VwGH Ra 2015/15/0063

VwGHRa 2015/15/006326.1.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bamminger, über die Revision des Finanzamts Salzburg‑Stadt in 5026 Salzburg, Aignerstraße 10, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom 22. Juni 2015, Zl. RV/6100498/2009, betreffend Kapitalertragsteuer 2005 bis 2007 (mitbeteiligte Partei: M Privatstiftung in S, vertreten durch die Ebner Aichinger Guggenberger Rechtsanwälte GmbH in 5020 Salzburg, Sterneckstraße 35), zu Recht erkannt:

Normen

BAO §224
BAO §278 Abs1 idF 2013/I/014
BAO §279
B-VG Art130 Abs3 idF 2012/I/051
B-VG Art130 Abs4 Z2 idF 2012/I/051
EStG 1988 §95

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2015150063.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1 Die Mitbeteiligte ist eine Privatstiftung.

2 Mit Prüfungsauftrag vom 5. März 2009 führte das Finanzamt eine Außenprüfung betreffend Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer für die Jahre 2005 bis 2007 durch. Im Bericht über die Außenprüfung führte die Prüferin aus, dass die Gewährung eines Darlehens der Privatstiftung an eine GmbH in Höhe von 500.000 € aufgrund der Nahebeziehung zwischen dem Vorstand und dem Begünstigten der Privatstiftung als Geschäftsführer der GmbH erfolgt sei und einem Fremdvergleich nicht standhalte. Ein fremder Dritter hätte dieses Darlehen nicht gewährt, weil die GmbH schwer verschuldet gewesen sei, woraus sich eine verdeckte Zuwendung in Höhe von 500.000 € ergebe. Für den gesamten Prüfungszeitraum seien zudem Kunstgegenstände, im Jahr 2005 Bilder und Holzskulpturen, in den Jahren 2006 und 2007 Schmuckgegenstände, erworben worden, die sich im Haus des Begünstigten befänden. Die Anlagengegenstände könnten nicht der Privatstiftung zugeordnet werden und es handle es sich um eine verdeckte Zuwendung der Stiftung an den Begünstigten.

3 Gegen die in der Folge erlassenen Haftungsbescheide betreffend Kapitalertragsteuer 2005 bis 2007 erhob die Mitbeteiligte Berufung.

4 Mit dem angefochtenen Beschluss hob das Bundesfinanzgericht die bekämpften Bescheide auf und verwies die Sache zur Durchführung weiterer Ermittlungen an die Abgabenbehörde. Begründend führte es aus, Voraussetzungen für die Haftungsinanspruchnahme des Abzugsverpflichteten seien nur das Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen für eine Heranziehung zur Haftung für Kapitalertragsteuer gemäß § 95 Abs. 1 EStG 1988 (die objektive Pflichtverletzung) und ‑ da die Haftungsinanspruchnahme eine Ermessensentscheidung sei ‑ die Zweckmäßigkeit und Billigkeit dieser Maßnahme. Dabei komme der (zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung von der Abgabenbehörde zu treffenden) Ermessensentscheidung besondere Bedeutung zu. Insbesondere in Fällen, in denen die Einbringung der Kapitalertragsteuer beim Empfänger der Kapitalerträge nach der Lage des Falls wenig erfolgversprechend scheine oder das Verhalten des Empfängers der Kapitalerträge auf eine Gefährdung der Einbringlichkeit der Kapitalertragsteuer gerichtet sei, werde die Heranziehung der Gesellschaft zur Haftung für Kapitalertragsteuer gemäß § 95 Abs. 1 EStG 1988 neben oder ohne vorangegangene Vorschreibung der Kapitalertragsteuer an den Empfänger der Kapitalerträge zulässig sein. Aber auch das Verschulden des Abzugsverpflichteten an der nicht vorschriftsmäßigen Kürzung der Kapitalertragsteuer sei bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. Bei der verdeckten Ausschüttung sei ein solches Verschulden immanent.

5 Werde bei einer Körperschaft das Vorliegen einer verdeckten Ausschüttung festgestellt, sei nach § 95 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 die KESt vorrangig an den oder die Empfänger der Kapitalerträge (Eigenschuldner) vorzuschreiben, somit an den/die Anteilsinhaber der Körperschaft, dem/denen die verdeckte Ausschüttung zuzurechnen sei. Das Heranziehen der ausschüttenden Körperschaft zur Haftung für die KESt (per Haftungsbescheid) sei eine zu begründende Ermessensentscheidung und grundsätzlich nachrangig zur Vorschreibung an den Empfänger der Kapitalerträge als Eigenschuldner, könne aber bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für einen Haftungsbescheid sowohl zusätzlich zur Vorschreibung an den Eigenschuldner, als auch statt der Vorschreibung an ihn erfolgen.

6 Im anhängigen Verfahren habe es das Finanzamt jedoch unterlassen, Ermittlungen zur Frage vorzunehmen, warum die ausschüttende Körperschaft zur Haftung für die KESt (per Haftungsbescheid) heranzuziehen sei. Das Heranziehen der ausschüttenden Körperschaft zur Haftung für die KESt sei eine zu begründende Ermessensentscheidung. Als Bescheidbegründung der Haftungsbescheide betreffend Kapitalertragsteuer 2005 bis 2007 habe das Finanzamt lediglich auf den Betriebsprüfungsbericht verwiesen. Eine Begründung der Ermessensentscheidung habe gänzlich gefehlt.

7 Dabei komme der (zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung von der Abgabenbehörde zu treffenden) Ermessensentscheidung besondere Bedeutung zu. Insbesondere in Fällen, in denen die Einbringung der Kapitalertragsteuer beim Empfänger der Kapitalerträge nach der Lage des Falls wenig erfolgversprechend scheine oder das Verhalten des Empfängers der Kapitalerträge auf eine Gefährdung der Einbringlichkeit der Kapitalertragsteuer gerichtet sei, werde die Heranziehung der Gesellschaft zur Haftung für Kapitalertragsteuer gemäß § 95 Abs. 1 EStG 1988 neben oder ohne vorangegangene Vorschreibung der Kapitalertragsteuer an den Empfänger der Kapitalerträge zulässig sein. Weder werde auf diese Punkte in der Bescheidbegründung eingegangen, noch befänden sich in den vorgelegten Akten diesbezügliche Unterlagen, Nachweise oder Beweismittel. Die aufgezeigten Umstände machten evident, dass damit die für eine ordnungsgemäße Sachverhaltsfeststellung erforderlichen Ermittlungen unterblieben seien. Den Bescheiden seien keine konkreten Feststellungen hinsichtlich der Ermessensübung zu entnehmen.

8 Mängel im erstinstanzlichen Verfahren könnten zwar grundsätzlich im Rechtsmittelverfahren saniert werden, allerdings sei es unerlässlich, dass der Sachverhalt entsprechend erhoben und aus der Aktenlage nachvollziehbar sei. Im Hinblick auf den Umfang der durchzuführenden Ermittlungen erweise sich die Aufhebung vor allem deshalb als zulässig, weil die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes sowie die damit verbundene Gewährung des Parteiengehörs (§ 115 Abs. 2 BAO) durch das Bundesfinanzgericht keinesfalls im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Dass die Durchführung der unterlassenen Ermittlungen zu einem anderen Bescheidspruch hätte führen können, liege auf der Hand.

9 Neben den offenkundig missachteten gesetzlichen Verpflichtungen der Abgabenbehörde zur ordnungsgemäßen Ermittlung des dem angefochtenen Abgabenbescheid zugrunde gelegten Sachverhalts sei im Rahmen der Ermessensübung zudem zu berücksichtigen, dass mit der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und der Zurückverweisung an die erste Instanz auch dem Rechtsschutzgedanken besser entsprochen werde. Dem Mitbeteiligten werde damit nämlich die Möglichkeit eröffnet, seinen Standpunkt, den er bisher aufgrund der unterlassenen Ermittlungen und der unzureichenden Bescheidbegründung im abgabenbehördlichen Verfahren noch nicht angemessen habe darlegen können, unter Wahrung des gesetzlich vorgesehenen Instanzenzuges zu vertreten und die entscheidungsrelevanten Sachverhaltsaspekte zu klären.

10 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision des Finanzamts. Als Zulässigkeitsgründe macht das Finanzamt geltend, der angefochtene Beschluss weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 278 Abs. 1 BAO betreffend Bescheidaufhebung und Zurückverweisung sowie von der Rechtsprechung zu § 95 Abs. 5 EStG 1988 (idF vor dem BudBG 2011) für die Erlassung von Haftungsbescheiden ab.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

12 Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen hat, normiert § 278 Abs. 1 BAO idF FVwGG (abgesehen von den in lit. a und b vorgesehenen Formalentscheidungen) den Grundsatz der Entscheidung in der Sache vor einer ausnahmsweisen Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde. Eine solche Aufhebung ist jedenfalls unzulässig, wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Die Ausnahmebestimmung (der Ermächtigung zur Aufhebung und Zurückverweisung) ist, an den Zielsetzungen der Verwaltungsgerichtsbarkeits‑Novelle 2012 orientiert, restriktiv (im Sinne eines engen Anwendungsbereiches) zu verstehen (vgl. VwGH vom 1. September 2015, Ro 2014/15/0029 sowie vom 9. September 2015, Ra 2015/16/0037).

13 Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 28. Mai 2015, Ro 2014/15/0046, näher ausgeführt hat, liegt es im Falle verdeckter Ausschüttungen im Ermessen, ob die Haftung gegenüber der gewinnausschüttenden Körperschaft geltend gemacht wird oder eine unmittelbare Vorschreibung an den Empfänger der Kapitalerträge erfolgt (ebenso VwGH vom 30. Juni 2015, 2012/15/0165).

14 Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 28. Mai 2015, Ro 2014/15/0046 mwN, gleichfalls ausgeführt hat, ist die Kapitalertragsteuer dabei grundsätzlich vom Schuldner der Kapitalerträge abzuführen. Nur „ausnahmsweise“ wird der Empfänger der Kapitalerträge gemäß § 95 EStG 1988 in Anspruch genommen. Abgabenrechtliche Haftungen setzen nach ständiger Rechtsprechung den Bestand einer Abgabenschuld voraus, nicht aber, dass diese Schuld dem Abgabenschuldner gegenüber bereits geltend gemacht wurde. Es stößt daher grundsätzlich auf keine Bedenken, die ausschüttende GmbH zur Haftung für die Kapitalertragsteuer aus verdeckten Ausschüttungen heranzuziehen.

15 Vor dem geschilderten rechtlichen Hintergrund ist das Bundesfinanzgericht zu Unrecht umgekehrt von einem grundsätzlich vorrangigen (und nicht weiter begründungsbedürftigen) Heranziehen des Empfängers der Kapitalerträge und einer nachrangigen (und begründungsbedürftigen) Inanspruchnahme der ausschüttenden Körperschaft ausgegangen.

16 Wendet sich eine gewinnausschüttende Körperschaft im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs gegen ihre Inanspruchnahme im Haftungsweg für die Kapitalertragsteuer aus verdeckten Ausschüttungen und macht dazu eine unrichtige Ermessensentscheidung der Abgabenbehörde geltend, liegt es am Bundesfinanzgericht, zu den diesbezüglichen Ermessensparametern erforderlichenfalls ergänzende Ermittlungen und Feststellungen zu treffen und auf dieser Grundlage im Sinne des § 279 BAO zu entscheiden, ob gemäß § 95 EStG die Haftung gegenüber der gewinnausschüttenden Körperschaft geltend gemacht werden kann. Dabei kommt dem Bundesfinanzgericht gemäß Art. 130 Abs. 3 B‑VG zwar insofern eine besondere Position zu, als ihm auch in Ermessensfragen eine volle Kognition eingeräumt ist (vgl. Sutter, in Holoubek/Lang, Das Verfahren vor BVwG und BFG, 274). Es hat dabei aber die im Erkenntnis vom 28. Mai 2015, Ro 2014/15/0046, vorgegebenen Grundsätze zu beachten.

17 Für eine Zurückverweisung bestand daher im Revisionsfall kein Raum.

18 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 26. Jänner 2017

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