VwGH Ra 2015/10/0108

VwGHRa 2015/10/010829.3.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer, Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revision der A A in Wien, vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Hamerlingplatz 7/14, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 29. Juni 2015, Zl. VGW-141/028/410/2015-5, betreffend Kostenersatz für Leistungen der Mindestsicherung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien in 1030 Wien, Thomas Klestil-Platz 8/2), zu Recht erkannt:

Normen

MSG Wr 2010 §24 Abs2;
SHG NÖ 2000 §38 Abs1 Z2;
SHG Wr 1973 §26 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
MSG Wr 2010 §24 Abs2;
SHG NÖ 2000 §38 Abs1 Z2;
SHG Wr 1973 §26 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1 1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 29. Juni 2015 verpflichtete das Verwaltungsgericht Wien die Revisionswerberin - durch Abweisung deren Beschwerde gegen einen Bescheid der belangten Behörde vom 3. November 2014 - gemäß § 24 Abs. 2 Wiener Mindestsicherungsgesetz - WMG dazu, die für den Zeitraum vom 1. Jänner 2012 bis 30. November 2014 aufgewendeten Kosten für Leistungen der Mindestsicherung in der Höhe von EUR 24.786,50 zu ersetzen.

2 Das Verwaltungsgericht legte seinem Erkenntnis zugrunde, dass die belangte Behörde mit Bescheid vom 29. September 2014 der Revisionswerberin zur Deckung ihres Lebensunterhaltes und ihres Wohnbedarfs Geldleistungen im Ausmaß von insgesamt 472,25 monatlich (ab dem 1. April 2014) und darüber hinaus für die Monate Mai und Oktober jeweils eine Sonderzahlung in der Höhe von EUR 258,83 bewilligt habe. Im Zeitraum vom 1. Jänner 2012 bis 30. November 2014 habe die Revisionswerberin insgesamt Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung in Höhe von EUR 24.786,50 erhalten.

3 Mit Schreiben vom 17. Oktober 2014 habe die Sachwalterin der Revisionswerberin mitgeteilt, dass folgende Ersparnisse "vorhanden" seien: Bereits die Vorsachwalterin habe ein Sparbuch mit einem Guthaben von EUR 7.500,-- eröffnet, und zwar "mit dem Erbe" nach der verstorbenen Mutter der Revisionswerberin. Ende November 2013 sei eine Nachzahlung an erhöhter Familienbeihilfe erfolgt, die die Vorsachwalterin in Form eines Sparbuches veranlagt habe (Guthaben EUR 15.800,--). Neben diesen beiden Sparbüchern habe es "per 30.9.2014" Ersparnisse auf dem Mündelgeldkonto in der Höhe von EUR 9.959,25 gegeben.

4 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, nach den getroffenen Feststellungen verfüge die Revisionswerberin über Guthaben in der Höhe von insgesamt EUR 33.259,25; dabei handle es sich um Ersparnisse und damit um "gemäß § 12 Abs. 2 Z 2 WMG verwertbares Vermögen". Dieses Vermögen sei "auch Vermögen", zu dem die Revisionswerberin "im Sinne von § 24 Abs. 2 WMG gelangt" sei. Dass der Behörde das Vorhandensein eines Teiles der Ersparnisse zu einem früheren Zeitpunkt bekannt gewesen oder dass ein Teil der Ersparnisse schon zum Zeitpunkt der Antragstellung vorhanden gewesen sei, nehme dem Vermögen - entgegen der in der Beschwerde der Revisionswerberin vertretenen Auffassung - nicht diese Eigenschaft. Es lägen daher die Voraussetzungen für die Ersatzpflicht gemäß § 24 Abs. 2 WMG vor.

5 Da das verwertbare Vermögen von EUR 33.259,25 unter Berücksichtigung des Vermögensfreibetrages nach § 4 der Verordnung der Wiener Landesregierung zum Gesetz zur Bedarfsorientierten Mindestsicherung in Wien in Höhe von EUR 4.139,11 (sohin EUR 29.120,14) den unbestritten im Leistungszeitraum von Jänner 2012 bis November 2014 aufgewendeten Betrag an Mindestsicherung übersteige, habe die belangte Behörde die Höhe des Ersatzanspruches richtig in der Höhe der erbrachten Leistung (EUR 24.786,50) festgesetzt.

6 Die Revision gegen dieses Erkenntnis ließ das Verwaltungsgericht mit einem Verweis auf den Wortlaut des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zu.

7 2. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde hat mit Schreiben vom 3. November 2015 unter Hinweis auf näher genannte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (s. dazu unten unter Punkt II.4.2.) von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung abgesehen.

II.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 1. Die vorliegend in den Blick zu nehmenden Bestimmungen des Wiener Mindestsicherungsgesetzes - WMG, LGBl. Nr. 02/2011 idF LGBl. Nr. 29/2013, lauten wie folgt:

"Anrechnung von Vermögen

§ 12. (1) Auf die Summe der Mindeststandards ist das verwertbare Vermögen von anspruchsberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft anzurechnen.

(2) Soweit keine Ausnahmeregelung nach Abs. 3 anzuwenden ist, gelten als verwertbar:

  1. 1. unbewegliches Vermögen;
  2. 2. Ersparnisse und sonstige Vermögenswerte.

    (...)

    Kostenersatz bei verwertbarem Vermögen oder Einkommen, das nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stammt

§ 24. (1) Für Kosten, die dem Land Wien als Träger der Bedarfsorientierten Mindestsicherung durch die Zuerkennung von Leistungen zur Mindestsicherung entstehen, ist dem Land Wien als Träger der Bedarfsorientierten Mindestsicherung nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen Ersatz zu leisten.

(2) Ersatzpflichtig sind alle anspruchsberechtigten Hilfe suchenden oder empfangenden Personen, soweit sie zu verwertbarem Vermögen oder Einkommen, das nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stammt, gelangen. Es sind jene Kosten zu ersetzen, die dem Träger der Bedarfsorientierten Mindestsicherung durch Hilfegewährungen in den letzten drei Jahren der Hilfeleistung entstanden sind. Stichtag für die Berechnung der Frist ist der letzte Tag des Jahres in dem Leistungen an die Ersatzpflichtige oder an den Ersatzpflichtigen geflossen sind.

(3) Über die Verpflichtung zum Kostenersatz ist mit Bescheid zu entscheiden. (...)"

9 2. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 3. Die vorliegende außerordentliche Revision führt zur grundsätzlichen Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG im Wesentlichen aus, es liege noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zum Begriff des Vermögens vor, zu dem die Hilfe suchende Person im Sinn des § 24 WMG "gelangt" sei; insbesondere auch nicht zu der Frage, ob die Behörde ein Vermögen zum Kostenersatz heranziehen dürfe, das ihr bereits bei Gewährung der Mindestsicherung bekannt gewesen sei; die bisherige hg. Judikatur beziehe sich - was das Verwaltungsgericht außer Acht lasse - auf die bis 2010 geltenden Sozialhilfegesetze und nicht auf das WMG.

13 In den Revisionsgründen bringt die Revisionswerberin in dieser Hinsicht im Wesentlichen vor, das Wort "gelangen" in § 24 Abs. 2 WMG könne nur so verstanden werden, dass damit ein Erwerbsvorgang zum Ausdruck gebracht werde; andernfalls hätte der Gesetzgeber die Bestimmung anders formulieren und z.B. das Wort "verfügen" verwenden müssen (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2009, Zl. 2007/10/0286 = VwSlg. 17.612A zu § 38 Abs. 1 NÖ Sozialhilfegesetz 2000). Das aus einer Erbschaft nach der verstorbenen Mutter der Revisionswerberin stammende Vermögen in Höhe von insgesamt EUR 12.141,77 sei der Behörde bereits zu einem früheren Zeitpunkt bekannt gewesen, wie auch aus einem Bescheid der belangten Behörde vom 9. Dezember 2013 hervorgehe. Auch die Nachzahlung an erhöhter Familienbeihilfe habe die Revisionswerberin bereits im November 2013 erhalten.

14 4. Die Revision ist zulässig. Sie erweist sich auch als berechtigt.

15 4.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass die dem angefochtenen Erkenntnis zugrunde liegende Bestimmung des § 24 Abs. 2 WMG gegenüber der den Ersatz von Sozialhilfeleistungen regelnden Norm des § 26 Abs. 1 Wiener Sozialhilfegesetz (WSHG) eine inhaltliche Änderung der Rechtslage darstellt: Während § 24 Abs. 2 WMG darauf abstellt, dass der Hilfeempfänger zu verwertbarem Vermögen oder Einkommen, das nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stammt, "gelangt", stellt § 26 Abs. 1 WSHG darauf ab, dass der Hilfeempfänger über hinreichendes Einkommen oder Vermögen "verfügt oder hiezu gelangt" (vgl. das Erkenntnis vom 30. Jänner 2014, Zl. 2013/10/0163).

16 § 24 Abs. 2 WMG ist somit gegenüber § 26 Abs. 1 WSHG enger gefasst und beschränkt die Ersatzpflicht des Hilfeempfängers insoweit, als dieser Ersatz nur aus (verwertbarem) Vermögen oder Einkommen zu leisten hat, welches er nach Empfang der Leistungen aus der Mindestsicherung erhalten hat; insofern ist das Wort "gelangen" (ebenso wie in der Bestimmung des § 38 Abs. 1 Z. 1 NÖ Sozialhilfegesetz 2000; vgl. dazu das schon erwähnte hg. Erkenntnis zur Zl. 2007/10/0286) im Sinne von "nachträglich erwerben" zu verstehen.

17 4.2. Angemerkt sei in diesem Zusammenhang, dass die hier anzuwendende Bestimmung des § 24 Abs. 2 WMG - anders als etwa § 38 Abs. 1 Z. 2 NÖ Sozialhilfegesetz 2000 - eine Ersatzverpflichtung wegen eines nachträglich bekannt gewordenen Einkommens oder Vermögens nicht vorsieht.

18 Auch die dem von der belangten Behörde in ihrem Schreiben vom 3. November 2015 angeführten hg. Erkenntnis vom 29. Februar 2012, Zl. 2011/10/0094, zugrunde liegende Bestimmung des § 43 Abs. 1 Sbg. Sozialhilfegesetz bezog die Verpflichtung des Hilfeempfängers zum Kostenersatz auch auf nachträglich bekannt gewordenes Einkommen oder Vermögen. Gleiches gilt für die weiteren von der belangten Behörde erwähnten hg. Erkenntnisse vom 29. April 2009, Zl. 2007/10/0262 (Rechtsgrundlage § 26 Abs. 1 WSHG), vom 31. Mai 2006, Zl. 2003/10/0203 (Rechtsgrundlage § 38 Abs. 1 NÖ SHG 2000), sowie vom 29. April 2002, Zl. 98/03/0289 (Rechtsgrundlage § 41 Abs. 1 NÖ SHG 1974).

19 4.3. Ausgehend von der Regelung des § 24 Abs. 2 WMG hätte das Verwaltungsgericht somit feststellen müssen, zu welchen Zeitpunkten die Revisionswerberin zu welchen Vermögensbestandteilen gelangt ist, wobei jene Vermögensteile jeweils nur für davor entstandene Kosten aus erbrachten Leistungen der Mindestsicherung zum Ersatz herangezogen werden dürfen.

20 5. Mit der dem angefochtenen Erkenntnis zugrunde gelegten Auffassung, es komme mit Blick auf die Voraussetzung des § 24 Abs. 2 erster Satz WMG nicht darauf an, zu welchem Zeitpunkt die festgestellten Vermögenswerte vorhanden gewesen seien, hat das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis somit mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet; dieses war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

21 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 29. März 2017

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