VwGH Ra 2016/16/0077

VwGHRa 2016/16/007713.9.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Thoma als Richter unter Beiziehung der Schriftführerin Mag. Baumann über die Revision der FPrivatstiftung in E, vertreten durch die Dorda Brugger Jordis Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Universitätsring 10, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 17. Mai 2016, Zl. RV/7100699/2016, betreffend Rechtsgeschäftsgebühren, den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4;
B-VG Art133;
VwGG §34 Abs1;
ZPO §500;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2016160077.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Unbestritten ist, dass im Mai 2007 zwischen der Revisionswerberin als Bestandgeberin einerseits und der St. MGmbH & Co KG als Bestandnehmerin andererseits ein Bestandvertrag abgeschlossen wurde, wofür das Finanzamt für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel mit vorläufigem Bescheid vom 31. Jänner 2008 gegenüber der Bestandnehmerin Rechtsgeschäftsgebühren nach § 33 TP 5 Abs. 1 Z. 1 GebG in der Höhe von EUR 1.628,77 festsetzte.

Mit einem gemäß § 200 BAO endgültigen Bescheid vom 24. Februar 2011 setzte das Finanzamt für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel gegenüber der Bestandnehmerin die Rechtsgeschäftsgebühr mit dem Betrag von EUR 53.544,09 endgültig fest, wogegen diese mit Eingabe vom 1. April 2011 Berufung erhob und die Aussetzung der Einhebung eines Betrages vom EUR 51.915,32 beantragte. Nachdem das Finanzamt mit Berufungsvorentscheidung vom 15. Juli 2011 in Abänderung des Bescheides vom 24. Februar d.J. die Gebühr mit dem Betrag von EUR 45.199,56 festgesetzt hatte, beantragte die Bestandnehmerin in ihrer Eingabe vom 19. August 2011 die Entscheidung über ihre Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz, da das Finanzamt ihrer Berufung nicht vollinhaltlich Rechnung getragen habe; weiters ersuchte sie um Aussetzung der Einhebung des Betrages von EUR 45.199,56 bis zur Erledigung der Berufung.

Das Finanzamt verfügte hierauf die Aussetzung der Einhebung und legte die Berufung dem unabhängigen Finanzsenat vor. Am 30. Juni 2014 wurde über das Vermögen der Bestandnehmerin das Insolvenzverfahren eröffnet, worauf das Finanzamt mit Bescheid vom 28. August 2014 gegenüber der Revisionswerberin für den eingangs genannten Bestandvertrag Rechtsgeschäftsgebühr in der Höhe von EUR 43.772,57 festsetzte.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde gegen den Bescheid vom 28. August 2014 als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei. Begründend führte das Gericht nach Darstellung des Verfahrensganges, soweit für die Behandlung der Revision von Belang, aus:

"Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass ein Ermessensspielraum nicht mehr gegeben war. Sie wirft der Abgabenbehörde vor, dass eine Aussetzung der Einhebung zu Unrecht gewährt worden wäre und diese Gewährung der Aussetzung der Einhebung hätte in der Folge dazu geführt, dass die Gebühr bei der Bestandnehmerin uneinbringlich geworden wäre.

Gemäß § 212a Abs. 1 BAO ist die Einhebung einer Abgabe, deren Höhe unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Bescheidbeschwerde abhängt, auf Antrag des Abgabepflichtigen insoweit auszusetzen, als eine Nachforderung unmittelbar oder mittelbar auf einen Bescheid, der von einem Anbringen abweicht oder auf einen Bescheid, dem kein Anbringen zugrunde liegt, zurückzuführen ist, höchstens jedoch im Ausmaß der sich bei einer dem Begehren des Abgabepflichtigen Rechnung tragenden Beschwerdeerledigung ergebenden Herabsetzung der Abgabenschuld.

Durch Einbringung einer Bescheidbeschwerde wird die Wirksamkeit des angefochtenen Bescheides nicht gehemmt, insbesondere die Einhebung und zwangsweise Einbringung einer Abgabe nicht aufgehalten (§ 254 BAO). Die Bescheidbeschwerde hat somit keinen Einfluss auf den Eintritt der Fälligkeit und auf die Vollstreckbarkeit der Abgabenzahlungsschulden. Erst der Antrag auf Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO führt nach Maßgabe des § 230 leg. cit. zur Hemmung der Einbringung. Nach § 212a Abs. 3 BAO können Anträge auf Aussetzung der Einhebung bis zur Entscheidung über die Bescheidbeschwerde gestellt werden (vgl. VwGH 6.7.2006, 2003/15/0126).

Wurde ein Antrag auf Aussetzung der Einhebung gestellt, so dürfen Einbringungsmaßnahmen hinsichtlich der davon nach Maßgabe des § 212a Abs. 1, 2 lit. b und 3 letzter Satz BAO betroffenen Abgaben bis zu seiner Erledigung weder eingeleitet noch fortgesetzt werden (§ 230 Abs. 6 BAO). Die Aussetzung der Einhebung nach § 212a BAO dient der faktischen Effizienz von Bescheidbeschwerden. Die Wirkung der Aussetzung besteht nach § 212a Abs. 5 BAO in einem Zahlungsaufschub, welcher mit Ablauf der Aussetzung oder ihrem Widerruf endet.

Grund der Bestimmung des § 212a Abs. 1 und Abs. 2 BAO ist, dass der Beschwerdeführer nicht generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung bis zur endgültigen Erledigung eines Rechtsmittels belastet werden darf.

Eine Abweisung nach § 212a Abs. 2 lit. a BAO kommt nur dann in Betracht, wenn die Erfolglosigkeit eines Rechtsmittels offenkundig ist, wenn also die Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels für jede mit der Sache vertraut gemachte urteilsfähige und objektiv urteilende Person erkennbar ist. Aufgabe des Aussetzungsverfahrens ist es jedoch nicht, die Entscheidung im Rechtsmittelverfahren vorwegzunehmen. Die Behörde hat die Erfolgsaussichten der Bescheidbeschwerde anhand des Vorbringens im Rechtsmittelverfahren zu beurteilen. Es kommt nicht darauf an, ob die Bescheidbeschwerde - im Nachhinein betrachtet - tatsächlich Erfolg hatte oder nicht.

Wenn nunmehr im Vorlageantrag davon ausgegangen wird, dass im Ergebnis nur ein Betrag von EUR 1.426,99 strittig war und hätte vom Finanzamt die Aussetzung der Einhebung nur in diesem Ausmaß gewährt werden dürfen, ist diesem entgegen zu halten, dass im Zuge der Beurteilung der Bescheidbeschwerde deren Erfolgsaussichten lediglich abzuschätzen sind. Zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der Einhebung stand auf keinen Fall schon fest, dass es im Ergebnis zu einer Minderung im Ausmaß von EUR 1.426,99 kommen wird. Nach Lage des Falles erschien die Beschwerde auch nicht wenig erfolgversprechend zu sein. Aus diesen Gründen konnte es vom Finanzamt für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel auf keinen Fall nur zu einer Aussetzung der Einhebung im Ausmaß von nur EUR 1.426,99 kommen. Von der Bestandnehmerin wurde um Aussetzung der Einhebung im Ausmaß von EUR 45.199,56 ersucht."

3 Abschließend begründete das Gericht seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit einer Revision.

4 In der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Revision erachtet sich die Revisionswerberin in ihrem Recht auf Nichtfestsetzung der Gebühr verletzt. Sie begründet die Zulässigkeit ihrer Revision damit, aus § 212a BAO folge, dass die Einhebung einer Abgabe aussetzbar sei, wenn deren Höhe unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Bescheidbeschwerde abhänge. Dies gelte jedoch nur insoweit, als mit der Bescheidbeschwerde ein Bescheid in Beschwerdepunkten angefochten werde, in denen er von einem Anbringen abweiche. Konsequenterweise bedeute dies, dass die Behörde nur jenen Betrag von der Einhebung aussetzen dürfe, welcher von der abgabepflichtigen Partei bestritten werde. Den Antrag auf Entscheidung über die Berufung habe die Bestandnehmerin im gegenständlichen Fall damit begründet, das Finanzamt hätte ihrer Berufung nicht vollinhaltlich Rechnung getragen, weil die Abgabe in der Höhe von EUR 45.199,56 festgesetzt worden wäre und nicht mit dem beantragten Betrag in der Höhe von EUR 43.570,79. Daraus ergebe sich, dass der zum Zeitpunkt des Antrages auf Entscheidung über die Berufung strittige Betrag tatsächlich nur EUR 1.628,77 betragen habe und gemäß § 212a BAO nur dieser von der Einhebung hätte ausgesetzt werden dürfen. Tatsächlich habe sich der Verwaltungsgerichtshof mit der im gegenständlichen Verfahren aufgeworfenen Rechtsfrage, die "das Verschulden des Finanzamtes bei der Uneinbringlichkeit der Gebühr bei der Bestandnehmerin" und der daraus ergebenden Konsequenz für die Revisionswerberin als Gesamtschuldnerin betreffe, noch in keiner Entscheidung auseinander gesetzt. Die "grundlegende Rechtsfrage" sei sohin, wie sich ein Verschulden der Abgabenbehörde auf die Anwendbarkeit des § 6 BAO auswirke - eine Rechtsfrage, die in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes noch nicht gelöst sei.

5 Gemäß Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Verwaltungsgericht im Erkenntnis ausgesprochen, dass eine Revision nicht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, hat die Revision nach § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision).

6 Das Revisionsmodell der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 soll sich an jenem nach den §§ 500 ff ZPO orientieren (vgl. die ErläutRV 1618 BlgNR 24. GP  16). Ausgehend davon kann einer Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet (vgl. etwa den Beschluss vom 25. September 2015, Ra 2015/16/0085, mwN).

Der Frage, ob besondere Umstände des Einzelfalles auch eine andere Auslegung einer Erklärung gerechtfertigt hätten, kommt in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung im besagten Sinne zu (vgl. etwa den Beschluss vom 22. April 2015, Ra 2015/16/0020, betreffend die Frage der Auslegung eines Verhandlungsprotokolls oder jenen vom 4. Februar 2016, Ra 2015/16/0140, betreffend die Frage der Auslegung eines Bescheides). Auch nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (vgl. etwa den Beschluss vom 29. März 2004, 8 Ob 28/04g) bildet die einzelfallbezogene Auslegung von Prozesserklärungen keine erhebliche Rechtsfrage (im Sinn des § 502 Abs. 1 ZPO).

7 Die Revision wirft als wesentliche Rechtsfrage die der Bedeutung des Verschuldens der Abgabenbehörde an einer

Uneinbringlichkeit einer Abgabenforderung für eine

Inanspruchnahme nach § 6 BAO auf; das Verschulden erblickt sie in einer rechtswidrigen Aussetzung der Einhebung einer nicht "strittigen" Abgabe, wodurch die Abgabenbehörde die Uneinbringlichkeit (beim anderen Gesamtschuldner) "selbst verursachte, ja sogar verschuldete".

8 Gemäß § 212a Abs. 1 erster Satz BAO in der (im Zeitpunkt der Verfügung der Aussetzung im Jahr 2011 maßgeblichen) Fassung vor seiner Novellierung durch das FVwGG 2012, BGBl. I Nr. 14/2013, war die Einhebung einer Abgabe, deren Höhe unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Berufung abhängt, auf Antrag des Abgabepflichtigen insoweit auszusetzen, als eine Nachforderung unmittelbar oder mittelbar auf einen Bescheid, der von einem Anbringen abweicht, oder auf einem Bescheid, dem kein Anbringen zugrunde liegt, zurückzuführen ist, höchstens jedoch im Ausmaß der sich bei einer dem Begehren des Abgabepflichtigen Rechnung tragenden Berufungserledigung ergebenden Herabsetzung der Abgabenschuld.

9 Das Bundesfinanzgericht hat - entgegen dem Verständnis der Revision - der Berufung vom 1. April 2011 nicht die Bedeutung beigemessen, dass diese nur gegen einen (geringen) Teil des festgesetzten Abgabenbetrages gerichtet sein sollte, und ihr im Hinblick auf ihren Inhalt eine Erfolgsaussicht zugebilligt, die über das Maß des § 212a Abs. 2 lit. a BAO ("nach Lage des Falles wenig erfolgversprechend") hinausging. All dies war Ergebnis einer auf den Revisionsfall bezogenen und über diesen nicht hinausweisenden Auslegung der Berufung vom 1. April 2011, also einer einzelfallbezogenen Prozesserklärung, womit der von der Revision aufgeworfenen Rechtsfrage keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt.

10 Die vorliegende Revision ist daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 13. September 2016

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