dass eine derartige negative Entscheidung über einen solchen Antrag in einem eigenen Spruchpunkt des verfahrensabschließenden Bescheides zu erfolgen hat (vgl. in diesem Sinn, ebenfalls von einer bescheidmäßigen Antragserledigung ausgehend, auch die ErläutRV 88 BlgNR 24. GP 8 zur vergleichbaren Bestimmung des § 19 Abs. 9 NAG, wonach mit der Pflicht zur Entscheidung über den Antrag im verfahrensabschließenden Bescheid vermieden werden soll, dass ein gesonderter „Vorab‑Bescheid“ über die „Heilungsentscheidung“ zu erlassen ist, was zwei getrennte Rechtsmittelverfahren zur Folge hätte). Aus der genannten Bestimmung ergibt sich somit die evidente Absicht des Gesetzgebers, dass über die ‑ einer Antragszurückweisung nach § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 vorgelagerte ‑ Frage der mangelnden Berechtigung eines Antrags auf Zulassung der Heilung von Mängeln schon aus Rechtsschutzgründen ausdrücklich abgesprochen werden soll. Gegenteiliges lässt sich ‑ anders als das BFA in der Amtsrevision meint ‑ auch nicht aus dem (zu § 19 Abs. 8 und 9 NAG ergangenen) hg. Erkenntnis vom 29. April 2010, Zl. 2009/21/0255, ableiten, weil es dort nur darum ging, dass ein (ausdrücklich getroffener) abweisender Ausspruch über einen Antrag auf Zulassung der Mängelheilung keinen selbständigen Bestand haben kann, wenn der in der Hauptsache (betreffend einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung) ergangene abweisende Spruchpunkt vom Verwaltungsgerichtshof aufgehoben wird. Daraus ist für die vorliegende Konstellation nichts zu gewinnen.
15 Eine andere Frage ist, ob die Unterlassung der ausdrücklichen Zurück‑ oder Abweisung des Antrags auf Zulassung einer Mängelheilung in einem eigenen Spruchpunkt immer die Rechtswidrigkeit der nach § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 vorgenommenen Zurückweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach sich zieht, also auch dann, wenn sich aus der Begründung des Bescheides ohne Zweifel ergeben sollte, dass der Antrag nach § 4 Abs. 1 AsylG‑DV 2005 zurück‑ oder abgewiesen werden sollte.
16 Darauf braucht im vorliegenden Fall aber nicht weiter eingegangen werden, weil sich eine solche unzweifelhafte Antragserledigung durch das BFA seinem Bescheid vom 11. August 2016 nicht entnehmen lässt. Das ergibt sich schon daraus, dass der in Rede stehende Antrag nicht nur im Spruch, sondern auch in der Begründung überhaupt nicht erwähnt wurde. Dem entsprechend betrifft auch die in der Amtsrevision hervorgehobene Befassung des BFA mit der unterbliebenen Mitwirkung des Mitbeteiligten in erster Linie die Voraussetzungen für die Zurückweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005; das stellt für sich genommen noch kein Eingehen auf die im § 4 Abs. 1 AsylG‑DV 2005 genannten Gründe dar. Soweit im Bescheid des BFA dem Mitbeteiligten in diesem Zusammenhang auch die Unterlassung einer Kontaktaufnahme mit der nigerianischen Botschaft vorgeworfen wurde und das BFA damit allenfalls das Nichtvorliegen der Voraussetzungen der Z 3 der genannten Bestimmung angesprochen haben könnte, ginge das aber an der Sache vorbei; und zwar einerseits, weil sich dem Vorbringen des Mitbeteiligten in der Stellungnahme vom 25. Juli 2016, in deren Rahmen der Antrag auf Zulassung der Mängelheilung gestellt wurde, keine Begründung in diese Richtung entnehmen lässt, und andererseits, weil bei einem Antrag nach § 55 AsylG 2005 in erster Linie und vorrangig die ‑ vom Mitbeteiligten im Ergebnis auch geltend gemachten ‑ Voraussetzungen nach der Z 2 des § 4 Abs. 1 AsylG‑DV 2005 zum Tragen kommen (siehe in diesem Zusammenhang noch ergänzend die Ausführungen unter Rz 27 im hg. Erkenntnis vom 14. April 2016, Ra 2016/21/0077, in Verbindung mit den Überlegungen in der Rz 23 im hg. Erkenntnis vom 15. September 2016, Ra 2016/21/0187, aus denen weiterführend abgeleitet werden kann, es sei unzulässig, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 trotz Vorliegens der hierfür erforderlichen Voraussetzungen wegen Nichtvorlage von Identitätsdokumenten zurückzuweisen).
17 Vor diesem Hintergrund war es fallbezogen im Ergebnis nicht unvertretbar, dass das BVwG davon ausging, das BFA habe über den ‑ der Sache nach auf § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG‑DV 2005 gestützten ‑ Antrag des Mitbeteiligten, die Heilung des Mangels der Nichtvorlage eines gültigen Reisedokumentes und (des Originals) der Geburtsurkunde zuzulassen, nicht abgesprochen. Ausgehend davon waren die vom BFA vorgenommene Antragszurückweisung und die darauf aufbauenden weiteren Spruchpunkte rechtswidrig. Das BVwG konnte aber weder die Entscheidung über den Heilungsantrag selbst nachholen noch inhaltlich über die Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 entscheiden, weil es damit die Sache des Beschwerdeführers überschritten hätte. Es war daher nur die ersatzlose Behebung des Bescheides des BFA möglich. Dass das Bundesverwaltungsgericht die Aufhebung nicht auf § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG, sondern auf § 28 Abs. 3 VwGVG stützte, war fallbezogen nicht rechtswidrig, weil damit erkennbar nur ‑ im Ergebnis richtig ‑ zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass das Verfahren vom BFA mit der Maßgabe fortzusetzen sein wird, dass der Zurückweisungsgrund der mangelnden Mitwirkung jedenfalls nicht ohne damit verbundene Erledigung des Heilungsantrags herangezogen werden darf.
18 Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die Amtsrevision keine im gegenständlichen Fall relevanten Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B‑VG aufwirft, sodass sie gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen war.
Wien, am 17. November 2016
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