Normen
ARB1/80 Art14;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §75 Abs1;
StGB §107 Abs1;
StGB §107 Abs2;
StGB §83 Abs1;
StGB §91 Abs2;
StVO 1960 §5 Abs1;
ARB1/80 Art14;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §75 Abs1;
StGB §107 Abs1;
StGB §107 Abs2;
StGB §83 Abs1;
StGB §91 Abs2;
StVO 1960 §5 Abs1;
Spruch:
Der Bescheid betreffend Erlassung eines auf die Dauer von fünf Jahren befristeten Aufenthaltsverbotes wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Beschwerde gegen den Bescheid betreffend Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in die Türkei wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 282,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Die Kostenmehrbegehren werden abgewiesen.
Begründung
Mit den zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, einerseits gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 2 sowie den §§ 37, 38 und 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich, und stellte andererseits gemäß § 75 Abs. 1 FrG fest, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in der Türkei gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.
Diesen Bescheiden legte sie folgenden unstrittigen Sachverhalt zu Grunde: Der Beschwerdeführer, dessen Familie sich nach wie vor in der Türkei befindet, reiste im Jahr 1991 nach Österreich ein. Sein Antrag auf Asylgewährung wurde abgewiesen; die dagegen erhobene Berufung zog er in der Folge zurück. Der Beschwerdeführer war im Besitz einer Beschäftigungsbewilligung und erhielt in weiterer Folge Sichtvermerke bzw. Aufenthaltsbewilligungen. Über seinen Antrag auf Verlängerung der bis 18. Jänner 1999 gültigen Niederlassungsbewilligung wurde noch nicht entschieden. Der Beschwerdeführer ist seit 1992 fast durchgehend regelmäßig beschäftigt. Er wurde am 9. August 1996 wegen Übertretung des § 5 Abs. 1 StVO 1960 zu einer Geldstrafe von S 8.000,-- rechtskräftig bestraft (nach dem Akteninhalt wurde ein Atemalkoholgehalt von 0,46 mg/l festgestellt). Eine weitere rechtskräftige Bestrafung wegen § 5 Abs. 1 StVO erfolgte mit Straferkenntnis vom 1. Dezember 1998 (Atemalkoholgehalt von 0,58 mg/l). Der Beschwerdeführer wurde insgesamt acht Mal wegen Übertretungen der Straßenverkehrsordnung und des KFG bestraft. Wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und 2 StGB und der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB wurde er vom Landesgericht für Strafsachen Graz am 2. Juli 1998 zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt. Die fünf minderjährigen Kinder des Beschwerdeführers leben mit seiner Ehefrau in der Türkei; in Österreich befinden sich vier Brüder, 20 Cousins, ein Onkel und eine Tante. Er lebt mit einem seiner Brüder in einer Wohnung in L zusammen. Zuletzt war er im Sommer 1998 zu Besuch bei seiner Familie in der Türkei.
Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass auf Grund des aufgezeigten Fehlverhaltens des Beschwerdeführers die Annahme gegeben sei, dass sein weiterer Aufenthalt im österreichischen Bundesgebiet eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle. Der Beschwerdeführer habe den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 2 FrG erfüllt. Auch dann, wenn der Alkoholgehalt nur geringfügig über dem Grenzwert liege, stellten Übertretungen nach § 5 Abs. 1 StVO grundsätzlich schwerwiegende Verwaltungsdelikte dar. Von alkoholisierten Kraftfahrzeuglenkern gingen Gefahren für die Allgemeinheit aus. Der Beschwerdeführer zeige eine Neigung zur Begehung von Alkoholdelikten im Straßenverkehr und zur Gewalttätigkeit im alkoholisierten Zustand. Unter Berücksichtigung seines bereits langjährigen Aufenthalts in Österreich und seiner familiären Situation werde durch die fremdenpolizeiliche Maßnahme in sein in Österreich geführtes Privat- und Familienleben eingegriffen, zumal der Beschwerdeführer seit dem Jahr 1992 als wirtschaftlich und auch als sozial voll integriert im österreichischen Bundesgebiet anzusehen sei. Angesichts des von ihm gesetzten Gesamtfehlverhaltens sei jedoch wegen der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit das Aufenthaltsverbot im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG dringend geboten und zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zulässig. Lediglich in Fällen, in denen die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit nur ganz geringfügig berührt werde, sei im Licht einer gesetzmäßigen Ermessensübung von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes abzusehen; dies treffe in seinem Fall jedoch nicht zu. Dem Aufenthaltsverbot stünden auch keine der in den §§ 38 bzw. 35 FrG genannten Verbotsgründe entgegen.
Die Abweisung des Feststellungsantrages begründete die belangte Behörde auf das Wesentliche zusammengefasst folgendermaßen: Der Beschwerdeführer habe seinen Antrag auf Asylgewährung im Jahr 1991 vor allem damit begründet, dass er von der Polizei des Öfteren verhaftet und eingesperrt worden sei, weil behauptet worden wäre, dass seine Familie die PKK unterstützen würde. Er wäre im Jahr 1984 von Polizisten misshandelt und bewusstlos geschlagen worden und hätte Schnittverletzungen auf dem Rücken davongetragen. Diesen Angaben sei jedoch die Glaubwürdigkeit zu versagen, weil der Beschwerdeführer das letzte Mal im Sommer 1998 zu Besuch bei seiner Familie in der Türkei gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe nach dem Besuch seiner Familie in der Türkei anstandslos wieder ausreisen können. Aus diesem Grund seien die Angaben betreffend etwaige Verfolgungs- oder Bedrohungsgründe in der Türkei lediglich als reine Schutzbehauptungen zu werten. Ihm sei von der türkischen Botschaft in Wien am 27. Oktober 1997 zuletzt ein Reisepass ausgestellt worden. Dies schließe zwar eine Bedrohung im Sinn des § 57 FrG nicht aus, mache aber eine derartige Bedrohung auch nicht wahrscheinlich. Sollte der Beschwerdeführer tatsächlich Misshandlungen oder Folterungen ausgesetzt gewesen sein, so seien diese Vorfälle jedenfalls vor dem Jahr 1991 gewesen und es sei nicht anzunehmen, dass der Beschwerdeführer bei einer allfälligen Rückkehr in die Türkei nun mit entsprechenden Repressalien bzw. mit einer strengen Strafe oder einer persönlichen Gefährdung rechnen müsse. Sein Vorbringen könne nicht als konkretes Tatsachenvorbringen im Sinn des § 75 FrG gewertet werden. Eine aktuelle, konkret gegen ihn gerichtete Verfolgung sei nicht behauptet worden. Er sei der ihn treffenden Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen und habe kein ausreichendes Tatsachenvorbringen glaubhaft machen können.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
1. Zum Aufenthaltsverbot:
Festzuhalten ist, dass der Beschwerdeführer die türkische Staatsbürgerschaft besitzt und seit 1992 "fast durchgehend regelmäßig" in Österreich beschäftigt war. Es unterliegt somit keinem Zweifel, dass der Beschwerdeführer die Voraussetzungen nach Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB) erfüllt. Dem zufolge ist die Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes ergänzend an den Bestimmungen des ARB zu messen.
Der Gerichtshof ließ bereits im Erkenntnis vom 30. Mai 2001, Zl. 99/21/0310, erkennen, dass eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung eines Grundinteresses der Gesellschaft, die ein Aufenthaltsverbot im Licht des Art. 14 ARB als zulässig werten ließe, dann nicht vorliegt, wenn das Fehlverhalten des türkischen Staatsangehörigen nur darin besteht, dass er - von einer Verurteilung (wegen Raufhandels nach § 91 Abs. 2 StGB) zu einer Geldstrafe abgesehen - in zwei Fällen wegen Übertretung des § 5 Abs. 1 StVO rechtskräftig bestraft wurde und der Alkoholisierungsgrad nicht hoch war. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird auf die Begründung dieses Erkenntnisses verwiesen. Vorliegend ist dem Beschwerdeführer - vergleichbar zum genannten Vorerkenntnis - die Verurteilung zu einer Geldstrafe (wegen gefährlicher Drohung und Körperverletzung) sowie ein zweimaliger Verstoß nach § 5 Abs. 1 StVO (mit einem nicht übermäßig hohen Alkoholisierungsgrad) anzulasten. Dem gemäß erweist sich das Aufenthaltsverbot im Grund des Art. 14 ARB als nicht zulässig, weshalb dieser angefochtene Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit nach § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Eine Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen über die behauptete Unrichtigkeit der vorgenommenen Interessenabwägung nach § 37 FrG ist somit entbehrlich.
Nur am Rand sei bemerkt, dass der Beschwerdeansicht über eine Unzulässigkeit des Aufenthaltsverbotes nach § 35 Abs. 2 FrG nicht gefolgt werden kann. Gemäß § 38 Abs. 1 Z. 2 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn eine Ausweisung gemäß § 34 Abs. 1 Z. 1 oder 2 FrG wegen des maßgeblichen Sachverhaltes unzulässig wäre. Eine Ausweisung gemäß § 34 Abs. 1 Z. 1 und 2 FrG ist (u. a.) in den Fällen des § 35 FrG unzulässig. Dessen Abs. 2 sieht die Unzulässigkeit einer Ausweisung unter anderen Voraussetzungen dann vor, wenn der Fremde vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet auf Dauer niedergelassen war. Entgegen der Beschwerdeansicht ist nicht der Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde maßgeblich, sondern der Zeitpunkt vor Eintritt des ersten der Umstände, die in ihrer Gesamtheit für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgeblich sind (vgl. näher das hg. Erkenntnis vom 18. Jänner 2000, Zl. 98/18/0218, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Die genannte Bestimmung stünde somit dem Aufenthaltsverbot nicht entgegen.
2. Zum Ausspruch nach § 75 Abs. 1 FrG:
Im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 75 Abs. 1 FrG hat der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG im Verfahren gemäß § 75 leg. cit. die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße der in § 57 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 7. April 2000, Zl. 99/21/0001).
Die belangte Behörde versagte dem Vorbringen des Beschwerdeführers über die von ihm erlittenen Misshandlungen mit der Begründung die Glaubwürdigkeit, dass er bereits 1991 die Türkei verlassen habe und es ihm jedenfalls im Jahr 1998 möglich gewesen sei, seine Familie in der Türkei zu besuchen und anstandslos aus der Türkei wieder auszureisen, und dass ihm weiters im Jahr 1997 ein türkischer Reisepass ausgestellt worden sei. Soweit der Beschwerdeführer nun vorbringt, er wäre bei seinem letzten Aufenthalt in der Türkei bei einem Hochzeitsfest eingeladen gewesen, es wären kurdische Lieder gesungen worden, die Militärbehörden wären eingeschritten und der Beschwerdeführer hätte mit anderen Angehörigen der kurdischen Minderheit einen Raufhandel begonnen und wäre sohin nach diesem Vorfall gezwungen gewesen, umgehend wieder sein Heimatland zu verlassen, handelt es sich um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige und unbeachtliche Neuerung. Bemerkt sei, dass der Beschwerdeführer in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid gegen die auf den ungehinderten Heimatbesuch gestützte Annahme des Fehlens einer Gefährdung nur behauptet hat, dass sich seit Sommer 1998 die Situation in seinem Heimatland drastisch geändert habe. Angesichts dieses wechselnden Vorbringens vermag die Beschwerde keine Bedenken gegen die Schlüssigkeit der behördlichen Beweiswürdigung zu erwecken. Die belangte Behörde durfte jedenfalls zu dem Schluss gelangen, dass der Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht habe, nun bei einer allfälligen Rückkehr in die Türkei mit entsprechenden Repressionen rechnen zu müssen. Da es somit letztlich auf die Vorfälle vor dem Jahr 1991 mangels Aktualitätsbezuges nicht ankommt, fehlt der Mängelrüge, die auf die Unterlassung der Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Herkunft der Narben Bezug nimmt, die Relevanz.
Zusammenfassend kann somit die Ansicht der belangten Behörde, es sei dem Beschwerdeführer nicht gelungen, stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft zu machen, dass er im Fall seiner Abschiebung in die Türkei im Sinn des § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG gefährdet oder bedroht sei, nicht als rechtswidrig erkannt werden. Mit dem Hinweis auf die allgemeinen Verhältnisse der kurdischen Minderheit in der Türkei allein ist für den Beschwerdeführer nichts gewonnen, wird doch nicht dargelegt, dass er schon deshalb eine im Sinn des § 57 FrG relevante Verfolgung befürchten müsse. Bemerkt sei, dass das Beschwerdevorbringen über die Verweigerung von Reisepässen gegenüber Kurden mit der Sachlage wohl nicht übereinstimmen kann, wurde doch dem Beschwerdeführer unbestritten ein Reisepass ausgestellt.
Da dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
3. Die Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 sowie Z. 6 VwGG unterbleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Der Bund hat dem Beschwerdeführer den Schriftsatzaufwand für eine Beschwerde zu ersetzen, der Beschwerdeführer hingegen dem Bund den halben Vorlageaufwand. Wien, am 9. Oktober 2001
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