Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang des Spruchpunktes A)I. (Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsbürger Somalias, stellte am 26. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er dem Minderheitenclan der Sheikhaal angehöre und diesbezüglich Diskriminierungen ausgesetzt gewesen sei. Er sei von den Al Shabaab entführt und zu deren Stützpunkt mitgenommen worden, wo er als Hilfskraft eingesetzt, verhört und gefoltert worden sei. Im Zuge eines Angriffes der Regierungstruppen auf den Stützpunkt - drei Monate nach seiner Verschleppung - sei ihm die Flucht gelungen.
2 Mit Bescheid vom 13. Juni 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 wurde dem Revisionswerber nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen und festgestellt, dass eine Abschiebung des Revisionswerbers nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt III.).
3 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 12. August 2016 wies das Bundesverwaltungsgericht, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des Bescheides gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet ab (Spruchpunkt A)I. des angefochtenen Erkenntnisses). Der Beschwerde hinsichtlich des Spruchpunktes II. wurde gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 stattgegeben und dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia zuerkannt (Spruchpunkt A)II. des angefochtenen Erkenntnisses). Folglich wurde dem Revisionswerber gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 12. August 2017 erteilt (Spruchpunkt A)III. des angefochtenen Erkenntnisses).
4 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass es vor dem Hintergrund der glaubhaften Ausführungen des Revisionswerbers und den diesbezüglichen Länderberichten davon ausgehe, dass der Revisionswerber im Herkunftsstaat tatsächlich als Angehöriger eines Minderheitenstammes den geschilderten Beschimpfungen und Benachteiligungen ausgesetzt gewesen sei. Überdies gehe es auch davon aus, dass der Revisionswerber von der Al Shabaab verschleppt worden sei, jedoch verneine es eine gezielte Verfolgungsgefahr, weil der Revisionswerber mit der Entführung bloß das Opfer willkürlicher Gewalt im Rahmen eines Bürgerkrieges geworden sei. Das BVwG sprach jedoch dem Vorbringen des Revisionswerbers hinsichtlich einer Nachschau von Regierungstruppen bei seiner Mutter und der ausgesprochenen Todesdrohung wegen unterstellter Zusammenarbeit mit der Al Shabaab die Glaubwürdigkeit ab und führte aus, das Bundesverwaltungsgericht vertrete den Standpunkt, dass der Revisionswerber "sein - im Kern glaubhaftes - Vorbringen zur Erhöhung seiner Chancen auf eine Asylgewährung in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht dahingehend steigerte, erstmals von Regierungsangehörigen zu berichten, die während seiner Gefangenschaft bei seiner Mutter erschienen und dieser mit dem Umbringen des Sohnes gedroht hätten, weil er mit Al Shabaab zusammenarbeite". Es sei überdies auch nicht glaubhaft, dass die Regierungstruppen einen genauen Überblick über die große Anzahl an willkürlich Entführten hätten und daher gezielt auf die Familie des Revisionswerbers zugegangen seien.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision nach Vorlage derselben sowie der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht und nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 In der Revision wird zur Zulässigkeit unter anderem vorgebracht, dass dem tragenden Beweiswürdigungsgrund des Bundesverwaltungsgerichtes eine aktenwidrige Annahme zugrunde liege. Das Bundesverwaltungsgericht habe zwar das Vorbringen des Revisionswerbers betreffend die Entführung und Gefangenschaft durch die Al Shabaab Milizen als glaubwürdig erachtet, nicht aber, dass Regierungstruppen während der Gefangenschaft des Revisionswerbers bei seiner Mutter - wegen Verdachts der Kollaboration des Revisionswerbers mit der Al Shabaab - nach diesem nachgeforscht und mit dem Umbringen des Sohnes gedroht hätten. Das Bundesverwaltungsgericht habe diese Negativfeststellungen damit begründet, dass der Revisionswerber dieses Vorbringen erstmals in der mündlichen Verhandlung erstattet habe und somit eine Steigerung des Fluchtvorbringens vorliege. Der Revisionswerber habe jedoch schon im Verfahren vor dem BFA vom fraglichen Vorfall berichtet, sodass keine Rede von einer nachgeschobenen Behauptung des Revisionswerbers sein könne und der tragende Beweiswürdigungsgrund nicht mit den Verfahrensakten übereinstimme. In der Zulässigkeitsbegründung wird weiters ausgeführt, dass es aus Sicht der Regierungsbehörden keinen Unterschied mache, ob ein Milizionär ursprünglich zwangsrekrutiert worden sei oder sich der Al Shabaab aus freien Stücken angeschlossen habe; alle Mitglieder der islamistischen Miliz (und deren Familien) stünden unter Verdacht und würden verfolgt. Bei richtiger Würdigung des Verfahrensaktes sei der Negativfeststellung des Bundesverwaltungsgerichtes zu asylrelevanten Fluchtgründen die Grundlage entzogen und es hänge somit das rechtliche Schicksal der Revision von der Aktenwidrigkeit ab.
7 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet. 8 Zunächst ist auszuführen, dass der Verwaltungsgerichtshof
als Rechtsinstanz tätig ist und zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Wie der Verwaltungsgerichtshof schon zu dem gemäß § 17 VwGVG auch von den Verwaltungsgerichten anzuwendenden § 45 Abs. 2 AVG ausgesprochen hat, bedeutet der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht, dass der in der Begründung der (nunmehr verwaltungsgerichtlichen) Entscheidung niederzulegende Denkvorgang der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine Kontrolle in die Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der zur Rechtskontrolle berufene Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, das heißt, sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2016, Ra 2016/19/0072, mwN).
9 Aus dem Verfahrensakt ist zu entnehmen, dass der Revisionswerber bereits anlässlich seiner Einvernahme vor dem BFA am 19. Mai 2016 vorgebracht hat, dass Regierungstruppen zum Haus der Familie gekommen seien, die ihn und seine Mutter "als Al Shabaabs verdächtigt" hätten, und er danach ausgereist sei. Damit setzt sich das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht auseinander, sodass - wie die Revision zutreffend aufzeigt - die auf einer aktenwidrigen Annahme beruhende Beweiswürdigung in einem tragenden Punkt unschlüssig im Sinn des dargestellten Prüfungskalküls ist.
10 An dieser Beurteilung vermag auch das hilfsweise herangezogene Argument des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach es nicht glaubhaft sei, dass die Regierungstruppen einen genauen Überblick über die große Zahl an willkürlich Entführten hätten und daher gezielt auf die Familie des Revisionswerbers zugegangen seien, nichts zu ändern, zumal die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellte Behauptung - im Hinblick auf die Anzahl der willkürlich Entführten - nicht näher (etwa mit Länderberichten) belegt wird.
11 Das angefochtene Erkenntnis war daher im Anfechtungsumfang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
12 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung.
Wien, am 10. August 2017
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