VwGH 98/20/0588

VwGH98/20/058825.1.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Hinterwirth, Dr. Strohmayer und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des WP, Justizanstalt X, vertreten durch Dr. Ronald Klimscha, Rechtsanwalt in 4400 Steyr, Enge 31, gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 30. November 1998, Zl. 433.906/28- V6/1998, betreffend Zurückweisung von Rechtsmitteln in Angelegenheiten des Strafvollzuges, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §62 Abs3;
AVG §63 Abs5;
StVG §116 Abs4;
StVG §120 Abs2;
AVG §62 Abs3;
AVG §63 Abs5;
StVG §116 Abs4;
StVG §120 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Justiz) Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem Straferkenntnis des Leiters der Justizanstalt Y vom 10. Oktober 1997 wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, sich gegenüber einer im Strafvollzug tätigen Person ungebührlich benommen zu haben. Wegen Begehung einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 107 Abs. 1 Z 9 StVG wurde der Beschwerdeführer gemäß § 109 Z 5 und § 114 Abs. 3 Z 2 StVG mit der Ordnungsstrafe des strengen Hausarrestes in der Dauer von drei Tagen verbunden mit dem Entzug der Arbeit bestraft.

Dieses Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer am 10. Oktober 1997 mündlich verkündet und ihm eine Rechtsmittelbelehrung erteilt. Der Beschwerdeführer fügte seiner Unterschrift unter die Niederschrift über die mündliche Bescheidverkündung die Worte "Beschwerde bei Staatsanwaltschaft folgt" an.

Am 19. Oktober 1997 begehrte der Beschwerdeführer die Ausfolgung einer schriftlichen Ausfertigung des Straferkenntnisses; daraufhin wurde ihm am 3. November 1997 das Straferkenntnis zur Übernahme angeboten, er weigerte sich aber, diese "Belege" zu übernehmen. Erst am 11. November 1997 konnte ihm die schriftliche Ausfertigung des Straferkenntnisses übergeben werden.

Die vom Beschwerdeführer in der Folge am 12. November 1997 und 20. November 1997 gegen das obgenannte Straferkenntnis eingebrachten Rechtsmittel wurden von der belangten Behörde mit dem angefochtenen Bescheid als verspätet zurückgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, gemäß § 120 Abs. 2 zweiter Satz StVG könne eine Beschwerde gegen die obige Entscheidung außer bei Gefahr im Verzug frühestens am ersten Tag, spätestens am 14. Tag nach jenem Tag erhoben werden, an welchem die Entscheidung dem Strafgefangenen verkündet worden sei. Da dem Beschwerdeführer der Bescheid mündlich verkündet worden und er eine schriftliche Ausfertigung nicht innerhalb der 3-Tages-Frist des § 62 Abs. 3 AVG begehrt habe, habe die Rechtsmittelfrist bereits am Tag nach der Verkündung des Bescheides zu laufen begonnen, dies insbesondere auch dann, wenn auf Grund eines später gestellten Antrages der Partei an diese die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung des mündlich verkündeten Bescheides erfolgt sei. Selbst eine allfällige Unterlassung der Belehrung gemäß § 62 Abs. 3 letzter Satz AVG bewirke nicht die Unwirksamkeit eines mündlichen Bescheides. Im gegenständlichen Fall habe der Beschwerdeführer sein Ansuchen um Ausfolgung einer schriftlichen Ausfertigung des Bescheides erst nach der dreitägigen Frist des § 62 Abs. 3 AVG gestellt, sodass die 14-tägige Beschwerdefrist bereits am 11. Oktober 1997 zu laufen begonnen habe. Aus diesem Grunde seien die Beschwerden vom 12. und 20. November 2000 als verspätet zurückzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und begehrte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Artikel II des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 1991 (EGVG) lautet auszugsweise:

"(2) Von den Verwaltungsverfahrensgesetzen sind anzuwenden:

...

B. das AVG in vollem Umfang, das VStG mit Ausnahme der §§ 37, 39, 50 und 56 auf das behördliche Verfahren

...

32. der Vollzugsbehörden erster Instanz und der Vollzugsoberbehörden nach dem Strafvollzugsgesetz;

...

(4) Das AVG, das VStG und das VVG sind auf das behördliche Verfahren der Bundesministerien in allen Fällen anzuwenden, in denen sie als erste Instanz einschreiten, sowie in allen jenen Fällen, in denen sie sachlich in Betracht kommende Oberbehörde oder im Instanzenzug übergeordnete Behörde sind und das unmittelbar untergeordnete Verwaltungsorgan nach einem der Verwaltungsverfahrensgesetze vorzugehen hatte."

§§ 22 Abs. 3, 107 Abs. 4, 116 Abs. 1 und 4 und 120 Abs. 2 StVG (in der Fassung vor der insoweit erst am 1. Jänner 2002 in Kraft tretenden Novelle BGBl. I Nr. 138/2000) lauten:

"§ 22. ...

(3) Alle im Strafvollzug außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens ergehenden Anordnungen und Entscheidungen sind, soweit im Folgenden nichts anderes bestimmt wird, ohne förmliches Verfahren und ohne Erlassung eines Bescheides zu treffen; soweit es nötig scheint, ist jedoch der wesentliche Inhalt der Anordnung oder Entscheidung im Personalakt des Strafgefangenen festzuhalten. In den Fällen der §§ 116 und 121 ist hingegen vom Anstaltsleiter oder von dem damit besonders beauftragten Strafvollzugsbediensteten ein Ermittlungsverfahren durchzuführen und ein Bescheid zu erlassen. Alle im Strafvollzug ergehenden Anordnungen und Entscheidungen einschließlich der Bescheide sind den Strafgefangenen mündlich bekanntzugeben. Das Recht, eine schriftliche Ausfertigung der Entscheidung zu verlangen, steht den Strafgefangenen nur in den Fällen der §§ 17, 116 und 121 zu.

§ 107. ...

(4) Für Ordnungswidrigkeiten gelten die allgemeinen Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1991, BGBl. Nr. 52/1991, in der jeweils geltenden Fassung. Der Versuch ist strafbar.

§ 116. (1) Über die Verhängung von Ordnungsstrafen hat unbeschadet der Bestimmungen des § 108 die Vollzugsbehörde erster Instanz zu entscheiden. Richtet sich die Ordnungswidrigkeit aber gegen die Person des Leiters eines gerichtlichen Gefangenenhauses, so steht die Entscheidung der Vollzugsoberbehörde, richtet sie sich gegen die Person des Leiters einer Strafvollzugsanstalt, dem Bundesminister für Justiz zu. Die Zuständigkeit bleibt auch erhalten, wenn der Strafgefangene während eines anhängigen Ordnungsstrafverfahrens in eine andere Anstalt überstellt wird.

...

(4) Ein Straferkenntnis hat, wenn sich die Ordnungswidrigkeit nicht gegen die Person des Anstaltsleiters gerichtet hat, dieser, sonst sein Stellvertreter dem Strafgefangenen zu verkünden. Zugleich ist der Strafgefangene über die Möglichkeit einer Beschwerde (§ 120) zu belehren. Auf sein Verlangen ist ihm eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zuzustellen. Der wesentliche Inhalt des Erkenntnisses ist in den Personalakten des Strafgefangenen ersichtlich zu machen.

§ 120. ...

(2) Eine Beschwerde kann außer bei Gefahr im Verzug frühestens am ersten Tag, spätestens aber am vierzehnten Tag nach jenem Tag erhoben werden, an welchem dem Strafgefangenen der Beschwerdegrund bekanntgeworden ist. Richtet sich die Beschwerde gegen eine Entscheidung, so kann sie außer bei Gefahr im Verzug frühestens am ersten Tag, spätestens aber am vierzehnten Tag nach jenem Tag erhoben werden, an welchem die Entscheidung dem Strafgefangenen verkündet oder zugestellt worden ist. Beschwerden sind schriftlich oder zu der vom Anstaltsleiter festzusetzenden Tageszeit mündlich bei dem hiefür zuständigen Strafvollzugsbediensteten anzubringen."

§ 62 AVG lautet auszugsweise:

"§ 62. (1) Wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, können Bescheide sowohl schriftlich als auch mündlich erlassen werden.

(2) Der Inhalt und die Verkündung eines mündlichen Bescheides ist, wenn die Verkündung bei einer mündlichen Verhandlung erfolgt, am Schluss der Verhandlungsschrift, in anderen Fällen in einer besonderen Niederschrift zu beurkunden.

(3) Eine schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Bescheides ist den bei der Verkündung nicht anwesenden und jenen Parteien zuzustellen, die spätestens drei Tage nach der Verkündung eine Ausfertigung verlangen; über dieses Recht ist die Partei bei Verkündung des mündlichen Bescheides zu belehren.

(4)..."

Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, die "Niederschrift über den Gang der mündlichen Verhandlung" habe gemäß § 44 Abs. 1 VStG einen näher bezeichneten "Mindestinhalt" aufzuweisen und von der Aufnahme einer solchen Niederschrift könne nur unter den Voraussetzungen des § 44 Abs. 3 VStG abgesehen werden. Eine "Einsicht in das Verhandlungsprotokoll vom 08.10.1997" zeige, dass von einer geständigen Verantwortung des Beschwerdeführers (gemeint: im Sinne des § 44 Abs. 3 Z 2 VStG) keine Rede sein könne. Die "Niederschrift der Verhandlung vom 08.10.1997" hätte daher die in § 44 Abs. 1 VStG aufgezählten "Mindestformerfordernisse" enthalten müssen. Sie weise aber weder eine Rechtfertigung oder ein Geständnis des Beschuldigten, noch eine Begründung oder eine Rechtsmittelbelehrung, noch das Datum des Bescheides und der Verkündung auf.

Damit bezieht sich der Beschwerdeführer auf die beiden am 8. Oktober 1997 aufgenommenen Niederschriften über seine Beschuldigtenvernehmung und die Einvernahme eines Zeugen. Diese Ausführungen stehen in keinem Sachzusammenhang mit der beschwerdegegenständlichen Frage der Rechtzeitigkeit des gegen das Straferkenntnis vom 10. Oktober 1997 erhobenen Rechtsmittels.

In Bezug auf die Verkündung dieses Bescheides wird in der Beschwerde ausgeführt, ihre Wirksamkeit hänge gemäß § 62 Abs. 2 AVG von der Beurkundung in einer Niederschrift ab. Dass eine solche Beurkundung in der darüber aufgenommenen Niederschrift vom 10. Oktober 1997 unterblieben sei, wird in der Beschwerde aber nicht behauptet und trifft nach der Aktenlage auch nicht zu. Dem Standpunkt des Beschwerdeführers, mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 AVG liege kein mündlich verkündeter Bescheid vor, ist schon deshalb nicht zu folgen.

Ausführungen dazu, weshalb das am 12. November 1997 eingebrachte Rechtsmittel des Beschwerdeführers auch im Falle einer (nicht aus dem behaupteten Grund unwirksamen) Verkündung des Straferkenntnisses am 10. Oktober 1997 rechtzeitig gewesen sei, enthält die Beschwerde nicht. Im Besonderen wird der Ansicht der belangten Behörde, die Verspätung des Rechtsmittels ergebe sich - bei Verkündung des Straferkenntnisses am 10. Oktober 1997 - aus der Versäumung der dreitägigen Frist des § 62 Abs. 3 AVG mit dem erst am 19. Oktober 1997 gestellten Antrag auf Ausfolgung einer schriftlichen Ausfertigung, nicht entgegen getreten.

Geht man mit der belangten Behörde davon aus, dass die Vorschriften des StVG über das Recht des Strafgefangenen, eine schriftliche Ausfertigung des Straferkenntnisses zu verlangen (§ 116 Abs. 4 dritter Satz StVG), und über den Ablauf der Rechtsmittelfrist am vierzehnten Tag nach der Verkündung "oder" Zustellung der Entscheidung (§ 120 Abs. 2 zweiter Satz StVG) einer Heranziehung der die Befristung und Rechtsfolgen des Verlangens einer schriftlichen Ausfertigung näher regelnden Vorschriften der §§ 62 Abs. 3 und 63 Abs. 5 zweiter Satz AVG nicht als Spezialvorschriften entgegenstehen sollen, so ist der Ansicht der belangten Behörde, die Voraussetzungen für eine Unterbrechung der Rechtsmittelfrist durch den Antrag auf Ausfolgung einer schriftlichen Ausfertigung des Straferkenntnisses seien im Fall des Beschwerdeführers nicht erfüllt gewesen, auch beizupflichten (vgl. dazu etwa Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 119 zu § 62 AVG, E 265 zu § 63 AVG sowie - im Zusammenhang mit der gleichartigen Regelung des § 26 Abs. 1 Z 1 VwGG - E 123 zu § 62 AVG; zur Systematik der Vorschriften des Beschwerdeverfahrens nach dem StVG zuletzt die Erläuterungen der Regierungsvorlage zur Novelle BGBl. I Nr. 138/2000, 297 BlgNR 21. GP 11).

Wollte man im Gegensatz dazu annehmen, die erwähnten Vorschriften des StVG stünden einem Rückgriff auf die diesbezüglichen Bestimmungen des in Verfahren nach dem StVG grundsätzlich anzuwendenden AVG unter dem Gesichtspunkt der Spezialität entgegen, so entfiele damit zwar die Befristung des Rechts, eine schriftliche Ausfertigung des Straferkenntnisses zu verlangen, zugleich aber auch die in § 63 Abs. 5 zweiter Satz AVG enthaltene Rechtsgrundlage dafür, den Beginn der Rechtsmittelfrist im Falle des zunächst mündlich verkündeten und in der Folge schriftlich ausgefertigten Bescheides nicht schon mit der Verkündung beginnen zu lassen (vgl. zum Zusammenhang dieser Regelungen die bei Walter/Thienel, a.a.O., Anm. 4 zu § 62 AVG, wiedergegebenen Gesetzesmaterialien). Das Rechtsmittel des Beschwerdeführers wäre in diesem Fall erst recht verspätet gewesen. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die zweite der erwähnten Auslegungsmöglichkeiten dem Gesetzgeber - angesichts des Zwecks der schriftlichen Ausfertigung, der für die Anwendung der Bestimmungen des AVG spräche, einerseits und des Unterbleibens einer diesbezüglichen Klarstellung in der für die Zukunft auf eine Regelung dieser Fragen abzielenden Novelle BGBl. I Nr. 138/2000 andererseits - zusinnbar ist, erübrigt sich daher.

Die in der Beschwerde noch geltend gemachten Normbedenken gegen § 116 Abs. 4 StVG haben mit der Frage der Rechtzeitigkeit des vom Beschwerdeführer erhobenen Rechtsmittels nichts zu tun und werden vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 25. Jänner 2001

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