VwGH Ra 2014/18/0141

VwGHRa 2014/18/014128.4.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Sußner, über die Revision des Z S in S, vertreten durch Mag. Bernd Moser, Rechtsanwalt in 5760 Saalfelden, Mühlbachweg 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. September 2014, Zl. W209 1430153-1/18E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

32011L0095 Status-RL Art9 Abs3;
AsylG 2005 §3 Abs1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
32011L0095 Status-RL Art9 Abs3;
AsylG 2005 §3 Abs1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang des Spruchpunktes A I. (Nichtanerkennung des Status eines Asylberechtigten) wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, beantragte am 1. Oktober 2012 in Österreich internationalen Schutz und begründete diesen Antrag zusammengefasst damit, außerehelichen Geschlechtsverkehr mit einem Mädchen gehabt zu haben. Die Familie dieses Mädchens habe sie nach Entdeckung der außerehelichen Beziehung ermordet und trachte auch ihm aus Gründen der Ehre nach dem Leben. Im Beschwerdeverfahren verwies der Revisionswerber überdies darauf, dass auch Männer in Afghanistan, die des außerehelichen Geschlechtsverkehrs ("Zina") bezichtigt würden, schwere gerichtliche Strafen zu erwarten hätten.

2. Das Bundesasylamt wies den Antrag gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab, versagte dem Revisionswerber gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten und wies ihn gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 nach Afghanistan aus.

3. Mit dem angefochtenen, im Beschwerdeverfahren ergangenen Erkenntnis vom 15. September 2014 gewährte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) dem Revisionswerber subsidiären Schutz und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkte A II. und A III.). Mit Spruchpunkt A I. wies das BVwG den Antrag des Revisionswerbers auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005 ab. Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

Zu Spruchpunkt A I. führte das BVwG aus, es erachte das Tatsachenvorbringen des Revisionswerbers als glaubwürdig, verneine aber dessen Asylrelevanz. Im Wesentlichen werde der Revisionswerber "von Privatpersonen (aus nicht GFK-relevanten Gründen)" verfolgt. Dass er durch die afghanischen Behörden voraussichtlich keinen Schutz erlangen könne, sei ebenfalls nicht auf die in der GFK angeführten, taxativ aufgezählten Gründe zurückzuführen, sondern darauf, dass die afghanischen Behörden aufgrund der schwachen Behördenstruktur und der schlechten Sicherheitslage generell nicht in der Lage seien, der afghanischen Bevölkerung - unabhängig von GFK-Anknüpfungspunkten - ausreichend Schutz zu gewähren.

4. Gegen dieses Erkenntnis im Umfang des Spruchpunktes A I. richtet sich die außerordentliche Revision mit dem Antrag, die Entscheidung im angefochtenen Umfang im Sinne einer Antragsstattgebung abzuändern oder wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und/oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren belangte Behörde (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) erstattete keine Revisionsbeantwortung.

5. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5.1. Die außerordentliche Revision macht unter anderem zusammengefasst geltend, das BVwG weiche mit seiner Entscheidung von der Rechtsprechung zur Asylrelevanz von Verfolgung aus religiösen Gründen ab.

5.2. Die Revision ist zulässig und begründet.

5.3. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH vom 28. Jänner 2015, Ra 2014/18/0112, mwN).

5.4. Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zu Protokoll gegeben, die Familie des Mädchens habe den Versuch seines Vaters, "die Sache mit einer Hochzeit zu schlichten" abgelehnt, weil sie "der Meinung war, dass diese Tat, unsere Beziehung, gegen das islamische Recht, als auch gegen unsere Kultur ist". Aufgrund dieser als glaubhaft eingeschätzten Aussage hat das BVwG in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, die Familie des Mädchens habe deren Beziehung mit dem Revisionswerber als "unislamisch" angesehen und es erscheine im Hinblick auf die im gegenständlichen Fall vorliegende "starke religiöse Motivation der Verfolger" nicht ausgeschlossen, dass der Revisionswerber von den Angehörigen seiner Geliebten mit dem Tode bedroht werde. Vor dieser ihm drohenden Gefahr könne er weder in seiner Heimatprovinz noch in anderen Landesteilen Afghanistans einen effektiven Schutz seitens staatlicher Stellen erwarten.

5.5. Ausgehend davon lässt sich die rechtliche Schlussfolgerung des BVwG, die dem Revisionswerber drohende Ermordung durch Angehörige der Familie seiner Geliebten stelle keinen Asylgrund im Sinne der GFK dar, nicht nachvollziehen. Anders als das BVwG vermeint, wäre hier eine Verfolgung wegen einer den religiösen Wertvorstellungen der Verfolger zuwider laufenden Handlungsweise des Revisionswerbers in den Blick zu nehmen gewesen, womit diesem letztlich auch eine abweichende religiöse Überzeugung (zumindest) unterstellt wird.

5.6. Bei diesem Ergebnis braucht nicht weiter behandelt zu werden, dass der Revisionswerber überdies auch geltend gemacht hat, der ihm vorgeworfene außereheliche Geschlechtsverkehr werde nach afghanischem Recht als schwere Straftat eingestuft. Es sei angemerkt, dass sich das BVwG mit diesem Vorbringen nicht weiter beschäftigt und insbesondere keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob dem Revisionswerber - neben der oben angesprochenen Verfolgung durch die Angehörigen der Geliebten - auch eine staatliche Strafverfolgung drohen könnte, die infolge völliger Unverhältnismäßigkeit der ihm wegen des vorgeworfenen Deliktes drohenden Strafen asylrelevant sein könnte (vgl. auch dazu das oben zitierte Erkenntnis vom 28. Jänner 2015, mwN).

5.7. Das angefochtene Erkenntnis war aus diesen Erwägungen im Anfechtungsumfang wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 28. April 2015

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