VwGH Ra 2015/11/0101

VwGHRa 2015/11/010128.1.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Revision des F P in I, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 24. Oktober 2014, Zl. LVwG-650226/6/Bi/CG, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems), zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §26 Abs2a;
FSG 1997 §7 Abs3 Z3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §13 Abs1;
VwGVG 2014 §13 Abs2;
FSG 1997 §26 Abs2a;
FSG 1997 §7 Abs3 Z3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §13 Abs1;
VwGVG 2014 §13 Abs2;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft K. (BH) vom 18. August 2014 wurde die Lenkberechtigung des Revisionswerbers für die Klassen AM und B für die Dauer von 6 Monaten, "gerechnet ab dem Datum der Zustellung dieses Bescheides", entzogen. Unter einem wurde darauf hingewiesen, dass er den Führerschein unverzüglich bei der BH abzuliefern habe. Als Rechtsgrundlagen wurden (u.a.) § 26 Abs. 1, § 7 Abs. 3 Z 3 und § 29 Abs. 3 FSG angeführt. Einen Ausspruch betreffend den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde enthält der Bescheid nicht.

In der Begründung wurde ausgeführt, der Revisionswerber sei mit in Rechtskraft erwachsenem Straferkenntnis vom 28. März 2014 dafür bestraft worden, dass er am 1. August 2013 an einer näher bezeichneten Stelle auf der A9 als Lenker eines Kraftfahrzeugs zu einem vor ihm am gleichen Fahrstreifen fahrenden Fahrzeug einen zeitlichen Sicherheitsabstand von lediglich 0,18 Sekunden eingehalten habe, was mittels Videomessung festgestellt worden sei.

1.2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 24. Oktober 2014 wies das Verwaltungsgericht die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde ab und bestätigte diesen auf der Rechtsgrundlage des § 26 Abs. 2a FSG. Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

In der Begründung verwies das Verwaltungsgericht auf die Bindungswirkung des wegen Übertretung des § 18 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 ergangenen und in Rechtskraft erwachsenen Straferkenntnisses vom 28. März 2014, sodass der Revisionswerber eine bestimmte Tatsache iSd § 7 Abs. 3 Z 3 FSG verwirklicht habe, für die ihm angesichts erstmaliger Begehung gemäß § 26 Abs. 2a FSG die Lenkberechtigung zwingend für mindestens 6 Monate zu entziehen gewesen sei (Hinweis u.a. auf das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 2014, Zl. 2013/11/0112).

1.3. Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 17. September 2015, E 1723/2014-15, ablehnte und mit Beschluss vom 19. Oktober 2015, E 1723/2014-17, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

1.4. Mit Schriftsatz vom 5. November 2015 erhob der Revisionswerber gegen das genannte Erkenntnis vom 24. Oktober 2014 innerhalb der Frist des § 26 Abs. 4 VwGG die vorliegende außerordentliche Revision.

Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

In der Revision wird zur Frage ihrer Zulässigkeit zusammengefasst ausgeführt, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 2009, Zl. 2007/11/0009) ab, weil es, indem es den Entziehungsbescheid ohne neue Festsetzung des Entziehungszeitraumes bestätigt habe, die Entziehung der Lenkberechtigung unzulässiger Weise für einen zurückliegenden Zeitraum ausgesprochen habe.

Die Revision ist aus dem von ihr genannten Grund zulässig und begründet:

2.1. Die hier maßgebenden Bestimmungen des FSG lauten:

"Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder

2. sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird.

...

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

...

3. als Lenker eines Kraftfahrzeuges durch Übertretung von Verkehrsvorschriften ein Verhalten setzt, das an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat; als Verhalten, das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, gelten insbesondere erhebliche Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit vor Schulen, Kindergärten und vergleichbaren Einrichtungen sowie auf Schutzwegen oder Radfahrerüberfahrten, sowie jedenfalls Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 90 km/h oder außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 100 km/h, das Nichteinhalten des zeitlichen Sicherheitsabstandes beim Hintereinanderfahren, sofern der zeitliche Sicherheitsabstand eine Zeitdauer von 0,2 Sekunden unterschritten hat und diese Übertretungen mit technischen Messgeräten festgestellt wurden, ...

...

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

...

Dauer der Entziehung

§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen. Endet die Gültigkeit der Lenkberechtigung vor dem Ende der von der Behörde prognostizierten Entziehungsdauer, so hat die Behörde auch auszusprechen, für welche Zeit nach Ablauf der Gültigkeit der Lenkberechtigung keine neue Lenkberechtigung erteilt werden darf.

...

Sonderfälle der Entziehung

§ 26. ...

(2a) Im Falle der erstmaligen Begehung einer in § 7 Abs. 3 Z 3 genannten Übertretung hat die Entziehungsdauer mindestens sechs Monate zu betragen, sofern nicht gemäß Abs. 2 eine längere Entziehungsdauer auszusprechen ist. Eine nach Ablauf von zwei Jahren seit der letzten Übertretung begangene derartige Übertretung gilt als erstmalig begangen.

...

Besondere Verfahrensbestimmungen für die Entziehung

§ 29. ...

(3) Nach Eintritt der Vollstreckbarkeit des Entziehungsbescheides ist der über die entzogene Lenkberechtigung ausgestellte Führerschein, sofern er nicht bereits abgenommen wurde, unverzüglich der Behörde abzuliefern. Dies gilt auch für die Fälle des § 30, sofern sich der Lenker noch in Österreich aufhält.

(4) Wurde der Führerschein gemäß § 39 vorläufig abgenommen und nicht wieder ausgefolgt, so ist die Entziehungsdauer ab dem Tag der vorläufigen Abnahme zu berechnen.

..."

2.2. Wie dargestellt wurde mit dem (vom Verwaltungsgericht bestätigten) Bescheid der BH vom 18. August 2014 die Lenkberechtigung des Revisionswerbers für die Dauer von 6 Monaten, "gerechnet ab dem Datum der Zustellung dieses Bescheides" entzogen. Der dagegen erhobenen Beschwerde kam jedoch aufschiebende Wirkung zu, weil diese von der Behörde nicht ausgeschlossen worden war (§ 13 Abs. 1 und 2 VwGVG).

Vor diesem Hintergrund ist die Bestätigung dieses Bescheides durch das Verwaltungsgericht rechtswidrig:

Die gegenständliche Entziehung der Lenkberechtigung führe mit Rechtswirksamkeit ab Zustellung des Bescheides der BH bei gleichzeitiger Nichtaberkennung der aufschiebenden Wirkung zu einer (bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses) unzulässigen Entziehung für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum (rückwirkende Entziehung; vgl. abermals das zitierte Erkenntnis, Zl. 2007/11/0009, mwN, sowie das Erkenntnis vom 26. Jänner 2010, Zl. 2009/11/0207).

Indem das Verwaltungsgericht den Entziehungsbescheid ohne entsprechende Korrektur des Zeitpunktes des Beginns der Entziehung der Lenkberechtigung bestätigt hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

2.3. Für das fortgesetzte Verfahren sei aus verfahrensökonomischen Gründen auf Folgendes hingewiesen: Soweit die Revision meint, die Daten der gegenständlichen Videoüberwachung hätten gemäß § 98e Abs. 1 StVO 1960 nur für Zwecke nachfolgender Verwaltungsstrafverfahren, nicht jedoch für das gegenständliche Entziehungsverfahren nach dem FSG verwendet werden dürfen, so ist dem zu entgegnen, dass im gegenständlichen Entziehungsverfahren nicht erst anhand des Videomaterials das Vorliegen einer Verwaltungsübertretung zu prüfen war, sondern dass, wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, angesichts der Rechtskraft des Straferkenntnisses vom 28. März 2014 von dessen Bindungswirkung auszugehen war (vgl. aus vielen das hg. Erkenntnis vom 21. August 2014, Zl. Ra 2014/11/0027).

3. Nach dem Gesagten war das angefochtene Erkenntnis wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 28. Jänner 2016

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