VwGH 99/01/0323

VwGH99/01/032324.11.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Pelant und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde des AK in F, vertreten durch Dr. Willibald Rath, Dr. Manfred Rath und Mag. Gerhard Stingl, Rechtsanwälte in 8020 Graz, Friedhofgasse 20, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 7. Mai 1999, Zl. 2-11.K/460-98/12, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §60;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StbG 1985 §15;
StVO 1960 §99;
AVG §60;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StbG 1985 §15;
StVO 1960 §99;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 7. Mai 1999 wies die Steiermärkische Landesregierung den Antrag des Beschwerdeführers, eines am 2. März 1940 geborenen iranischen Staatsangehörigen, auf Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß §§ 11a und 10 Abs. 1 Z. 6 iVm § 39 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311 in der Fassung der Staatsbürgerschaftsgesetznovelle, BGBl. I Nr. 124/1998 - StbG, ab. Der Beschwerdeführer habe am 17. Juli 1998 um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft angesucht. Er sei erstmals am 6. Juni 1963 im Bundesgebiet zur Anmeldung gelangt und seit 2. August 1985 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Es sei gegen ihn mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom 4. Juni 1985 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden, welches mit Bescheid dieser Behörde am 21. November 1994 aufgehoben worden sei. Am 23. August 1995 sei die erste Aufenthaltsbewilligung erteilt worden, der Beschwerdeführer halte sich erst seit diesem Datum rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Er gehe erst seit 12. Dezember 1988 ununterbrochen einer Beschäftigung in Österreich nach. Seit seiner Einreise im Jahr 1963 habe er 25 Jahre an Universitäten studiert, ohne jedoch ein Studium erfolgreich abzuschließen. Er sei wegen mehrerer strafbarer Handlungen im Zeitraum 1978 bis 1992 von verschiedenen Gerichten rechtskräftig verurteilt worden, wobei die belangte Behörde die Verurteilungen nach Aktenzahl, Datum des Urteils, Gesetzesstelle, auf die sich die Verurteilung stützt, Strafhöhe, Strafart und Vollzugsdatum näher darlegte.

Dem Beschwerdeführer sei Gelegenheit zur Stellungnahme hiezu eingeräumt worden. Er habe unter anderem eingewendet, dass die Vorstrafen bereits getilgt seien, dass er einen ordentlichen und sozialen Lebenswandel geführt habe, er seit 35 Jahren ununterbrochen in Österreich lebe und mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei.

Dazu wurde von der belangten Behörde "Folgendes bemerkt":

"Richtig ist, dass der Einbürgerungswerber mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet ist, jedoch hat der Einbürgerungswerber nicht - wie er angibt - einen 35-jährigen ununterbrochenen Inlandswohnsitz, sondern erst einen nicht ganz 4-jährigen ununterbrochenen Inlandswohnsitz, da durch das Aufenthaltsverbot gemäß § 15 der Lauf der Wohnsitzfristen unterbrochen wurde und der Wohnsitz erst mit 23. August 1995 angerechnet werden kann. Weiters wird darauf verwiesen, dass ein vom Einbürgerungswerber eingebrachter Antrag vom 20. März 1991 auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes trotz einer seit 1985 bestehenden Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin abgelehnt wurde, da im Zeitpunkt der Antragstellung auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes ein gerichtliches Strafverfahren anhängig war.

Auch stimmt, dass die vom Einbürgerungswerber begangenen strafbaren Handlungen getilgt sind. Jedoch erscheint durch die Häufigkeit der Verurteilung der Schluss gerechtfertigt zu sein, dass der Betreffende auch in Zukunft die zur Abwehr und Unterdrückung von Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung erlassenen Vorschriften missachten werde.

Durch das bisherige Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers ist davon auszugehen, dass er sich auch weiterhin nicht an die österreichische Rechtsordnung hält und somit keine Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit darstellt."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 11a Abs. 1 StbG ist einem Fremden unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 2 bis 8 und Abs. 3 StbG die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn (Z. 1) sein Ehegatte Staatsbürger ist und im gemeinsamen Haushalt mit ihm lebt, (Z. 2) die Ehe weder von Tisch und Bett noch sonst ohne Auflösung des Ehebandes gerichtlich geschieden ist, (Z. 3) er nicht infolge der Entziehung der Staatsbürgerschaft nach § 33 StbG Fremder ist und (Z. 4 b) die Ehe seit mindestens fünf Jahren aufrecht und sein Ehegatte seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen österreichischer Staatsbürger ist. Das Vorliegen der Voraussetzungen der Z. 4 lit. b leg. cit. wurde von der belangten Behörde zu Recht bejaht.

Die belangte Behörde vermeint, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers erst ab Erteilung der ersten Aufenthaltsbewilligung vom 23. August 1995 zu berücksichtigen sei, wobei sie sich auf § 15 StbG bezieht. Nach dieser Gesetzesstelle wird der Lauf der Wohnsitzfristen nach § 10 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 4, § 11a Z. 4 lit. a, § 12 Z. 1 und 2 sowie § 16 Abs. 1 Z. 3 lit. a StbG - u.a. - durch ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot unterbrochen. Die belangte Behörde übersieht, dass im Rahmen des § 11a Abs. 1 Z. 4 lit. b StbG keine der in § 15 StbG umfassten Wohnsitzfristen zu beurteilen ist. Insbesondere kommt es nicht auf die Erfüllung der Frist nach § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG an. Nach dem unmissverständlichen Wortlaut des § 15 StbG werden nur die in dieser Gesetzesstelle ausdrücklich genannten Wohnsitzfristen durch näher bezeichnete Umstände (wie z.B. ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot) unterbrochen.

Der belangten Behörde ist aber zuzugestehen, dass es auch für die gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG vorzunehmende Beurteilung des Gesamtverhaltens des Einbürgerungswerbers von Bedeutung ist, welche Zeiten sich dieser erlaubt oder unerlaubt in Österreich aufgehalten hat. Denn je nach dem, ob es sich dabei um Zeiten erlaubten oder unerlaubten Aufenthalts handelt, wird die Prognose des zukünftigen Verhaltens des Einbürgerungswerbers in positiver oder negativer Richtung beeinflusst. Da für die in diese Gesamtbeurteilung einzubeziehenden Zeiten jedoch nicht der Unterbrechungstatbestand des § 15 StbG zum Tragen kommt, sind etwa Zeiten erlaubten Aufenthaltes vor der Verhängung eines rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes in die Bewertung des Gesamtverhaltens einzubeziehen. Die belangte Behörde bezog jedoch nur die Aufenthaltszeit des Beschwerdeführers während des aufrechten Aufenthaltsverbotes und die Zeit nach Erteilung der ersten Aufenthaltsbewilligung in ihre Betrachtung des Gesamtverhaltens ein.

Es lässt sich aus dem angefochtenen Bescheid nicht zweifelsfrei ersehen, ob die vom Beschwerdeführer in Österreich vor Verhängung des Aufenthaltsverbotes verbrachten Aufenthaltszeiten solche eines erlaubten oder unerlaubten Aufenthalts waren. Nach dem Akteninhalt, insbesondere der Begründung des von der belangten Behörde zitierten Aufenthaltsverbotsbescheides vom 4. Juni 1985, scheint der Beschwerdeführer bis dahin im Besitz von Sichtvermerken gewesen zu sein, die ihn zum Aufenthalt und Studium in Österreich berechtigten. Träfe es zu, dass sich der Beschwerdeführer von 1963 bis 1985 und wieder seit der Erteilung der Aufenthaltsbewilligung 1995 rechtmäßig in Österreich aufgehalten habe, so stünde bei der im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG vorzunehmenden Gesamtverhaltensbeurteilung eine Dauer erlaubter Aufenthalte des Beschwerdeführers in Österreich von über 25 Jahren einer unerlaubten Aufenthaltsdauer von ca. 10 Jahren gegenüber, weshalb nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei Berücksichtigung der gesamten Zeiten zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Schon auf Grund dieses Feststellungs- und Begründungsmangels erweist sich der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 zweiter Fall StbG darf die Staatsbürgerschaft einem Fremden nur verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet. Hiebei handelt es sich um eine zwingende Verleihungsvoraussetzung; bei der Beurteilung, ob sie vorliegt, ist der Behörde kein Ermessen eingeräumt (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 8. März 1999, Zl. 98/01/0255). Daher geht das Vorbringen des Beschwerdeführers, die belangte Behörde habe das Ermessen gemäß § 11 StbG unrichtig ausgeübt, ins Leere.

Jedoch erweist sich der angefochtene Bescheid auch aus folgenden weiteren Gründen infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften als rechtswidrig:

Bei der Klärung der Frage, ob die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 6 zweiter Fall StbG gegeben ist, ist vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers auszugehen, welches wesentlich durch das sich aus der Art, Schwere und Häufigkeit der von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt ist. Hiebei stellt der Gesetzgeber nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern es ist lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, dass der Betreffende auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährde (vgl. auch dazu das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 8. März 1999). Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung zur Fassung des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG vor der Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998, BGBl. I Nr. 124/1998, auch für Verstöße gegen Vorschriften, die der Sicherheit des Straßenverkehrs dienen (vgl. z.B. das bereits zitierte Erkenntnis vom 8. März 1999 mwN.). Mit der Einfügung der Wortfolge "noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen" durch die genannte Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998 in § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG wurde dieser Inhalt der ständigen Rechtsprechung ausdrücklich im Gesetz festgeschrieben. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, die letzte Verurteilung aus dem Jahr 1992, welche auf fahrlässiger Begehung eines Deliktes im Straßenverkehr beruhe, sei nicht zu berücksichtigen, ist nicht zu folgen, weil auch fahrlässig begangene Delikte im Straßenverkehr in die Beurteilung miteinzubeziehen sind.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes durfte die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten in ihre Beurteilung einbeziehen, obwohl die auf Grund der Delikte verhängten Strafen bereits getilgt sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 1998, Zl. 96/01/0177).

Die belangte Behörde hat aber ihre negative Prognose über das künftige Verhalten des Beschwerdeführers - neben den bereits behandelten Aufenthaltszeiten - nur auf dessen strafgerichtliche Verurteilungen gestützt. Feststellungen über die näheren Tatumstände der den Verurteilungen zugrundeliegenden Taten traf sie nicht. Dies kommt letztlich einer rein formalen Betrachtungsweise gleich. Es bedarf unter dem Blickwinkel des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG jedoch einer materiellen Prüfung der Persönlichkeit des Einbürgerungswerbers (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. März 1998, Zl. 97/01/0433, uva.). Eine solche Prüfung gebietet einen Rückgriff auf die den rechtskräftigen Verurteilungen zugrundeliegenden Taten, weil nur so ein Rückschluss auf das Charakterbild des Staatsbürgerschaftswerbers möglich ist. Im Einzelnen heißt das, dass die Behörde die maßgeblichen Tathandlungen (das können bei einer Verurteilung durchaus mehrere sein), die näheren Umstände und den Zeitpunkt der Tatbegehung zu ermitteln hat (vgl. auch dazu das bereits zitierte Erkenntnis vom 11. März 1998). Diesen Anforderungen wird der angefochtene Bescheid nicht gerecht.

Überdies wurde die letzte gerichtlich strafbare Handlung mit Urteil des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 18. Februar 1992 bestraft. Die belangte Behörde unterließ - wie erwähnt - eine Feststellung über den Tatzeitpunkt. Somit wurde diese Tat jedenfalls mehr als sieben Jahre vor Erlassung des angefochtenen Bescheides begangen. Seit Erteilung der Aufenthaltsbewilligung vom 23. August 1995 sind fast vier Jahre bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides vergangen, in denen die belangte Behörde dem Beschwerdeführer nichts Nachteiliges entgegenhält. Wenngleich das vom Beschwerdeführer vorgebrachte Zusammenleben mit seiner Ehegattin in der konkreten Beurteilung im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG deshalb keine Rolle mehr spielen kann, weil sie notwendige Tatbestandsvoraussetzung für das Bestehen des Rechtsanspruches gemäß § 11a StbG ist, so ist aber das bereits im Verwaltungsverfahren vorgebrachte Zusammenleben des Beschwerdeführers mit den Kindern seiner Gattin und einem Enkelkind und seine vollständige Integration in Österreich - welche nach dem Akteninhalt im Wesentlichen von der Marktgemeinde F, in welcher der Beschwerdeführer seinen Hauptwohnsitz hat, bestätigt wird - einzubeziehen.

Die belangte Behörde hätte demnach bei Erstellung ihrer Prognose all diese Umstände in die Bewertung des Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers einbeziehen müssen.

Da somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 24. November 1999

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