VwGH 2013/11/0112

VwGH2013/11/011227.5.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats des Landes Oberösterreich vom 9. April 2013, Zl. VwSen- 523402/2/Sch/AK, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung und weitere Maßnahmen nach dem FSG (mitbeteiligte Partei: H H, L; weitere Partei: Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §26 Abs1;
FSG 1997 §26 Abs2;
FSG 1997 §26 Abs2a;
FSG 1997 §26 Abs3;
FSG 1997 §7 Abs3 Z3;
FSG 1997 §26 Abs1;
FSG 1997 §26 Abs2;
FSG 1997 §26 Abs2a;
FSG 1997 §26 Abs3;
FSG 1997 §7 Abs3 Z3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Dem Mitbeteiligten wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck, der nunmehr beschwerdeführenden Partei (iF: Beschwerdeführerin), vom 28. Jänner 2013 gemäß §§ 24 Abs. 1, 26 Abs. 2a, 30 Abs. 1, 32 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit § 7 Abs. 3 Z 3 FSG die Lenkberechtigung für 6 Monate entzogen, das Lenken eines vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugs und eines Motorfahrrades verboten und das Recht aberkannt, während der Dauer der Entziehung von einer ausländischen Lenkberechtigung in Österreich Gebrauch zu machen.

Die Beschwerdeführerin legte dem im Wesentlichen Folgendes zugrunde:

Der Mitbeteiligte hatte am 4. Dezember 2011 an einer näher konkretisierten Stelle auf der A1 als Lenker eines Kraftfahrzeugs zu einem vor ihm am gleichen Fahrstreifen fahrenden Fahrzeug einen zeitlichen Sicherheitsabstand von lediglich 0,19 Sekunden eingehalten, was mittels Videomessung festgestellt worden war. Aufgrund dieser Übertretung wurde er mit Strafverfügung der Beschwerdeführerin vom 17. Februar 2012, in Rechtskraft erwachsen durch den Bescheid der belangten Behörde vom 23. November 2012, bestraft.

Das Entziehungsverfahren war mit Schreiben der Beschwerdeführerin vom 3. Dezember 2012 eingeleitet worden.

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung legte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen dar, aufgrund der rechtskräftigen Bestrafung stehe für die Führerscheinbehörde bindend fest, dass der Mitbeteiligte den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand beim Hintereinanderfahren von 0,2 Sekunden unterschritten habe, und damit eine bestimmte Tatsache iSd § 7 Abs. 3 Z 3 FSG verwirklicht wurde. Das Entziehungsverfahren sei rechtzeitig - innerhalb eines Jahres nach der Anlasstat - eingeleitet worden. Im Fall der erstmaligen Begehung einer in § 7 Abs. 3 Z 3 FSG genannten Übertretung habe die Entziehungsdauer mindestens 6 Monate zu betragen (§ 26 Abs. 2a FSG); einer Wertung des Verhaltens des Betroffenen, insbesondere der zwischen Anlasstat und Ausspruch der Entziehung verstrichenen Zeit, habe zu unterbleiben.

Mit dem nun angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 9. April 2013 wurde der Berufung des Mitbeteiligten gegen den erstinstanzlichen Entziehungsbescheid Folge gegeben und dieser (ersatzlos) behoben.

Die belangte Behörde führte im Rahmen der Begründung im Wesentlichen aus, zwar sei die Einleitung des Entziehungsverfahrens (exakt) innerhalb eines Jahres ab Tatzeitpunkt erfolgt. Im Hinblick auf die seit der Anlasstat verstrichene Zeit von 14 Monaten müsse unter Berücksichtigung der 6-monatigen Entziehungsdauer ein Zeitraum der Verkehrsunzuverlässigkeit des Mitbeteiligten von insgesamt 20 Monaten angenommen werden, damit die mit dem Erstbescheid ausgesprochene Entziehung rechtmäßig sein könne. Irgendwelche Anhaltspunkte für eine derartig (lange) negative Zukunftsprognose beim Mitbeteiligten könnten dem Akt nicht entnommen werden. Es sei daher der Berufung Folge zu geben und der Erstbescheid zu beheben gewesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Amtsbeschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde - der Mitbeteiligte hat sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht geäußert - in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Die Beschwerde macht im Wesentlichen geltend, auf Grundlage des unstrittigen Sachverhalts hätte die belangte Behörde die Berufung gegen den erstinstanzlichen Entziehungsbescheid abweisen müssen, weil § 26 Abs. 2a FSG eine Mindestentziehungszeit von 6 Monaten normiere, weshalb eine Wertung iSd § 7 FSG zu entfallen habe, vielmehr die Mindestentziehungszeit zu verhängen gewesen wäre.

2. Die Beschwerde ist begründet.

2.1. Die maßgebenden Bestimmungen des FSG lauten:

"Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder

2. ...

...

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

...

3. als Lenker eines Kraftfahrzeuges durch Übertretung von Verkehrsvorschriften ein Verhalten setzt, das an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat; als Verhalten, das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, gelten insbesondere erhebliche Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit vor Schulen, Kindergärten und vergleichbaren Einrichtungen sowie auf Schutzwegen oder Radfahrerüberfahrten, sowie jedenfalls Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 90 km/h oder außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 100 km/h, das Nichteinhalten des zeitlichen Sicherheitsabstandes beim Hintereinanderfahren, sofern der zeitliche Sicherheitsabstand eine Zeitdauer von 0,2 Sekunden unterschritten hat und diese Übertretungen mit technischen Messgeräten festgestellt wurden, das Übertreten von Überholverboten bei besonders schlechten oder bei weitem nicht ausreichenden Sichtverhältnissen oder das Fahren gegen die Fahrtrichtung auf Autobahnen;

...

(4) Für die Wertung der in Abs. 1 genannten und in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend, wobei bei den in Abs. 3 Z 14 und 15 genannten bestimmten Tatsachen die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit nicht zu berücksichtigen ist.

...

5. Abschnitt

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung

Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

...

Sonderfälle der Entziehung

§ 26. ...

...

(2a) Im Falle der erstmaligen Begehung einer in § 7 Abs. 3 Z 3 genannten Übertretung hat die Entziehungsdauer mindestens sechs Monate zu betragen, sofern nicht gemäß Abs. 2 eine längere Entziehungsdauer auszusprechen ist. Eine nach Ablauf von zwei Jahren seit der letzten Übertretung begangene derartige Übertretung gilt als erstmalig begangen.

..."

2.2. Im Beschwerdeverfahren ist nicht strittig, dass der Mitbeteiligte am 4. Dezember 2011 als Lenker eines Kraftfahrzeugs beim Hintereinanderfahren zu einem vor ihm am gleichen Fahrstreifen fahrenden Fahrzeug einen zeitlichen Sicherheitsabstand von weniger als 0,2 Sekunden eingehalten hat, was mit einem technischen Messgerät festgestellt wurde, und dass er wegen dieser Übertretung rechtskräftig bestraft wurde. Ebenso wenig ist strittig, dass das Entziehungsverfahren wegen dieser Anlasstat innerhalb eines Jahres ab der Anlasstat eingeleitet worden ist.

2.3. In den Fällen, für die bereits im Gesetz eine fixe bzw. eine Mindestentziehungsdauer normiert ist, hat schon die Verwirklichung einer bestimmten Tatsache iSd § 7 Abs. 3 FSG zur Entziehung der Lenkberechtigung für die im Gesetz bestimmte (Mindest‑)Dauer zu führen und eine Wertung iSd § 7 Abs. 4 FSG zu entfallen.

Für ein Unterschreiten der gesetzlich vorgegebenen Mindestentziehungsdauer fehlt eine gesetzliche Grundlage. Bei Vorliegen der in § 26 Abs. 1 bis 3 FSG umschriebenen Voraussetzungen ist daher jedenfalls eine Entziehung der Lenkberechtigung für den jeweils vorgesehenen fixen Zeitraum bzw. Mindestzeitraum auszusprechen (vgl. zum Ganzen die hg. Erkenntnisse vom 27. Jänner 2014, Zl. 2013/11/0211, vom 29. März 2011, Zl. 2011/11/0039, und vom 17. November 2009, Zl. 2009/11/0023, je mwN).

Nichts anderes gilt für die Fälle des § 26 Abs. 2a FSG, für die das Gesetz eine Mindestentziehungsdauer von sechs Monaten normiert.

2.4. Da das Entziehungsverfahren durch die Erstbehörde rechtzeitig eingeleitet worden ist, war es der belangten Behörde verwehrt, von einer Entziehung der Lenkberechtigung abzusehen.

Der Hinweis der belangten Behörde auf die sich unter Berücksichtigung des seit der Anlasstat verstrichenen Zeitraums ergebende (fiktive) Dauer der Verkehrsunzuverlässigkeit ändert daran nichts, ist dieser Umstand doch Konsequenz der gesetzgeberischen Entscheidung, eine bestimmte bzw. eine Mindestentziehungszeit zu normieren.

3. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG Abstand genommen werden.

Wien, am 27. Mai 2014

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