VwGH Ra 2016/21/0296

VwGHRa 2016/21/029631.8.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, über die Revision des N H, vertreten durch Dr. Anton Dierigl, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 49, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24. August 2016, W236 1430834-2/3E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Festsetzung einer Ausreisefrist und Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs1;
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z5;
BFA-VG 2014 §9 Abs2;
BFA-VG 2014 §9 Abs3;
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §52 Abs9;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

1. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 richtet, als unzulässig zurückgewiesen.

2. zu Recht erkannt:

Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Somalia, reiste spätestens im Jänner 2012 nach Österreich ein und stellte hier einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 5. November 2012 vollinhaltlich ab und wies den Revisionswerber nach Somalia aus.

2 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 20. Jänner 2016, Asyl und subsidiären Schutz betreffend, als unbegründet ab. Im Übrigen verwies es "das Verfahren" gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurück.

3 Mit Bescheid vom 7. Juli 2016 sprach das BFA sodann aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde. Unter einem erließ es gegen den Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Somalia zulässig sei und setzte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

4 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 24. August 2016 als unbegründet ab und es sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gegen sein Erkenntnis gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

 

5 Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:

6 Hat das Verwaltungsgericht - so wie hier das BVwG - in seinem Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist, hat die Revision zufolge § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision). Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof dann im Rahmen dieser vorgebrachten Gründe zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

7 In Bezug auf die Entscheidung nach § 57 AsylG 2005 fehlt es gänzlich an einem entsprechenden Vorbringen in der vorliegenden Revision. Insoweit war sie daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG als unzulässig zurückzuweisen.

8 Im Übrigen - die Rückkehrentscheidung und die damit im Zusammenhang stehenden Aussprüche betreffend - erweist sich die Revision aber als zulässig und berechtigt.

9 Die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, insbesondere der hier in Rede stehenden Rückkehrentscheidung, setzt nach § 9 Abs. 1 BFA-VG unter dem dort genannten Gesichtspunkt eines Eingriffs in das Privat- und/oder Familienleben voraus, dass ihre Erlassung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Im Zuge dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. grundlegend zur seit dem 1. Jänner 2014 geltenden Rechtslage das hg. Erkenntnis vom 12. November 2015, Ra 2015/21/0101, Punkte 3.2. und 3.3. der Entscheidungsgründe).

10 Im Rahmen der so gebotenen Interessenabwägung kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter dem Gesichtspunkt der Bindungen zum Heimatstaat (§ 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG) auch der Frage Bedeutung zukommen, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann (vgl. das eben genannte Erkenntnis vom 12. November 2015, Punkte 4.1. und 4.2. der Entscheidungsgründe; siehe darauf bezugnehmend etwa auch das Erkenntnis vom 16. Dezember 2015, Ra 2015/21/0119, am Ende von Punkt 2.3. der Entscheidungsgründe).

11 Vor diesem Hintergrund hätte sich das BVwG - das selbst davon ausgeht, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung stelle einen Eingriff in das Privatleben des Revisionswerbers dar - im vorliegenden Fall mit der notorischen Dürrekatastrophe in Somalia und der dort vorherrschenden Nahrungsmittelknappheit auseinandersetzen müssen.

12 Das BVwG ist auf diese Problematik aber überhaupt nicht eingegangen. Es stellte - nur - fest, dass der Revisionswerber aus Mogadischu, Bezirk Jaqshiid, stamme, wo er auch Zeit seines Lebens und bis zuletzt mit seiner Familie (Mutter, Schwester, zweite Ehefrau und Tochter aus erster Ehe) gelebt habe und wo sich seine Familie nach wie vor befinde. Diese sei, so das BVwG dann in seiner rechtlichen Beurteilung, in der Lage, den Lebensunterhalt zu bestreiten und die existentiellen Lebensbedürfnisse zu decken und könne dem Revisionswerber daher für die erste Zeit nach seiner Rückkehr nach Somalia einen gewissen Rückhalt bieten. Letztere Annahme widerspricht allerdings dem in der Beschwerde an das BVwG erstatteten und in der vorliegenden Revision aufrecht erhaltenen Vorbringen, wonach der Revisionswerber in Mogadischu entwurzelt sei und dort über kein intaktes soziales Auffangnetz verfüge. Im Übrigen bleibt aber von vornherein offen, über welche Möglichkeiten die genannten Familienangehörigen verfügen, zumal die Mutter des Revisionswerbers nach seinen Angaben bereits ca. 70 Jahre alt ist und die Tochter erst etwa 12 Jahre. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang unter dem Aspekt Versorgungssicherheit neben der Frage, inwieweit Rückkehrer (allenfalls nach Maßgabe ihrer Clanzugehörigkeit) Zugang zu erforderlicher Hilfe haben, aber auch, dass der Bezirk Mogadischus, aus dem der Revisionswerber stammt, wo seine Familie nach den Feststellungen des BVwG nach wie vor lebt und wohin der Revisionswerber nach den erkennbaren Annahmen des BVwG zurückkehren könne, nämlich der Bezirk Jaqshiid, nach einer aktuellen Analyse der Staatendokumentation einer jener drei "Orte" Somalias ist, die wegen terroristischer Akte und bewaffneter Zusammenstöße "vermutlich als gewaltsamste Orte Somalias bezeichnet werden". Insgesamt ist es vor diesem Hintergrund nicht ausgeschlossen, dass ein weiterer Inlandsaufenthalt für den Revisionswerber - wie es in der Revision heißt - "existenzielle Bedeutung" haben könnte, was insbesondere auch im Rahmen der beantragten Beschwerdeverhandlung, deren Unterbleiben der Revisionswerber in seinen Zulassungsausführungen nach dem Gesagten mit Recht rügt, näher zu erörtern gewesen wäre.

13 Davon ausgehend ist das angefochtene Erkenntnis betreffend die Rückkehrentscheidung und die damit zusammenhängenden Aussprüche mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb es insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

14 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 50 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 31. August 2017

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