VwGH Ra 2015/07/0108

VwGHRa 2015/07/010830.3.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger sowie die Hofrätin Dr. Hinterwirth und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revision der G M in N, vertreten durch die Onz Onz Kraemmer Hüttler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 3. Juni 2015, Zl. LVwG-AB-14-4138, betreffend Abweisung eines Antrages auf Erlassung eines wasserpolizeilichen Auftrages (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Niederösterreich), zu Recht erkannt:

Normen

VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §24 Abs1;
VwGVG 2014 §24 Abs4;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1 1. Mit dem (im Devolutionsweg ergangenen) Bescheid der belangten Behörde vom 22. Oktober 2013 wurde ein bei der Bezirkshauptmannschaft Horn am 11. Oktober 2012 eingelangter Antrag der Revisionswerberin "betreffend Einleitung eines wasserrechtlichen Verfahrens bezüglich Änderung der Abflussverhältnisse der Oberflächenwasser des Wassergrabens neben dem (J.-Weg) Gst. Nr. 493, (KG R.) durch Anschüttungen auf Grundstück Nr. 493 u.a. (KG R.)" abgewiesen, wobei sich die belangte Behörde auf § 39 Wasserrechtsgesetz 1959 - WRG 1959 stützte.

2 Diesem Bescheid legte die belangte Behörde erkennbar zugrunde, nach einer Verhandlungsniederschrift vom 10. August 2011 sei das Niveau zwischen dem Grundstück Nr. 351 der Revisionswerberin und dem angrenzenden Grundstück mit der Nr. 356/3, welches anderen Eigentümern gehöre, unterschiedlich, wobei der Grund für dieses unterschiedliche Niveau "nicht eindeutig geklärt" habe werden können. "Verschiedene Behauptungen" stünden nämlich "einander widersprüchlich gegenüber".

3 Nach der Eingabe der Revisionswerberin vom 11. Oktober 2012 habe Herr L. "neuerlich" Erdanschüttungen, die höher als 50 cm seien, vorgenommen, wodurch ein Einfließen der Oberflächenwässer von dem Grundstück Nr. 493 auf die Grundstücke Nr. 356/1, 353/3 und 493 nunmehr ausgeschlossen sei. So sei es zu einer Veränderung der bisherigen Abflussverhältnisse gekommen und es fließe "noch mehr Oberflächenwasser" auf das Grundstück Nr. 351 der Revisionswerberin.

4 Diese Eingabe wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 22. Oktober 2013 mit der wesentlichen Begründung ab, die angeführten, von Herrn L. vorgenommenen Anschüttungen stellten keine Änderung der natürlichen Abflussverhältnisse dar, weil der "verfahrensgegenständliche Wassergraben" nämlich neben dem J.-Weg eindeutig eine künstliche, der Ableitung von Niederschlagswasser dienende Anlage sei. Daher sei der vorliegende Sachverhalt nicht unter § 39 WRG 1959 subsumierbar. Von dem Verbot nach § 39 Abs. 1 WRG 1959 würden nämlich nur Maßnahmen erfasst, die der Eigentümer eines Grundstückes auf diesem Grundstück zur Änderung der natürlichen Abflussverhältnisse vornehme (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 1998, Zl. 97/07/0175 = VwSlg. 14.844A).

5 2. In ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte die (damals unvertretene) Revisionswerberin unter anderem vor, dass Herr L. Anschüttungen auf den Grundstücken Nr. 493 und angrenzend Nr. 356/1 der KG R. gemacht und bis heute weiter erhöht und außerdem das Grundstück Nr. 356/3 im Laufe der Jahre durch ständige Anschüttungen entlang der Grundstücksgrenze zum J.-Weg zusätzlich erhöht habe - und "dadurch einfließendes Oberflächenwasser seine Parzelle geschützt wird" - und zusätzlich noch durch Errichtung eines Dammes im September 2012 entlang des J.-Weges künstliche Vorkehrungen zum Nachteil der Revisionswerberin getroffen habe.

6 Im Weiteren führte die Revisionswerberin u.a. aus, sie "erhoffe" eine "Wasserrechtliche Verhandlung", und ersuchte "abschließend die Berufungsbehörde einfachheitshalber den persönlichen Kontakt aufzunehmen, das Parteiengehör zu wahren und die Sachlage besprechen zu können und diesen Bescheid aufzuheben und ein wasserrechtliches Verfahren einzuleiten".

7 3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 3. Juni 2015 wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die nunmehr als Beschwerde zu wertende Berufung gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG als unbegründet ab, wobei es die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zuließ.

8 Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, geltend gemacht werde eine Veränderung der natürlichen Abflussverhältnisse durch angebliche Schüttungen des Herrn L. auf Grundstück Nr. 493 zum Nachteil der Grundstücke der Revisionswerberin. Dazu sei auszuführen, dass die Veränderung des Wasserabflusses eines künstlich geschaffenen Gerinnes nicht in den Anwendungsbereich des § 39 WRG 1959 falle, weil in dieser Bestimmung der natürliche Abfluss geregelt sei (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2007, Zl. 2006/07/0038).

9 Nach der Verhandlungsniederschrift vom 10. August 2011 lägen die Grundstücke Nr. 356/1 und 356/3 niveaumäßig höher als jene der Revisionswerberin, wobei der Grund für diese unterschiedlichen Niveaus nicht geklärt habe werden können, weil "verschiedene widersprüchliche Aussagen vorlägen". Es lasse sich - so das Verwaltungsgericht weiter - auch keine eindeutige Aussage darüber treffen, von wem die "gegenständlichen Anschüttungen auf Grundstück 493 tatsächlich stammen".

10 In der genannten Niederschrift werde auch ein Einvernehmen darüber festgehalten, dass die "Grabeninstandhaltung (Anmerkung: betreffend Grundstück 493)" teils von der Gemeinde und dann im Verhältnis 50:50 von P./L. und der Revisionswerberin "bis Ende Oktober 2011 durchgeführt wird".

11 Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe unterbleiben können, weil "der Sachverhalt, nämlich das Vorliegen eines künstlichen Gerinnes, geklärt ist".

12 Die Nichtzulassung der Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass in der vorliegenden Angelegenheit "keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen" gewesen sei.

13 4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet und darin die Abweisung der Revision beantragt.

II.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

14 1. Die vorliegend in den Blick zu nehmenden Bestimmungen des Wasserrechtsgesetzes 1959 - WRG 1959, BGBl. Nr. 215/1959 idF BGBl. I Nr. 54/2014, lauten wie folgt:

"Änderung der natürlichen Abflußverhältnisse.

§ 39. (1) Der Eigentümer eines Grundstückes darf den natürlichen Abfluß der darauf sich ansammelnden oder darüber fließenden Gewässer zum Nachteile des unteren Grundstückes nicht willkürlich ändern.

(2) Dagegen ist auch der Eigentümer des unteren Grundstückes nicht befugt, den natürlichen Ablauf solcher Gewässer zum Nachteile des oberen Grundstückes zu hindern.

(3) Die Abs. 1 und 2 gelten nicht für eine Änderung der Ablaufverhältnisse, die durch die ordnungsmäßige Bearbeitung eines landwirtschaftlichen Grundstückes notwendigerweise bewirkt wird.

(...)

Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes.

§ 138. (1) Unabhängig von Bestrafung und

Schadenersatzpflicht ist derjenige, der die Bestimmungen dieses

Bundesgesetzes übertreten hat, wenn das öffentliche Interesse es

erfordert oder der Betroffene es verlangt, von der

Wasserrechtsbehörde zu verhalten, auf seine Kosten

a) eigenmächtig vorgenommene Neuerungen zu beseitigen oder

die unterlassenen Arbeiten nachzuholen,

b) Ablagerungen oder Bodenverunreinigungen durch geeignete

Maßnahmen zu sichern, wenn die Beseitigung gemäß lit. a nicht oder im Vergleich zur Sicherung an Ort und Stelle nur mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten (Aufwand) möglich ist,

(...)"

15 § 24 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, lautet - auszugsweise - wie folgt:

"Verhandlung

§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(...)

(3) Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

(...)"

16 2. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

17 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

18 3. Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit gemäß § 28 Abs. 3 VwGG vor, das Verwaltungsgericht habe tragende Grundsätze des Verfahrensrechts verletzt, indem es zu den entscheidenden Punkten jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen habe, insbesondere dazu, ob die Anschüttungen auf den Grundstücken Nr. 493, 356/1 und 356/3 eine Veränderung der natürlichen Abflussverhältnisse bewirkt hätten. Außerdem habe das Verwaltungsgericht unzulässigerweise keine Verhandlung durchgeführt; es habe nicht einmal den Versuch einer Klärung des Sachverhaltes unternommen. In diesem Zusammenhang verweist die Revision (u.a.) auf das hg. Erkenntnis vom 20. November 2014, Zl. Ra 2014/07/0052.

19 4. Die Revision ist zulässig und erweist sich schon mit Blick auf das wiedergegebene Zulässigkeitsvorbringen auch als berechtigt.

20 4.1. Zunächst ist festzuhalten, dass die Revisionswerberin mit dem wiedergegebenen Vorbringen in ihrer Beschwerde (vgl. oben unter Punkt I.2., Rz 6) einen Verhandlungsantrag gestellt hat.

21 4.2. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht nur dann ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und dem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 der Europäische Grundrechtecharta entgegenstehen.

22 Nach der hg. Rechtsprechung lassen die Akten dann im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG erkennen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, wenn von vornherein absehbar ist, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann, wenn also die Voraussetzungen hinsichtlich der Klärung des Sachverhaltes gegeben sind und auch keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, für die eine Erörterung in einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erforderlich wäre. Bei konkretem sachverhaltsbezogenem Vorbringen des Revisionswerbers vor dem Verwaltungsgericht ist eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. die Nachweise bei Eder/Martschin/Schmid, Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2 E 30 und 31 zu § 24 VwGVG).

23 4.3. In der vorliegend vom Verwaltungsgericht zu erledigenden Beschwerde wurde ein derartiges konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen von der Revisionswerberin - mit der Behauptung, Herr L. habe auf bestimmten Grundstücken Anschüttungen vorgenommen - erstattet. Schon daraus, dass das Verwaltungsgericht selbst in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses (im behördlichen Verwaltungsverfahren getroffene) "widersprüchliche Aussagen" zur Entstehung eines Niveauunterschiedes zwischen bestimmten Grundstücken und dem Grundstück der Revisionswerberin festhielt, ist ersichtlich, dass im vorliegenden Fall keineswegs von einem geklärten Sachverhalt ausgegangen werden durfte; vielmehr hätte sich das Verwaltungsgericht im Weg einer öffentlichen mündlichen Verhandlung nach § 24 VwGVG und unter Beweiswürdigung der sich dabei ergebenden Beweisergebnisse um die Ermittlung der materiellen Wahrheit bemühen müssen.

24 Angesichts des vom Verwaltungsgericht überhaupt nicht geklärten Sachverhalts konnte dieses keineswegs von vornherein davon ausgehen, dieser falle nicht unter § 39 WRG 1959 (und schließe somit einen auf diese Bestimmung gestützten wasserpolizeilichen Auftrag nach § 138 Abs. 1 lit. a WRG 1959 aus; vgl. etwa die Nachweise bei Bumberger/Hinterwirth, WRG2 E 14 und 15 zu § 39).

25 Es kann dahin stehen, ob es sich bei der vorliegenden Angelegenheit um eine solche im Anwendungsbereich des Art. 6 MRK bzw. Art. 47 GRC handelt, wo der Verstoß gegen die Verhandlungspflicht auch ohne Relevanzprüfung zur Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses führt. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, liegt die Relevanz des aufgezeigten Verfahrensmangels hier auf der Hand, ist doch nicht ausgeschlossen, dass das Verwaltungsgericht bei dessen Vermeidung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.

26 5. Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

27 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 30. März 2017

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