Normen
31996D1692 TEN-Leitlinien;
32004D0884 Nov-31996D1692;
UVPG 2000 §19 Abs6;
UVPG 2000 §19 Abs7;
VwGG §30 Abs2;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2010:AW2009030013.A00
Spruch:
Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.
Begründung
1. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde über Antrag der mitbeteiligten Partei dieser in einem teilkonzentrierten Genehmigungsverfahren nach § 24 UVP-G für den Neubau des Brenner Basistunnels die Trassengenehmigung gemäß §§ 3 und 5 des Hochleistungsstreckengesetzes (Spruchpunkt 1), die eisenbahnrechtliche Baugenehmigung (Spruchpunkt 2), die Rodungsbewilligung für im Einzelnen angeführte Waldflächen im Ausmaß von 56.903 m2 zur befristeten Rodung und im Ausmaß von
12.640 m2 zur dauernden Rodung (Spruchpunkt 3), sowie - für das Bergbaugebiet S in der Gemeinde G - die Baubewilligung nach dem Mineralrohstoffgesetz (Spruchpunkt 4) erteilt.
2. Ihren Antrag, der von ihr erhobenen Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, begründet die beschwerdeführende Partei im Wesentlichen wie folgt:
"Der Bfr verweist darauf, dass für den Fall, dass die Projektwerberin als hier nun mitbeteiligte Partei von den ihr erteilten Berechtigungen (insbesondere den Rodungsbewilligungen) Gebrauch machen würde, schwerwiegende Eingriffe in die Natur gesetzt werden, welche bis zur Entscheidung des VwGH in der Hauptsache zu irreversiblen Veränderungen in der Natur führen würden. Die Einrichtung der Tunnelbaustellen, der Arbeiterwohnlager, des Probestollens, der Transportwege, der Transporte selbst und der Rodungen würden als Ersteingriffe sofort im Lebensraum und sohin in der Gesundheit der ohnehin bereits lärm- und schadstoffbeeinträchtigten Bevölkerung im Alpenraum (festgestelltermaßen das größte zusammenhängende Nox-Sanierungsgebiet im Binnenmarkt) sowie in der bisher ungestörten alpinen Landschaft (unter Schutz gestellt durch die Alpenkonvention), die zum Teil Schutzgebiete (Valsertal) bzw. Schutzgüter (nach dem Tiroler Naturschutzgesetz) umfasst und den Wasserhaushalten wirksam werden; dies gleich zu Beginn der Aufnahme der Bautätigkeiten. Dieser Eingriff könnte bei einem aufhebenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes nicht mehr zur Gänze rückgängig gemacht werden (VwGH vom 11.4.2007, AW 2007/03/0011).
Hingegen stehen zwingende öffentliche Interessen dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen. Als bekannt vorausgesetzt werden darf, dass sich die prognostizierten Kosten des Bauvorhabens bisher bereits mehrfach erhöht haben, ohne dass der Grund dafür in einer - wie auch immer gearteten - 'Verzögerung' seitens der Behörden gesehen werden konnte. Nachdem es die mitbeteiligte Partei (ebenso wie die belangte Behörde) nicht für notwendig erachtet hatte, ein Gutachten über die volkswirtschaftlich zu erwartenden Kosten der Realisierung des Projektes unter Annahme des derzeitigen status quo sohin der fehlenden verkehrspolitischen und europarechtlichen Rahmenbedingungen vorzulegen, kann ihr im Gegenzug auch ein allenfalls nunmehr vorzulegendes Gutachten über eine spätere Inbetriebnahme nicht zum Vorteil gereichen. Im Gegenteil: die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkungen würde gerade auch den öffentlichen Interessen gerecht, würde man damit doch die zeitliche Möglichkeit schaffen, die rechtlich notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen".
3. Die belangte Behörde ist in ihrer Äußerung dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung entgegengetreten. Sie macht unter Hinweis auf die im angefochtenen Bescheid dargestellten Vorteile des Vorhabens geltend, dass der Zuerkennung aufschiebender Wirkung zwingende öffentliche Interessen entgegen stünden. Die Projektierung des Vorhabens und die Erwirkung der Genehmigungen erfolge in Erfüllung des Abkommens BGBl III Nr 177/2006. Die Trassierung sei nach den Vorgaben dieses Abkommens, den bereits ausgeführten oder in Ausführung stehenden Teilen der Zulaufstrecke Nord im Inntal und den Bestimmungen der Richtlinie 96/48/EG und den dazu ergangenen technischen Spezifikationen Interoperabilität erfolgt. Das Vorhaben Brenner Basistunnel bilde einen wichtigen Schritt zur Verwirklichung des Transeuropäischen Verkehrsnetzes gemäß den TEN-Leitlinien. Mit ihm erfolge die in Art 10 Abs 1 lit a des Verkehrsprotokolls der Alpenschutzkonvention, BGBl III Nr 234/2002, vorgesehene Verbesserung der Bahninfrastruktur durch den Bau und die Entwicklung großer alpenquerender Achsen im Bereich der TEN-Achse Berlin - Palermo.
Die Zielsetzung bestehe in der Bereitstellung einer modernen Eisenbahninfrastruktur entlang der Brennerfurche im Bereich des Alpenhauptkamms (Innsbruck - Franzensfeste), um damit die infrastrukturellen Voraussetzungen sowohl für einen leistungsfähigen wirtschaftlichen und wettbewerbsfähigen Schienengüterverkehr als auch einen diesen Kriterien entsprechenden Personenverkehr zu schaffen. Diese Bereitstellung bilde unabdingbar die Voraussetzung für die gesellschaftlich erwünschte und in verschiedenen öffentlichen Konzepten, Plänen und Programmen enthaltene Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. Der Verzicht auf den Basistunnel hätte näher dargelegte negative Auswirkungen, unter anderem würde keine Entlastung der Bevölkerung entlang der Bestandsstrecke über den Brenner gegenüber dem Schienenverkehrslärm erreicht und es bestünde keine Aussicht auf eine Abmilderung der allgemeinen Verkehrszunahme im Brennerverkehr auf der Autobahn und der B 182 im Wipptal und auf eine Verringerung des Schwerverkehrs in diesem Raum. Weiters würde eine massive Verschlechterung der Verhandlungsposition Österreichs in allen Verkehrsfragen auf europäischer Ebene eintreten, da Österreich rein technisch weitgehend die Möglichkeit verlöre, Alternativen zum Straßenverkehr anzubieten. Die Glaubwürdigkeit der österreichischen Verkehrspolitik wäre nachhaltig beschädigt.
Die belangte Behörde verwies auch auf die im angefochtenen Bescheid zitierten Ausführungen aus dem Umweltverträglichkeitsgutachten, nach denen (nach Errichtung des gegenständlichen Bahntunnels) - zusammengefasst - die Lärmemissionen im Wipptal reduziert würden.
Im Hinblick auf eine vorzunehmende Interessenabwägung führte die belangte Behörde in ihrer Äußerung aus, dass durch den bekämpften Bescheid dauernde Rodungen im Ausmaß von insgesamt nur 1,2 ha und vorübergehende Rodungen im Ausmaß von insgesamt nur 5,6 ha bewilligt würden, wobei diese Waldflächen keine Schutzgebiete beträfen.
4. Auch die mitbeteiligte Partei ist mit einer Äußerung dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung entgegen getreten. Sie macht darin geltend, dass bei Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung keine weiteren Schritte zur Realisierung des Vorhabens Brenner Basistunnel in Österreich gesetzt werden könnten. Neben großen zeitlichen Verzögerungen wäre die absehbare Folge ein großer und denkbar sogar ein totaler Verlust der TEN-Bauzuschüsse der Finanzperiode 2008 bis 2013 nach der Verordnung (EG) Nr 680/2007. Die Gemeinschaft fördere das Vorhaben mit 27 % der in dieser Finanzplanperiode anfallenden Baukosten. Bei Bauverzögerungen würden nicht abrufbare Fördergelder verloren gehen. Verzögerungen im Raum Innsbruck hätten auch unmittelbar Folgen für die Nutzbarkeit der im Dezember 2012 in Betrieb gehenden Zulaufstrecke Kundl/Radfeld - Baumkirchen. Könne die sicherheitstechnische Nachrüstung der Eisenbahnumfahrung Innsbruck im Sinne der TSI Tunnelsicherheit, 2008/163/EG, und die Abzweigung Aldrans nicht vor diesem Termin errichtet werden, würden die Betriebseinschränkungen in der Bauzeit dazu führen, dass die neuen Kapazitäten im Unterinntal - dies sei derzeit der Flaschenhals im Brennerkorridor - nicht ausgenützt werden könnten. Dies bewirke entweder Einschränkungen im Güterfernverkehr oder eine Verschiebung der vom Land Tirol geplanten Ausdehnung des S-Bahn-Verkehrs im Unterinntal. Beides würde umweltpolitischen Zielsetzungen des Landes, des Bundes und der Europäischen Union gerade in Bezug auf die Luftreinhaltung diametral entgegenlaufen.
Für das Vorhaben Brenner Basistunnel bestehe ein vorrangiges europäisches Interesse gemäß Art 19 und 19a der Entscheidung für gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes in der Fassung der berichtigten Entscheidung Nr 884/2004/EG. Es stünden daher zwingende öffentliche Interessen einer Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung entgegen.
5. Bei der beschwerdeführenden Partei handelt es sich um eine Umweltorganisation im Sinne des § 19 Abs 6 und 7 UVP-G, die daher gemäß § 19 Abs 10 UVP-G berechtigt ist, die Einhaltung von Umweltschutzvorschriften im Verfahren geltend zu machen, soweit sie während der Auflagefrist schriftlich Einwendungen erhoben hat. Sie ist auch berechtigt, Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben.
Im angefochtenen Bescheid wird ausgeführt, dass die beschwerdeführende Partei nach der öffentlichen Auflage des Genehmigungsantrages und der Umweltverträglichkeitserklärung fristgerecht eine Stellungnahme eingebracht habe. In den von der belangten Behörde sowie der mitbeteiligten Partei erstatteten Äußerungen zum Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird deren Berechtigung zur Beschwerdeerhebung nicht in Zweifel gezogen.
6. Gemäß § 30 Abs 2 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag der Beschwerde die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug oder mit der Ausübung der mit dem Bescheid eingeräumten Berechtigung durch einen Dritten für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.
Die beschwerdeführende Partei ist als Umweltorganisation im Sinne des § 19 Abs 6 und 7 UVP-G berechtigt, die Einhaltung von Umweltschutzvorschriften geltend zu machen. Unter den für die Umweltorganisation verbundenen Nachteilen im Sinne des § 30 Abs 2 VwGG ist daher ein Nachteil für die von ihr wahrzunehmenden Interessen des Umweltschutzes zu verstehen (vgl zur Wahrnehmung von öffentlichen Interessen des Umweltschutzes durch den Landesumweltanwalt den hg Beschluss zu vom 10. Juni 2003, Zl AW 2003/10/0014, mwH).
7. Es kann dahingestellt bleiben, ob die - oben wiedergegebenen - Ausführungen der beschwerdeführenden Partei in ihrem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl ua den Beschluss eines verstärkten Senates vom 25. Februar 1981, Slg Nr 10.381/A) die sich aus der Vollziehung des angefochtenen Bescheides für die von der beschwerdeführenden Partei wahrzunehmenden Interessen ergebenden Nachteile ausreichend konkretisieren, da dem Antrag schon wegen entgegenstehender zwingender öffentlicher Interessen nicht stattzugeben ist:
8. Die Errichtung des Brenner Basistunnels, für die mit dem angefochtenen Bescheid die Trassengenehmigung, eisenbahnrechtliche Baugenehmigung, Rodungsbewilligung und Baubewilligung nach dem Mineralrohstoffgesetz erteilt wurde, stellt ein vorrangiges Vorhaben im europäischen Interesse im Sinne der Entscheidung Nr 884/2004/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Entscheidung Nr 1692/96/EG über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes dar, mit dem vor 2010 begonnen werden soll (Art 19 und 19a in Verbindung mit Anhang III Z 1 der Entscheidung Nr 1692/96/EG in der Fassung der Entscheidung Nr 884/2004/EG). Das Bauvorhaben ist ein wesentlicher Teil des vorrangigen Vorhabens Nr. 1, der Eisenbahnachse Berlin - Verona/Mailand - Bologna - Neapel - Messina - Palermo. Für das Bauvorhaben wird auch eine substantielle Mitfinanzierung durch Gemeinschaftszuschüsse nach der Verordnung (EG) Nr 680/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Grundregeln für die Gewährung von Gemeinschaftszuschüssen für transeuropäische Verkehrs- und Energienetze im Rahmen des aktuellen Mehrjahresprogramms angesprochen.
Vor dem Hintergrund der damit dokumentierten zentralen verkehrspolitischen Bedeutung des gegenständlichen Eisenbahnbauvorhabens, das nach dem angefochtenen Bescheid insbesondere auch die Voraussetzungen für einen leistungsfähigen Schienengüterverkehr und eine Veränderung des Modal Split zugunsten der Schiene (Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene) schaffen soll, kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie in ihrer Äußerung die Auffassung vertritt, dass der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen (vgl zu einem Eisenbahnbauvorhaben von gemeinsamem Interesse im Sinne der Entscheidung Nr 1692/96/EG auch den hg Beschluss vom 26. April 2005, Zl AW 2005/03/0002).
9. Dem Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, war daher nicht stattzugeben.
Wien, am 8. Juli 2009
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