VwGH Ra 2015/11/0091

VwGHRa 2015/11/009116.11.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Revision des J K in F, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 8. September 2015, Zl. LVwG-AV-747/001-2015, betreffend Wiederausfolgung des Führerscheines, den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §13a;
FSG 1997 §24 Abs4;
FSG 1997 §27 Abs1 Z1;
EMRK Art6;
VwGVG 2014 §24 Abs3;
VwGVG 2014 §24;
AVG §13a;
FSG 1997 §24 Abs4;
FSG 1997 §27 Abs1 Z1;
EMRK Art6;
VwGVG 2014 §24 Abs3;
VwGVG 2014 §24;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1.1. Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich (UVS) vom 28. Februar 2012 war der Revisionswerber gemäß § 24 Abs. 4 FSG aufgefordert worden, sich binnen näher bezeichneter Frist amtsärztlich untersuchen zu lassen, ob seine gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klassen B und F noch gegeben sei. Dies wurde mit einem aktenkundigen neurologischpsychiatrischen Gutachten, das Bedenken an der gesundheitlichen Eignung des Revisionswerbers zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausgelöst habe, begründet. (Die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 2. April 2014, Zl. 2012/11/0079, abgelehnt.)

1.2. Mit Bescheid vom 10. April 2012 entzog die Bezirkshauptmannschaft W. die Lenkberechtigung des Revisionswerbers für die Klassen B und F gemäß § 24 Abs. 4 FSG bis zur Durchführung der amtsärztlichen Untersuchung und schloss die aufschiebende Wirkung einer gegen diese Entscheidung erhobenen Berufung aus. Begründend führte sie aus, dass der Revisionswerber dem genannten Aufforderungsbescheid keine Folge geleistet habe, sodass ihm gemäß § 24 Abs. 4 FSG die Lenkberechtigung bis zur Befolgung der Anordnung zu entziehen gewesen sei. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des UVS vom 15. Mai 2012 abgewiesen.

1.3. Mit Schreiben vom 30. Juli 2014 beantragte der Revisionswerber die "Ausfolgung des Führerscheines B+F", und führte dazu aus, dass er keine strafbare Handlung begangen habe, sodass keine Grundlage für eine "Beorderung zum Amtsarzt" gegeben sei.

Mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft W. vom 14. August 2014 wurde dem Revisionswerber mitgeteilt, dass ihm die Lenkberechtigung mit dem genannten Bescheid vom 15. Mai 2012 nicht wegen einer Strafsache bzw. wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit, sondern wegen der Nichtbefolgung der rechtskräftigen Aufforderung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, rechtskräftig entzogen worden sei. Weiters wurde der Revisionswerber darauf hingewiesen, dass seine Lenkberechtigung mittlerweile erloschen sei und dass für die Wiedererlangung einer Lenkberechtigung ein amtsärztliches Gutachten und die Absolvierung einer praktischen Fahrprüfung erforderlich seien.

Mit Schreiben vom 21. April 2015 (in dem als Betreff "Antrag auf Ausfolgung der Lenkberechtigung der Klassen B und F" genannt ist) begehrte der Revisionswerber, ihm "ohne weitere Bedingungen den Führerschein der Klassen B und F wieder auszufolgen". Als Beilage schloss er die neurologische Stellungnahme des Facharztes Dr. S. vom 18. März 2015 an.

1.4. Mit Bescheid vom 11. Juni 2015 wies die Bezirkshauptmannschaft W. den "Antrag vom 21. April 2015 auf Wiederausfolgung der Lenkberechtigung für die Klassen B und F" gemäß § 24 Abs. 4 iVm § 27 Abs. 1 Z 1 FSG ab. In der Begründung hielt sie fest, dass seit der rechtskräftigen Entziehung der Lenkberechtigung durch den Bescheid des UVS vom 15. Mai 2012 mehr als 18 Monate vergangen seien und daher die Lenkberechtigung des Revisionswerbers erloschen sei, sodass "der Führerschein nicht wieder ausgefolgt werden" könne. Vielmehr könne der Revisionswerber, so der Hinweis der Behörde, eine neue Lenkberechtigung erwerben, wofür jedoch die postalische Übermittlung einzelner Befunde nicht ausreichend und die Absolvierung einer praktischen Fahrprüfung erforderlich sei.

1.5. Mit dem nunmehr beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Erkenntnis vom 8. September 2015 wurde die gegen den Bescheid vom 11. Juni 2015 erhobene Beschwerde abgewiesen und ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. In den Entscheidungsgründen verwies das Verwaltungsgericht auf § 27 Abs. 1 Z 1 FSG, wonach die Lenkberechtigung nach Ablauf einer Entziehungsdauer von 18 Monaten erlischt. Da seit der Entziehung der Lenkberechtigung des Revisionswerbers jedenfalls deutlich mehr als 18 Monate verstrichen seien, sei der Beschwerde schon aus diesem Grund der Erfolg zu versagen. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung habe abgesehen werden können, weil diese keine weitere Klärung der Rechtssache habe erwarten lassen.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Revisionswerbers.

2.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

2.2. Die Behandlung der Revision hängt nicht von der Beantwortung von Rechtsfragen ab, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme:

2.2.1. Die Revision bringt vor, das angefochtene Erkenntnis enthalte nur eine Begründung, die als "Minimalismus" bezeichnet und die den Anforderungen, die nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 29 VwGVG iVm den §§ 58 und 60 AVG an die Begründung einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zu stellen sei (Hinweis u.a. auf das hg. Erkenntnis vom 2. September 2015, Zl. Ra 2015/02/0115), nicht entspreche. Das Verwaltungsgericht habe auch nicht begründet, ob es über den Antrag auf Wiedererteilung der Lenkberechtigung oder über den - davon zu unterscheidenden - Antrag auf Wiederausfolgung des Führerscheines entschieden habe.

Richtig ist, dass zwischen der Lenkberechtigung und dem Führerschein, also der Urkunde, in der die Lenkberechtigung dokumentiert wird (§ 13 Abs. 4 dritter Satz FSG), zu unterscheiden ist. Demgemäß ist auch zwischen der (Wieder‑)Erteilung einer Lenkberechtigung (§ 3 FSG) und der Wiederausfolgung des Führerscheines (§ 28 FSG) zu unterscheiden.

Wenngleich mit dem durch das angefochtene Erkenntnis bestätigten Spruch des Bescheides vom 11. Juni 2015 "der Antrag vom 21. April 2015 auf Wiederausfolgung der Lenkberechtigung" abgewiesen wurde, so ist doch einerseits aufgrund des Antragsgegenstandes (mit dem Antrag wurde, ebenso wie mit der Beschwerde, unmissverständlich das Begehren gestellt, den "Führerschein wieder auszufolgen", sodass entgegen den Revisionsausführungen kein Klärungsbedarf hinsichtlich des Antragsgegenstandes bestand) und andererseits aufgrund der oben wiedergegebenen Begründung der Entscheidungen beider Instanzen (vgl. zur Begründung als Auslegungsbehelf die bei Hengstschläger/Leeb, AVG, Rz 111 zu § 59, referierte hg. Judikatur) hinreichend klar erkennbar, dass im vorliegenden Fall (ausschließlich) die Wiederausfolgung des Führerscheines des Revisionswerbers "Sache" des Verfahrens und Entscheidungsgegenstand des angefochtenen Erkenntnisses war.

Was die von der Revision bemängelte Begründungsdichte des angefochtenen Erkenntnisses betrifft, so trifft es nicht zu, dass im vorliegenden Fall von den im zitierten Erkenntnis, Zl. Ra 2015/02/0115, genannten Anforderungen an die Begründung abgewichen worden wäre. Ein Antrag auf Ausfolgung des Führerscheines ist nämlich gemäß § 28 Abs. 1 Z 2 FSG schon dann abzuweisen, wenn die Entziehung der Lenkberechtigung länger als 18 Monate andauerte und die Lenkberechtigung damit gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 FSG erloschen ist. Das Verstreichen einer Entziehungsdauer von mehr als 18 Monaten war gegenständlich somit die - einzig - notwendige Tatbestandsvoraussetzung und somit das einzige Begründungselement für die Abweisung des in Rede stehenden Antrages des Revisionswerbers und wurde im angefochtenen Erkenntnis auch ausdrücklich genannt.

2.2.2. Die Revision führt zu ihrer Zulässigkeit weiters aus, das angefochtene Erkenntnis sei zu Unrecht ohne Durchführung einer Verhandlung erlassen worden und weiche von der hg. Judikatur insofern ab, als einerseits der unvertreten gewesene Revisionswerber gemäß § 13a AVG über die Möglichkeit eines Verhandlungsantrages hätte belehrt werden müssen und andererseits die Verhandlung auch ohne Antrag des Revisionswerbers hätte durchgeführt werden müssen (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 8. Juli 2015, Zl. Ra 2015/11/0036, sowie auf das Urteil des EGMR vom 11. Juni 2015, Beschwerdenummer 19844/08, Becker gegen Österreich).

Auch damit wird ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von der hg. Rechtsprechung nicht aufgezeigt:

Zur Frage der Manuduktionspflicht des Verwaltungsgerichtes über die Möglichkeit eines Verhandlungsantrages genügt der Hinweis, dass gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG die Durchführung einer Verhandlung schon in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen ist, sodass eine Manuduktion durch das Verwaltungsgericht insoweit nicht in Betracht kommt, weil sie einen Informationsmangel des unvertretenen Beschwerdeführers betreffend die Notwendigkeit eines Verhandlungsantrages nicht mehr wirksam sanieren könnte (vgl. auch Hengstschläger/Leeb, AVG, Rz 10 zu § 13a).

Abgesehen davon stellte das Unterbleiben der Verhandlung - fallbezogen - selbst dann kein Abweichen von der hg. Rechtsprechung dar, wenn der Revisionswerber einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung (der gegenständlich unstrittig unterblieb) gestellt hätte:

Es trifft zwar zu, dass die Entziehung der Lenkberechtigung nach dem zitierten Urteil des EGMR vom 11. Juni 2015, Becker gegen Österreich, als civil right anzusehen ist. Davon ausgehend hat der EGMR in diesem Urteil (Rn 39 bis 41) - fallbezogen (es ging dort um die Entziehung der Lenkberechtigung wegen Verweigerung der Atemalkoholuntersuchung) - die Durchführung einer (dort beantragten) mündlichen Verhandlung gemäß Art. 6 EMRK für erforderlich erachtet, weil es dort im Hinblick auf die beantragte Anhörung von Zeugen und die beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens um Tatsachenfragen (questions of fact) ging und keine ausnahmsweisen Gründe für ein Absehen von der Verhandlung gegeben gewesen seien.

Davon unterscheidet sich der vorliegende Fall, weil hier, wie bereits erwähnt, strittige Tatsachenfeststellungen oder Fragen der Beweiswürdigung nicht zu klären waren: Der Antrag des Revisionswerbers auf Wiederausfolgung des Führerscheines war nach dem oben Gesagten - schon alleine - wegen der (unstrittigen) Tatsache, dass die Lenkberechtigung des Revisionswerbers länger als 18 Monate entzogen war, abzuweisen. Damit war eine weitere Klärung der Rechtssache durch eine mündliche Erörterung (vgl. zu diesem Aspekt die hg. Erkenntnisse vom 27. April 2015, Zl. Ra 2015/11/0004, und vom 8. Juli 2015, Zl. Ra 2015/11/0036) nicht zu erwarten.

Dies entspricht insbesondere auch der Rechtsprechung des EGMR, der (siehe etwa das Urteil vom 18. Juli 2013, Nr 56422/09, Schädler-Eberle /Liechtenstein, Rz 97 ff) ebenfalls ausgesprochen hat, dass eine Verhandlung nicht geboten ist, wenn etwa keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten sind, sodass eine Verhandlung nicht notwendig ist und das Gericht aufgrund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden kann. Die staatlichen Behörden können auch auf Aspekte der Effizienz und Verfahrensökonomie Rücksicht nehmen und auf das Gebot der angemessenen Verfahrensdauer Bedacht nehmen (vgl. anknüpfend an diese Rechtsprechung auch die hg. Erkenntnisse vom 29. Jänner 2014, Zl. 2013/03/0004, mwN, sowie vom 16. Oktober 2013, Zl. 2012/04/0086).

Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 16. November 2015

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