Normen
32009R0810 Visakodex §32 Abs3;
32009R0810 Visakodex Art32 Abs3;
AVG §13 Abs3;
B-VG Art136 Abs2;
EURallg;
FrPolG 2005 §11 Abs1;
FrPolG 2005 §11a Abs1 idF 2013/I/068;
FrPolG 2005 §11a idF 2013/I/068;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §11;
VwRallg;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2015:RA2015210086.L00
Spruch:
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendung in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Revisionswerber ist kosovarischer Staatsangehöriger. Er war 1991 nach Österreich eingereist, wo ihm zuletzt am 9. Juni 2006 ein Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-Familienangehöriger" erteilt worden war. Im Hinblick auf strafgerichtliches Fehlverhalten erging gegen den Revisionswerber jedoch 2008 ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 24. November 2009, Zl. 2008/21/0155). Er befindet sich daher derzeit wieder im Kosovo und stellte im April 2014 bei der Österreichischen Botschaft Skopje (im Folgenden nur: Botschaft) den Antrag auf Erteilung eines Schengen-Visums zum Zweck "Besuch von Familienangehörigen oder Freunden". Diesem Antrag waren verschiedene Beilagen angeschlossen. Im Zuge eines Verbesserungsauftrages sowie aufgrund einer Aufforderung zur Stellungnahme legte der - mittlerweile durch einen österreichischen Rechtsanwalt vertretene - Revisionswerber weitere Unterlagen vor. Mit Bescheid vom 14. Mai 2014 wurde sein Visumsantrag dennoch abgewiesen, und zwar mit Verweis auf Art. 32 Abs. 1 lit. a sublit. vi. und lit. b der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex); sein Aufenthalt würde "die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden" und es bestünden "begründete Zweifel an der Rückkehrwilligkeit".
Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde.
Seitens der Botschaft erging hierauf zunächst folgende Erledigung:
"Diese Beschwerde kann aufgrund der nachfolgend angeführten
Mängel nicht weiter bearbeitet werden:
Sie haben der Beschwerde nicht sämtliche von Ihnen im
Verfahren vor der belangten Vertretungsbehörde vorgelegten Unterlagen samt Übersetzung in die deutsche Sprache angeschlossen.
Sollten Sie nicht innerhalb einer Woche ab Zustellung dieses Schreibens die genannten Mängel beheben bzw. die fehlenden Unterlagen nachreichen, wird die vorgelegte Beschwerde ohne weiteres Verfahren zurückgewiesen."
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 24. Juni 2014 wies die Botschaft dann die Beschwerde des Revisionswerbers zurück, weil er "der Aufforderung die vorhandenen Mängel zu beheben nicht vollständig nachgekommen" sei; er habe der Beschwerde nicht sämtliche von ihm im Verfahren vor der belangten Vertretungsbehörde vorgelegten Unterlagen samt Übersetzung in die deutsche Sprache angeschlossen.
Der Revisionswerber stellte daraufhin den Antrag, die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zur Entscheidung vorzulegen. Es sei - so wird in diesem Vorlageantrag der Sache nach ausgeführt - nicht erkennbar, welche Unterlagen fehlten; es sei nachträglich (offenbar gemeint: infolge des vorhin wiedergegebenen Auftrags der Botschaft) ohnehin der seinerzeitige Aufenthaltsverbotsbescheid, in deutscher Sprache, vorgelegt worden.
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 9. März 2015 wies auch das BVwG die Beschwerde gegen den Bescheid der Botschaft vom 14. Mai 2014 zurück, wobei es sich schon im Spruch seines Beschlusses auf § 11a Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) stützte. Dieser Vorschrift zuwider habe es der Revisionswerber verabsäumt, seiner Beschwerde die vor der österreichischen Vertretungsbehörde vorgelegten Unterlagen samt Übersetzung in die deutsche Sprache beizuschließen. Diesem "unbedingten formellen" Erfordernis - wobei eine Relevanz der im Zuge der Antragstellung vorgelegten Unterlagen und Dokumente nicht vorweg auszuschließen sei - habe der Revisionswerber dann auch trotz des von der Botschaft erteilten Verbesserungsauftrages nicht entsprochen. Seine Beschwerde erweise sich daher in Einklang mit der Beschwerdevorentscheidung als unzulässig.
Aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 11a Abs. 1 FPG sei diese Entscheidung - so das BVwG weiter - nicht von einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängig. Die ordentliche Revision wurde daher gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.
Über die gegen diesen Beschluss erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage seitens des BVwG und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch die Botschaft erwogen:
1. Die Zurückweisung der Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid der Botschaft vom 14. Mai 2014 wurde letztlich mit § 11a Abs. 1 FPG begründet.
§ 11a FPG wurde mit dem FNG-Anpassungsgesetz in das FPG eingefügt und trat am 1. Jänner 2014 in Kraft. Er hat folgenden Wortlaut:
"Beschwerden gegen Bescheide österreichischer Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten
§ 11a. (1) Der Beschwerdeführer hat der Beschwerde gegen einen Bescheid einer österreichischen Vertretungsbehörde sämtliche von ihm im Verfahren vor der belangten Vertretungsbehörde vorgelegten Unterlagen samt Übersetzung in die deutsche Sprache anzuschließen.
(2) Beschwerdeverfahren sind ohne mündliche Verhandlung durchzuführen. Es dürfen dabei keine neuen Tatsachen oder Beweise vorgebracht werden.
(3) Sämtliche Auslagen der belangten Vertretungsbehörde und des Bundesverwaltungsgerichtes für Dolmetscher und Übersetzer sowie für die Überprüfung von Verdolmetschungen und Übersetzungen sind Barauslagen im Sinn des § 76 AVG.
(4) ..."
Anders als vom BVwG zum Ausdruck gebracht, ist der Regelungsinhalt von § 11a Abs. 1 FPG, wozu noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes existiert, nicht völlig eindeutig und bedarf daher einer Klarstellung. Damit in Verbindung steht die vom Revisionswerber auch angeschnittene Frage, wie vorzugehen ist, wenn der Anordnung des § 11a Abs. 1 FPG nicht entsprochen wurde. Die Revision, der bei verständiger Würdigung - anders als in der Revisionsbeantwortung vertreten - auch der richtige Revisionspunkt (Verletzung im Recht auf eine Sachentscheidung über die erhobene Beschwerde) entnommen werden kann, ist daher zulässig.
2. Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass der Revisionswerber die Ausstellung eines Schengen-Visums beantragt hat. Es sind daher die Regelungen des Visakodex maßgeblich, der in seinem Art. 32 Abs. 3 erster Satz zunächst vorsieht, dass Antragstellern, deren Visumantrag abgelehnt wurde, ein Rechtsmittel zusteht. Im folgenden Satz wird dann angeordnet, dass die Rechtsmittel gegen den Mitgliedstaat, der endgültig über den Visumantrag entschieden hat, und in Übereinstimmung mit dem innerstaatlichen Recht dieses Mitgliedstaats zu führen sind. Damit wird hinsichtlich der Ausgestaltung des gegen die Versagung eines Visums vorzusehenden Rechtsmittels auf das innerstaatliche Recht verwiesen. Erst insoweit kommt § 11a FPG ins Spiel.
3.1. Die Anordnung des § 11a Abs. 1 FPG bezieht sich dem Wortlaut nach auf "sämtliche" vom Beschwerdeführer im Verfahren vor der belangten Vertretungsbehörde vorgelegten Unterlagen. Auch die ErläutRV zu § 11a Abs. 1 FPG (2144 BlgNR 24. GP 21) lassen - wenngleich nicht mehr der Ausdruck "sämtliche" verwendend - vordergründig keine Einschränkung erkennen. Demnach wird geregelt, "dass der Beschwerdeführer diejenigen Unterlagen, die er bereits im Verfahren vor der belangten Vertretungsbehörde vorgelegt hat, nun der Beschwerde beizufügen hat. Alle Unterlagen sind darüber hinaus vom Beschwerdeführer auch in übersetzter Form vorzulegen".
Trotzdem gebietet sich ein reduziertes Verständnis der in § 11a Abs. 1 FPG einem Beschwerdeführer bei Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer österreichischen Vertretungsbehörde auferlegten Verpflichtung.
3.2. Unbeschadet einer allenfalls schon im Hinblick auf Art. 136 Abs. 2 letzter Satz B-VG gebotenen eingeschränkten Lesart dieser Vorschrift kann dem Gesetzgeber nämlich nicht unterstellt werden, er habe Unmögliches anordnen wollen. § 11a Abs. 1 FPG ist daher - im Ergebnis gegen den vom BVwG und gegen den in der Revisionsbeantwortung eingenommenen Standpunkt - jedenfalls dergestalt reduziert zu verstehen, dass er sich nur auf solche von einem Beschwerdeführer vorgelegte Unterlagen beziehen kann, die diesem von der österreichischen Vertretungsbehörde zurückgestellt wurden und die sich sohin nicht ohnehin - nach wie vor - im Botschaftsakt befinden. In den Akten einliegende Unterlagen, die nicht zurückgestellt wurden, können vom Beschwerdeführer nämlich schon rein faktisch nicht - neuerlich - vorgelegt werden. Dass er aber verpflichtet wäre, vor Beschwerdeerhebung die in den Akten erliegenden Unterlagen von der österreichischen Vertretungsbehörde zurückzufordern, um sie dann mit der bei derselben Vertretungsbehörde einzubringenden Beschwerde wiederholt vorzulegen, kann weder dem Gesetzeswortlaut noch den zitierten Erläuterungen entnommen werden.
3.3. Das eben Gesagte gilt nicht nur für Originalurkunden, sondern grundsätzlich auch für Kopien, weil bei den Akten befindliche Kopien als solche ebenfalls keiner neuerlichen Vorlage zugänglich sind (sondern nur weitere Kopien des Originals hergestellt und vorgelegt werden könnten; eine in diese Richtung gehende Anordnung ist § 11a Abs. 1 FPG aber ebensowenig zu entnehmen wie eine solche, es müssten der Beschwerde nunmehr die Originale selbst angeschlossen werden).
3.4. Es ist also als Zwischenergebnis festzuhalten, dass sich § 11a Abs. 1 FPG regelmäßig (zu einer Ausnahme siehe gleich unter Punkt 3.6.) nur auf die Beigabe solcher Unterlagen beziehen kann, die vom Beschwerdeführer der österreichischen Vertretungsbehörde vorgelegt und die ihm dann von dieser wieder zurückgestellt wurden.
3.5. Auch die Verpflichtung, eine Übersetzung in die deutsche Sprache anzuschließen, kann sich - weil sich das ohne im Besitz der Unterlagen zu sein sonst nicht bewerkstelligen lässt - nur auf wieder zurückgestellte Unterlagen beziehen. Unterbleibt eine Rückstellung, so ist die Übersetzung gegebenenfalls - wenn das für notwendig erachtet wird (was etwa bei Personenstandsurkunden häufig nicht der Fall sein wird) - (insbesondere) durch das BVwG zu veranlassen. Davon ausgehend bleibt auch angesichts der Anordnungen des zweiten Absatzes des § 11a FPG (keine Verhandlung und Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren) realistisch Raum für die im dritten Absatz dieser Vorschrift angesprochenen
"Auslagen ... des Bundesverwaltungsgerichtes für Dolmetscher und
Übersetzer". Das lässt die Botschaft, wenn sie in ihrer Revisionsbeantwortung Art. 8 B-VG sowie den Grundsatz der Verfahrensökonomie ins Treffen führt, der einer Übersetzung von für die Entscheidungsfindung heranzuziehenden Unterlagen durch das BVwG entgegen stünde, außer Acht.
3.6. Bezüglich vorgelegter fremdsprachiger Kopien ergibt sich - sofern dem Beschwerdeführer das Original zur Verfügung steht - eine Ausnahme: Es kann nämlich im Regelfall (wenn es nicht auf die Kopie als solche ankommt) nicht zweckmäßig sein, die Kopie einer Übersetzung zuzuführen. In die deutsche Sprache zu übersetzen ist vielmehr das Original selbst; in einer solchen Konstellation ist dann aber bei sinnvoller Lesart der Anordnung des § 11a Abs. 1 FPG auch davon auszugehen, dass - grundsätzlich (bzw. bis zu einer gegenteiligen Aufforderung seitens der österreichischen Vertretungsbehörde oder des BVwG) - Originalurkunden samt beigefügter deutscher Übersetzung der Beschwerde anzuschließen sind.
4. Kommt ein Beschwerdeführer der unter Punkt 3. soeben näher erläuterten Verpflichtung, seiner Beschwerde gegen den Bescheid einer österreichischen Vertretungsbehörde die von ihm im Verfahren vorgelegten Unterlagen samt Übersetzung in die deutsche Sprache anzuschließen, nicht nach, so leidet seine Beschwerde an einem Formgebrechen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. November 2000, Zl. 97/05/0213). Das darf allerdings - ebenso wie nach § 13 Abs. 3 AVG - auch nach den für österreichische Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten geltenden Verfahrensregeln, die gem. § 11 VwGVG im Beschwerdevorverfahren Platz zu greifen haben, nicht zur sofortigen Beschwerdezurückweisung führen. Gemäß § 11 Abs. 1 letzter Satz FPG, welche Anordnung auch für Verfahren nach dem Visakodex gilt (vgl., wenn auch unter dem Blickwinkel der Gewährung vom Parteiengehör, das hg. Erkenntnis vom 29. September 2011, Zl. 2010/21/0344), darf eine Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, nämlich erst ergehen, wenn die Partei Gelegenheit zur Behebung von Formgebrechen und zu einer abschließenden Stellungnahme hatte.
5. Für den vorliegenden Fall ergibt sich aus all dem Folgendes:
Der Revisionswerber hat im Verfahren vor der Botschaft eine Reihe von Unterlagen vorgelegt, und zwar einerseits deutschsprachige und andererseits albanischsprachige. Dabei handelte es sich zum Teil um Originale und zum Teil um Kopien. Jedenfalls die Mehrzahl dieser Unterlagen verblieb - soweit ersichtlich - im Akt der Botschaft, sodass nach Maßgabe des oben unter Punkt 3. Ausgeführten zumindest insoweit grundsätzlich keine Verpflichtung des Revisionswerbers bestand, sie seiner Beschwerde - gegebenenfalls in deutscher Übersetzung - anzuschließen. Soweit ihm Unterlagen wieder ausgefolgt wurden, wozu das BVwG allerdings keine konkreten Feststellungen getroffen hat, konnte zwar die Anordnung des § 11a Abs. 1 FPG - allenfalls - schlagend werden. Der vor einer Beschwerdezurückweisung zwingend gebotene Mängelbehebungsauftrag (siehe Punkt 4.) hätte sich jedenfalls vor dem Hintergrund der hier nach dem Gesagten in jedem Fall nur eingeschränkt bestehenden Vorlageverpflichtung des Revisionswerbers jedoch nicht in der Verwendung der verba legalia
(es seien "sämtliche ... im Verfahren vor der belangten
Vertretungsbehörde vorgelegten Unterlagen samt Übersetzung in die deutsche Sprache" anzuschließen) erschöpfen dürfen. Vielmehr wäre konkret darauf hinzuweisen gewesen, welche Unterlagen im Einzelnen, gegebenenfalls unter Beifügung einer Übersetzung in die deutsche Sprache, nachzureichen sind (vgl. in diesem Sinn zu § 13 Abs. 3 AVG das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 2002, Zl. 2002/20/0273; das in der Revisionsbeantwortung angezogene Erkenntnis vom 13. November 2012, Zl. 2010/05/0047, ist dagegen nicht einschlägig, weil vorliegend - anders als in dem dort zugrunde liegenden Fall - gerade nicht ohne Weiteres erkannt werden konnte, was "nachzuholen" ist). Erweist sich der noch von der Botschaft erteilte Verbesserungsauftrag damit aber als nicht hinreichend, so widerspricht die hier erfolgte Beschwerdezurückweisung jedenfalls dem Gesetz. Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am 3. September 2015
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