VwGH Fr2015/07/0001

VwGHFr2015/07/000130.3.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger sowie die Hofrätin Dr. Hinterwirth und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Uhlir, über den Fristsetzungsantrag des B M in P, vertreten durch die Eisenberger & Herzog Rechtsanwalts GmbH in 8010 Graz, Hilmgasse 10, gegen das Landesverwaltungsgericht Steiermark wegen Verletzung der Entscheidungspflicht i. A. Genehmigung eines Waldwirtschaftsplanes zu Recht erkannt:

Normen

ZPO §292 Abs2;
ZustG §17 Abs2;
ZustG §17 Abs3;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:FR2015070001.F00

 

Spruch:

Dem Landesverwaltungsgericht Steiermark wird aufgetragen, binnen vier Monaten, gerechnet vom Tag der Zustellung dieses Erkenntnisses, das Erkenntnis oder den Beschluss über die gegen den Bescheid der Agrarbezirksbehörde für Steiermark vom 24. Mai 2013, Zl. 4N4/339-2013, erhobenen Berufungen (Beschwerden) nachzuholen.

Das Land Steiermark hat dem Antragsteller Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 1.1. In seinem Fristsetzungsantrag brachte der Antragsteller im Wesentlichen vor, mit Bescheid der Agrarbezirksbehörde für Steiermark (ABB) vom 24. Mai 2013 sei ein von ihm als Verpflichtetem vorgelegter näher bezeichneter Waldwirtschaftsplan nach Bestimmungen des Steiermärkischen Einforstungs-Landesgesetzes 1983 genehmigt worden.

2 Über dagegen von mehreren Berechtigten erhobene Berufungen habe der Landesagrarsenat beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung (LAS) mit Bescheid vom 30. Oktober 2013 entschieden; dieses Erkenntnis sei dem Antragsteller allerdings nie zugestellt worden. Von der Existenz des Berufungsbescheides habe der Antragsteller lediglich zufällig im März 2014 durch einen Anruf eines Sachbearbeiters der ABB erfahren.

3 Am 7. Juli 2014 habe der Antragsteller an das Landesverwaltungsgericht Steiermark (Verwaltungsgericht) einen Antrag auf Fortsetzung des vom LAS gemäß Art. 151 Abs. 51 Z. 8 B-VG auf das Verwaltungsgericht übergegangenen Verfahrens über die Berufungen gegen den Bescheid der ABB vom 24. Mai 2013 gestellt. Dazu habe er vorgebracht, dass er nie eine Hinterlegungsanzeige betreffend die Zustellung des Berufungsbescheides erhalten habe und ihm dieser Bescheid auch nicht etwa tatsächlich zugekommen sei. Da der Bescheid des LAS dem Antragsteller bis zum Ablauf des 30. Juni 2014 nicht zugestellt worden sei, sei er gemäß § 2 Abs. 3 (letzter Satz) Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz - VwGbk-ÜG von Gesetzes wegen außer Kraft getreten.

4 Aus diesem Grund habe der Antragsteller in seinem Fortsetzungsantrag die Weiterführung des Verfahrens über die eingebrachten Berufungen (nunmehr Beschwerden) durch das Verwaltungsgericht beantragt.

5 Mit Beschluss vom 11. August 2014 habe das Verwaltungsgericht diesen Antrag gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG als unzulässig zurückgewiesen. (Eine außerordentliche Revision gegen diesen Beschluss wurde mit hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 2014, Zl. Ra 2014/07/0083, als unbegründet abgewiesen.)

6 Da bei Einbringung des vorliegenden Fristsetzungsantrages die sechsmonatige Entscheidungsfrist für eine Erledigung der genannten Beschwerden jedenfalls abgelaufen sei, werde ein Erkenntnis im Sinn des § 42a VwGG beantragt.

7 1.2. Mit hg. Verfügung vom 18. Februar 2015 wurde dem Verwaltungsgericht gemäß § 38 Abs. 4 VwGG aufgetragen, binnen drei Monaten die Entscheidung zu erlassen und dies durch Vorlage nachzuweisen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege.

8 1.3. Daraufhin führte das Verwaltungsgericht mit Schreiben vom 30. April 2015 aus, dass eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege: Die Zustellung des Bescheides des LAS vom 30. Oktober 2013 sei (gegenüber dem Antragsteller) am 20. Dezember 2013 durch Hinterlegung (gemäß § 17 Abs. 3 Zustellgesetz - ZustG) erfolgt. Nach dem erhaltenen Rückschein sei die Verständigung zur Hinterlegung in die Abgabeeinrichtung (des Antragstellers) eingelegt worden und habe die Abholfrist für diesen am 20. Dezember 2013 begonnen; als Rücksendedatum mit dem Vermerk "nicht behoben" sei der 8. Jänner (2014) vermerkt.

9 Aus dem vorliegenden Rückschein ergäben sich keine Hinweise auf einen eventuellen Zustellmangel, der vom Antragsteller auch nicht in substantiierter Weise behauptet worden sei. Das vom Antragsteller (in seinem Fortsetzungsantrag) erstattete "allgemein gehaltene Vorbringen", dass auch in dem von ihm bewohnten Zustellgebiet bereits mangelhafte Zustellungen aufgeklärt worden seien, lasse keine Zweifel an der Richtigkeit des konkreten vom LAS veranlassten Zustellvorganges aufkommen. Da der Berufungsbescheid des LAS somit rechtswirksam erlassen worden sei, könne die Rechtsfolge des § 2 Abs. 3 letzter Satz VwGbk-ÜG nicht eintreten. Mangels Säumigkeit des Verwaltungsgerichtes sei der vorliegende Fristsetzungsantrag abzuweisen.

10 Dazu legte das Verwaltungsgericht seinen Akt, einen Teilakt der ABB sowie - nach Aufforderung durch den Verwaltungsgerichtshof - eine Ablichtung des fraglichen Rückscheines vor.

11 1.4. In einer Gegenäußerung vom 17. Juni 2015 brachte der Antragsteller zum einen vor, mit dem mittlerweile erlassenen, bereits erwähnten hg. Erkenntnis zur Zl. Ra 2014/07/0083 (betreffend den "Fortsetzungsantrag" des Antragstellers) habe der Verwaltungsgerichtshof bereits bindend festgestellt, dass der Bescheid des LAS mit 30. Juni 2014 außer Kraft getreten und somit die Entscheidungsfrist des Verwaltungsgerichtes mit 1. Juli 2014 ausgelöst worden sei.

12 Zum anderen brachte der Antragsteller im Wesentlichen vor, die (vom Verwaltungsgericht angenommene) Zustellung durch Hinterlegung gemäß § 17 Abs. 3 ZustG scheide aus, weil eine "Verständigung mittels ‚gelben Zettels", also mittels Hinterlegungsanzeige, niemals erfolgt sei; der Antragsteller leere seinen Briefkasten immer selbst, andere Personen hätten dazu keinen Zugang. Es sei somit ausgeschlossen, dass jemand eine im Briefkasten ordnungsgemäß zurückgelassene Hinterlegungsanzeige nachträglich entfernen hätte können.

13 Im Weiteren erstattete der Antragsteller ein detailliertes Vorbringen zu "ständigen Unregelmäßigkeiten" im betreffenden Zustellgebiet im relevanten Zeitraum nach Schließung des Postamtes P und Betreuung der Gemeinde P nunmehr durch einen sogenannten "Postpartner", wobei der Antragsteller zum Beweis verschiedene Urkunden vorlegte. Diese Unregelmäßigkeiten bestünden (gerafft wiedergegeben) darin, dass Postsendungen einfach nicht ankämen oder an falsche Adressaten ausgeliefert und sowohl Postanschriften als auch Personen mit demselben Familiennamen bei den Zustellungen verwechselt würden. So habe auch der Antragsteller schon mehrere Postsendungen für Personen mit demselben Familiennamen (aber anderen Vornamen) in seinem Briefkasten vorgefunden.

14 1.5. In einem weiteren Schriftsatz brachte der Antragsteller - wiederum unter Vorlage von Urkunden - vor, ihm sei, nachdem er die Verständigung über die Hinterlegung einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs in seinem Briefkasten vorgefunden habe, nach deren Vorlage beim "Postpartner" ein RSb-Brief des Bezirksgerichtes Liezen ausgehändigt worden, für den er nie eine Hinterlegungsverständigung in seinem Briefkasten vorgefunden habe (dies ungeachtet eines entsprechenden Hinterlegungsvermerks auf der Rückseite des RSb-Briefkuverts des Bezirksgerichtes Liezen).

15 1.6. Die Schriftsätze des Antragstellers samt den erwähnten Beilagen wurden jeweils an das Verwaltungsgericht übermittelt, welches dazu allerdings nicht Stellung nahm.

16 2. Aufgrund des erwähnten Vorbringens und der damit verbundenen Bescheinigungsmittel geht der Verwaltungsgerichtshof vom folgenden Sachverhalt aus:

17 Seit der Schließung des früheren Postamtes P und der Übertragung dessen Aufgaben auf einen nunmehr für die Wohnsitzgemeinde des Antragstellers zuständigen "Postpartner" kommt es im Zustellgebiet, in dem sich auch die Abgabestelle des Antragstellers befindet, immer wieder zu Fehlleistungen. So erhielt der Antragsteller etwa im August 2013 wiederholt Postsendungen, die an andere Personen mit demselben Familiennamen (aber anders lautenden Vornamen) gerichtet waren (Beilage ./3). Im Oktober 2013 erhielt eine Person mit demselben Familiennamen wie der Antragsteller eine an einen Gastwirt mit völlig anderem Namen adressierte Postsendung (Beilage ./2).

18 Durch Leistung ihrer Unterschriften auf einer entsprechenden Liste beschwerten sich etwa 30 Bewohner der Wohnsitzgemeinde des Antragstellers über die teilweise "falsche Zuordnung von Poststücken und Briefsendungen sowie Verständigung von Hinterlegungen" (Beilage ./1). Auch aus Medienaussendungen der Personalvertretung der Post aus dem Jahr 2013 gehen Probleme bei der Briefzustellung (auch) im Heimatbezirk des Antragstellers hervor (Beilage ./5).

19 Nach dem Rückschein über die gegenständliche Zustellung des LAS-Bescheides an den Antragsteller wurde die Verständigung zur Hinterlegung "in Abgabeeinrichtung eingelegt"; der Beginn der Abholfrist ist darauf mit 20.12.2010 angegeben (OZ 5). Tatsächlich wurde allerdings keine Verständigung von der Hinterlegung in den Briefkasten des Antragstellers eingelegt.

20 3. Der damit festgestellte Sachverhalt beruht auf dem schlüssigen Vorbringen des Antragstellers im vorliegenden Fristsetzungsverfahren, welches in maßgeblichen Punkten durch die vorgelegten Bescheinigungsmittel bestätigt wurde. Das Verwaltungsgericht ist dem nicht entgegen getreten.

21 Die genannten Bescheinigungsmittel wie auch der ebenfalls bescheinigte Umstand, dass sich - wenn auch nach dem hier relevanten Zeitraum im Jahr 2013 - auch im Fall einer RSb-Sendung des Bezirksgerichtes Liezen trotz des entsprechenden Vermerks über eine Hinterlegung auf dem RSb-Briefkuvert keine Hinterlegungsverständigung im Briefkasten des Antragstellers befand, hat den erkennenden Senat davon überzeugt, dass im Fall des hier relevanten Zustellvorgangs im Dezember 2013 keine Hinterlegungsanzeige in den Briefkasten des Antragstellers eingelegt wurde.

22 4. In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:

23 4.1. Zunächst ist festzuhalten, dass - entgegen der insoweit vertretenen Auffassung des Antragstellers - mit dem ins Treffen geführten hg. Erkenntnis zur Zl. Ra 2014/07/0083 (noch) nicht bindend festgestellt wurde, dass der LAS-Bescheid vom 30. Oktober 2013 mangels wirksamer Zustellung bis zum 30. Juni 2014 außer Kraft getreten ist:

24 In dem genannten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof nämlich unmissverständlich ausgesprochen, dass er seiner rechtlichen Beurteilung die Sachverhaltsannahmen des Antragstellers (als des damaligen Revisionswerbers) mit Blick auf eine nicht rechtswirksam erfolgte Zustellung jenes Bescheides zugrunde legte, "ohne sie einer näheren Überprüfung auf ihre Richtigkeit zu unterziehen" (Punkt 3.2. des Erkenntnisses). Näher begründet sprach der Gerichtshof aus, dass sich der vom Verwaltungsgericht zurückgewiesene Fortsetzungsantrag "vor dem Hintergrund der Sachverhaltsannahmen des Revisionswerbers" als unzulässig erweise (Punkt 4.2. des Erkenntnisses).

25 Die Frage, ob - wie das Verwaltungsgericht annimmt - die Hinterlegung des LAS-Bescheides im Dezember 2013 zu einer rechtswirksamen Zustellung an den Antragsteller führte, wird daher in dem angeführten Erkenntnis zur Zl. Ra 2014/07/0083 ausdrücklich nicht beantwortet.

26 4.2. Die hier maßgebliche Bestimmung des § 17 Zustellgesetz - ZustG, BGBl. Nr. 200/1982 idF BGBl. I Nr. 5/2008, lautet wie folgt:

"Hinterlegung

§ 17. (1) Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.

(2) Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus- , Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.

(3) Das hinterlegte Dokument ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.

(4) Die im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung ist auch dann gültig, wenn die im Abs. 2 genannte Verständigung beschädigt oder entfernt wurde."

27 4.3. Die in § 17 Abs. 2 ZustG genannte Verständigung des Empfängers von der Hinterlegung (Hinterlegungsanzeige) ist unabdingbare Voraussetzung einer Zustellung durch Hinterlegung gemäß § 17 Abs. 3 ZustG. Unterbleibt die Hinterlegungsanzeige, so tritt eine wirksame Zustellung durch Hinterlegung gemäß § 17 Abs. 3 ZustG nicht ein (vgl. etwa die Nachweise aus der hg. Rechtsprechung bei W.Wessely in Frauenberger-Pfeiler/N.Raschauer/ Sander/W.Wessely, Zustellrecht2 Rz 6 zu § 17 ZustG; weiters etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2009, Zl. 2008/06/0233). Zwar macht ein - wie hier vorliegender - ordnungsgemäßer Zustellnachweis als öffentliche Urkunde Beweis über die Zustellung; allerdings ist der Gegenbeweis (etwa dass der in der Urkunde bezeugte Vorgang unrichtig sei; vgl. § 292 Abs. 2 ZPO) möglich (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis zur Zl. 2008/06/0233).

28 4.4. Nach den getroffenen Feststellungen (vgl. oben Punkt 2.) ist dem Antragsteller dieser Gegenbeweis gelungen.

29 Da somit eine wirksame Zustellung des Bescheides des LAS vom 30. Oktober 2013 vor Ablauf des 30. Juni 2014 nicht hervorgekommen ist, trat dieser Bescheid von Gesetzes wegen mit Ablauf dieses Tages gemäß § 2 Abs. 3 letzter Satz VwGbk-ÜG außer Kraft.

30 5. Wie das Verwaltungsgericht selbst ausführt, hat es nicht innerhalb von sechs Monaten ab dem 1. Juli 2014 über die nunmehr als Beschwerden anzusehenden Berufungen gegen den Bescheid des LAS vom 30. Oktober 2013 entschieden; dem Verwaltungsgericht war daher gemäß § 42a VwGG aufzutragen, das Erkenntnis oder den Beschluss über diese Beschwerden nachzuholen.

31 Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 56 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 30. März 2017

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