VwGH 99/05/0095

VwGH99/05/009531.8.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rätin Dr. Gritsch, über die Beschwerde 1. des Zoltan Imrek und 2. der Irma Imrek, beide in Siget in der Wart, vertreten durch Dr. Günther Bernhart und Dr. Gerhard Pail, Rechtsanwälte in Oberwart, Evang. Kirchengasse 2, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Oberwart vom 9. März 1999, Zl. II-I-6-1999, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien. 1. Marktgemeinde Rotenturm an der Pinka, vertreten durch den Bürgermeister, 2. Edith Imrek, Siget in der Wart 48), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §52;
BauG Bgld 1997 §21 Abs2;
BauG Bgld 1997 §21 Abs4;
BauG Bgld 1997 §3 Z5;
BauG Bgld 1997 §5;
BauRallg;
BauV Bgld 1998 §15 Abs1;
RPG Bgld 1969 §14 Abs3;
AVG §52;
BauG Bgld 1997 §21 Abs2;
BauG Bgld 1997 §21 Abs4;
BauG Bgld 1997 §3 Z5;
BauG Bgld 1997 §5;
BauRallg;
BauV Bgld 1998 §15 Abs1;
RPG Bgld 1969 §14 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Burgenland hat den Beschwerdeführern insgesamt Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführer sind Eigentümer des Grundstückes Nr. .253 Baufläche, KG Siget in der Wart, mit dem darauf befindlichen Einfamilienwohnhaus Nr. 87. Nordwestlich und westlich an dieses Grundstück grenzen die beiden Grundstücke Nr. 263 und 264, je KG Siget in der Wart, der zweitmitbeteiligten Partei. Die Grundstücke der Zweitmitbeteiligten liegen im "Dorfgebiet".

Mit Eingabe vom 10. August 1998 beantragte die Zweitmitbeteiligte die Erteilung der Baubewilligung für die Errichtung eines Pferdestalles und einer Düngerstätte sowie einer Einfriedung auf ihren vorbezeichneten Grundstücken. Dem ihrem Antrag zugrunde liegenden Einreichplan ist zu entnehmen, dass der 6 m breite und 8 m lange Pferdestall in einer Länge von über 3 m an der Westseite der nördlichen Grundstücksgrenze des Grundstückes Nr. .253 der Beschwerdeführer in einer Entfernung von 1,40 m errichtet werden soll. Die Gesamthöhe des Pferdestalles beträgt projektsgemäß 6 m, das 30 o geneigte Dach ist 2,50 m hoch. Die 16 m2 große Düngerstätte soll projektsgemäß in einer Länge von 4 m an der nördlichen Seite der Westgrenze zum Grundstück Nr. .253 der Beschwerdeführer angebaut werden.

Dem medizinischen Gutachten vom 14. Juli 1998 wurde zugrunde gelegt, dass der projektierte Stall als "Offenstall" zur Aufzucht für eine Zuchtstute mit Fohlen genutzt wird. In der mündlichen Verhandlung wurde vom "Pferdehalter" die Erklärung abgegeben, dass der neu zu errichtende Stall "zur Haltung von Pferden dient, vornehmlich für kranke bzw. Zuchtstuten und Fohlen bzw. im Winter bei extremen Außentemperaturen".

Die Beschwerdeführer wendeten in der mündlichen Verhandlung gegen das Bauvorhaben ein, die beabsichtigte Errichtung eines landwirtschaftlichen Zuchtbetriebes sei mit der Widmung Dorfgebiet nicht vereinbar, weil dadurch das ortsübliche Ausmaß der Geruchsimmissionen überschritten würde. Durch die Ausscheidungen der Tiere wäre auch die Gesundheit der Beschwerdeführer gefährdet. Die bei trockener Witterung entstehende Staubbelastung würde das ortsübliche Maß überschreiten. Die gesetzlichen Abstände würden weder beim Pferdestall noch bei der Düngerstätte eingehalten.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 28. Oktober 1998 wurde die beantragte baubehördliche Bewilligung auf Grundlage der mit dem Bewilligungsvermerk versehenen Baubeschreibung und der Planunterlagen unter Nebenbestimmungen erteilt. Unter Punkt B.

Bedingungen und Auflagen wurden u.a. folgende Auflagen erteilt:

"3. Aufgrund der vorliegenden Gutachten wird seitens der Baubehörde die Pferdehaltung von maximal vier Pferden genehmigt. Die Haltung eines Hengstes ist nicht erlaubt.

4. Entgegen dem Einreichplan ist die Düngerstätte in einem Abstand von mindestens 3 m vom Anrainergrundstück Nr. 253 der Ehegatten (Beschwerdeführer), sowie ebenfalls in einem Mindestabstand von 3 m zu den übrigen Anrainergrundstücken zu errichten."

Mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 19. Jänner 1999 wurde der dagegen erhobenen Berufung der Beschwerdeführer keine Folge gegeben.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Oberwart vom 9. März 1999 wurde der dagegen erhobenen Vorstellung der Beschwerdeführer keine Folge gegeben. In der Begründung wurde hiezu entscheidungswesentlich ausgeführt, ein Immissionsschutz sei für in der Widmung Dorfgebiet gelegene Flächen nicht gewährleistet. § 15 der Bauverordnung begründe jedoch subjektiv-öffentliche Nachbarrechte. Den Beschwerdeführern sei daher im Beschwerdefall von der Behörde Immissionsschutz zu garantieren. Aufgrund der vorliegenden schlüssigen Gutachten sei davon auszugehen, dass durch die bewilligten Bauvorhaben das zulässige Ausmaß an Geruchsbeeinträchtigung nicht überschritten werde und eine Gefährdung der Nachbarn nicht gegeben sei. Bezüglich der beanstandeten Einhaltung der Bestimmungen über die Seitenabstände sei festzuhalten, dass Entfernungsvorschriften nach der ständigen Rechtsprechung subjektiv-öffentliche Nachbarrechte begründeten. Die Lage der Düngerstätte entspräche aufgrund der von der Baubehörde erster Instanz verfügten Auflage § 5 Abs. 1 des Bgld. Baugesetzes 1997. Der projektierte Seitenabstand zwischen Pferdestall und Grundstücksgrenze finde im § 15 Abs. 3 Bgld. Baugesetz 1997 Deckung. Die Festlegung der Baulinie im Abstand von 1,20 m zum Nachbargrundstück stütze sich in zulässiger Weise auf die im Sinne der einschlägigen Vorschriften erstatteten Gutachten des hochbautechnischen Amtssachverständigen, des Amtstierarztes und des Kreisarztes.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführer erachten sich durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht auf Nichterteilung der beantragten Baubewilligung verletzt. Von der Beschwerde ist die Erteilung der Baubewilligung betreffend die Einfriedung nicht erfasst.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes tragen die Beschwerdeführer vor, die erteilte Bewilligung des Pferdestalles verstoße hinsichtlich dessen Lage gegen § 5 Abs. 2 des Bgld. Baugesetzes.

Mit diesem Vorbringen befinden sich die Beschwerdeführer im Recht.

Gemäß § 21 Abs. 1 Z. 2 Bgld. Baugesetz sind u.a. die Eigentümer der an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücke (Anrainer) Parteien im Bauverfahren.

Gemäß Abs. 2 dieser Gesetzesstelle kann ein Anrainer gegen die Erteilung der Baubewilligung mit der Begründung Einwendungen erheben, dass er durch das Vorhaben in seinen Rechten verletzt wird.

Wird die Verletzung von Vorschriften dieses Gesetzes oder von sonstigen bau- und raumplanungsrechtlichen Vorschriften (z.B. Bauverordnung, Flächenwidmungsplan, Bebauungsplan, Bebauungsrichtlinien) behauptet, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse des Anrainers dienen (öffentlich-rechtliche Einwendung), hat die Baubehörde gemäß Abs. 4 des § 21 Bgld. Baugesetz hierüber im Bescheid zu erkennen und gegebenenfalls die Baubewilligung zu versagen oder die Einwendung als unbegründet abzuweisen und die Baubewilligung zu erteilen.

Die gesetzlichen Vorschriften über die Entfernung von Nachbargrenzen oder Nachbargebäuden sind als Vorschriften zu beurteilen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse des Anrainers im Sinne des § 21 Abs. 4 Bgld. Baugesetz dienen (vgl. hiezu Hauer, Burgenländisches Baurecht, Seite 177, unter Hinweis auf die ständige hg. Rechtsprechung). Aus der Anordnung des § 5 Bgld. Baugesetz erwachsen daher dem Anrainer subjektiv-öffentliche Rechte im Sinne des § 21 Abs. 4 leg. cit. Diese Gesetzesstelle hat folgenden Wortlaut:

"§ 5

Bebauungsweisen und Abstände

(1) Sofern Bebauungspläne/Teilbebauungspläne oder Bebauungsrichtlinien nicht vorliegen, hat die Baubehörde unter Berücksichtigung des Baubestandes und des Ortsbildes für ein Baugrundstück eine der folgenden Bebauungsweisen zuzulassen:

1. geschlossene Bebauung, wenn die Hauptgebäude in geschlossener Straßenfront beidseitig an die seitlichen Grundstücksgrenzen anzubauen sind,

2. halboffene Bebauung, wenn die Hauptgebäude an einer seitlichen Grundstücksgrenze anzubauen sind und gegen die andere seitliche Grundstücksgrenze ein Abstand von mindestens 3 m einzuhalten ist,

3. offene Bebauung, wenn gegen beide seitlichen Grundstücksgrenzen ein Abstand von mindestens 3 m einzuhalten ist.

Für die offene Bebauungsweise ist eine Grundstücksbreite von mindestens 15 m erforderlich.

(2) Bei allen Bebauungsweisen ist vom Hauptgebäude gegen die hintere Grundstücksgrenze ein Mindestabstand von 3 m einzuhalten. In der seitlichen und hinteren Abstandsfläche sind Nebengebäude und andere untergeordnete Bauten bis zu einer Außenwandhöhe von 3 m mit einer Dachneigung von höchstens 45 o zulässig, sofern die maßgeblichen baupolizeilichen Interessen nicht verletzt werden.

(3) Die Baubehörde kann in Ausnahmefällen unter besonderer Berücksichtigung des Anrainerschutzes, der Baugestaltung und der örtlichen Gegebenheiten abweichend von den Bestimmungen der Abs. 1 und 2 die Abstände von Bauten zu den Grundstücksgrenzen durch die Festlegung von Baulinien und zwingenden Baulinien bestimmen. Baulinien sind die Grenzlinien, innerhalb derer Bauten errichtet werden dürfen; zwingende Baulinien sind jene Grenzlinien, an die anzubauen ist."

Den vorgelegten Verwaltungsakten ist nicht zu entnehmen, ob für das zu bebauende Grundstück ein Bebauungsplan/Teilbebauungsplan oder Bebauungsrichtlinien gelten. Aus den Begründungsausführungen der im Verfahren erlassenen Bescheide der Behörden lässt sich aber erschließen, dass im Beschwerdefall die Anordnungen des § 5 Bgld. Baugesetz Anwendung zu finden haben. § 5 Abs. 1 leg. cit. ordnet an, dass bei Vorliegen der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen die Baubehörde "eine der folgenden Bebauungsweisen zuzulassen" hat. Weder aus dem Spruch des Baubewilligungsbescheides noch aus den zum Bestandteil der Baubewilligung erklärten Unterlagen ist eindeutig zu entnehmen, welche Bebauungsweise die Baubehörde im konkreten Fall zugelassen hat.

Ferner ist unerörtert geblieben, ob der bewilligte Pferdestall als Haupt- oder Nebengebäude zu beurteilen ist. (Im Gutachten des medizinischen Sachverständigen vom 14. Juli 1998 wird diesbezüglich ausgeführt, dass der bewilligte Stall an das Wohngebäude direkt anschließt, während im Bescheid der Baubehörde erster Instanz vom 28. Oktober 1998 ausgeführt wird, dass das Stallgebäude an die bestehende Scheune angebaut wird.) Im Falle der offenen Bebauung ist vom Hauptgebäude sowohl gegen die hintere Grundstücksgrenze als auch gegen die seitlichen Grundstücksgrenzen ein Abstand von mindestens 3 m einzuhalten. Sollte der Pferdestall jedoch als Nebengebäude anzusehen sein, wäre er im Beschwerdefall weder in der seitlichen noch in der hinteren Abstandsfläche zulässig, weil seine Außenwandhöhe mehr als 3 m beträgt. Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang, dass nur der gedeckte Vorplatz des Pferdestalls in die Abstandsfläche reicht, weil der Pferdestall mit Vorplatz als ein einheitliches Gebäude projektiert ist, welches zur Gänze mit einem Dach abgeschlossen ist.

Die Begründungsdarlegungen im angefochtenen Bescheid, die erteilte Baubewilligung sei deshalb frei von Rechtsirrtum, weil die Baubehörden zulässigerweise § 5 Abs. 3 Bgld. Baugesetz angewendet hätten, sind deshalb rechtswidrig, weil bei Vorliegen der in § 5 Abs. 3 leg. cit. genannten Voraussetzungen von der Baubehörde bescheidmäßig Baulinien oder zwingende Baulinien festzulegen sind (vgl. hiezu auch § 30 Abs. 4 Bgld. Baugesetz). Ob ein Ausnahmefall im Sinne des § 5 Abs. 3 Bgld. Baugesetz vorliegt, hat die Behörde entsprechend zu begründen. Eine solche Begründung fehlt hier jedoch.

Aus diesen Gründen belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Bezüglich des weiteren Beschwerdevorbringens stellt jedoch der Verwaltungsgerichtshof klar, dass die Widmung Dorfgebiet gemäß § 14 Abs. 3 lit. b Bgld. Raumplanungsgesetz den Nachbarn keinen Immissionsschutz einräumt und daher den Nachbarn kein Recht auf Einhaltung der Widmung schlechthin zusteht (vgl. hiezu die hg. Erkenntnisse vom 24. März 1998, Zl. 94/05/0213, und vom 21. Jänner 1997, Zl. 96/05/0254). Ein Pferdestall samt Düngestätte der hier zu beurteilenden Art ist im Dorfgebiet zulässig. Ob die Unterbringung kranker Pferde - wie dies offenbar im Beschwerdefall beabsichtigt ist - einer bestimmungsgemäßen Benützung des Stalles entspricht und dadurch eine Gefährdung oder eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Beeinträchtigung der Beschwerdeführer zu befürchten ist (§ 3 Z. 5 Bgld. Baugesetz und § 15 Abs. 1 Bgld. Bauverordnung), wird im fortgesetzten Verfahren durch Ergänzung des medizinischen Gutachtens zu klären sein.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Der beanspruchte Ersatz für Stempelgebühr der Beilage war nicht zuzuerkennen, weil die Entrichtung dieser Gebühr nicht erforderlich war.

Wien, am 31. August 1999

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