VwGH 98/19/0234

VwGH98/19/023421.12.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hanslik, über die Beschwerde der am 6. November 1985 geborenen YÜ in Wien, vertreten durch Mag. P, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. April 1998, Zl. 104.518/11-III/11/98, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art140 Abs1;
FrG 1997 §14 Abs2;
FrG 1997 §20 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
VwRallg;
B-VG Art140 Abs1;
FrG 1997 §14 Abs2;
FrG 1997 §20 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 21. April 1998 wurde der nunmehr als solcher auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung gewertete Antrag der Beschwerdeführerin vom 10. November 1993 auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 14 Abs. 2 des Fremdengesetzes 1997 (FrG 1997) abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, gemäß § 14 Abs. 2 FrG 1997 seien Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vor der Einreise vom Ausland aus zu stellen. Der Antrag könne im Inland gestellt werden, wenn der Antragsteller bereits niedergelassen sei, und entweder bisher für die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes keinen Aufenthaltstitel benötigt oder bereits über einen Aufenthaltstitel verfügt habe. Aufgrund der Aktenlage stehe fest, dass für die Beschwerdeführerin weder eine Aufenthaltsbewilligung noch ein Sichtvermerk ausgestellt worden sei. Der Antrag der Beschwerdeführerin vom 10. November 1993 sei als Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zu werten. Die Beschwerdeführerin hätte diesen Antrag vor ihrer Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen gehabt. Wie die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren auch nicht bestritten habe, sei sie schon vor der hier gegenständlichen Antragstellung ohne gültigen Sichtvermerk nach Österreich eingereist und habe sich hier niedergelassen. Damit sei dem § 14 Abs. 2 FrG 1997 nicht Genüge getan. Der Antrag sei daher abzuweisen gewesen.

Durch die Anwesenheit ihres Onkels und Vormundes im Bundesgebiet bestünden familiäre Beziehungen in Österreich. Bei Abwägung der öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen der Beschwerdeführerin sei jedoch den öffentlichen Interessen Priorität einzuräumen. § 14 Abs. 2 FrG 1997 entspreche im Übrigen dem § 6 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufG). Wie schon bei Schaffung der letztgenannten Bestimmung habe der Gesetzgeber auch in § 14 Abs. 2 FrG 1997 auf die persönlichen Verhältnisse der Antragsteller im Sinne des Art. 8 MRK bereits Rücksicht genommen. Ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin sei daher entbehrlich.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 14 Abs. 2 und § 20 FrG 1997 lauten (auszugsweise):

"§ 14. ...

(2) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sind vor der Einreise vom Ausland aus zu stellen. Der Antrag kann im Inland gestellt werden, wenn der Antragsteller bereits niedergelassen ist und entweder bisher für die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes keinen Aufenthaltstitel benötigte oder bereits über einen Aufenthaltstitel verfügt hat; ....

§ 20. (1) Ehegatten und minderjährigen unverheirateten Kindern solcher Fremder, die rechtmäßig in Österreich auf Dauer niedergelassen sind, ist auf deren Antrag eine Erstniederlassungsbewilligung zu erteilen, sofern sie ein gültiges Reisedokument besitzen und kein Versagungsgrund wirksam wird (§§ 10 bis 12).

..."

In den Erläuterungen zur letztgenannten Bestimmung (RV: 685 Blg. NR 20. GP) heißt es (auszugsweise):

"Fremde, die nach Österreich kommen, um sich auf Dauer hier niederzulassen und in die Gemeinschaft zu integrieren, sollen den Anspruch auf Familiennachzug (Abs. 1) haben, also das Recht, hier mit ihrer Familie zu leben. Diesen Familienangehörigen (Ehepartner und minderjährige unverheiratete Kinder) ist - wenn die sonstigen Voraussetzungen zur Erteilung eines Aufenthaltstitels (z.B.: Reisedokument, kein Versagungsgrund) vorliegen - ein Aufenthaltstitel zu erteilen. ............. Kinder, die als Familiennachzug nach Österreich gekommen sind, erhalten, so lange sie minderjährig sind, kein eigenes unabhängiges Aufenthaltsrecht; sie folgen letztlich jenem Ehepartner, dem sie familienrechtlich zur Pflege und Erziehung überantwortet sind."

Die Beschwerdeführerin tritt den Tatsachenfeststellungen des angefochtenen Bescheides in ihrer Beschwerde nicht entgegen.

Demnach verfügte sie noch nie über eine Bewilligung zum Aufenthalt im Bundesgebiet. Der belangten Behörde kann daher nicht entgegen getreten werden, wenn sie das Verfahren über den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung vom 10. November 1993 in Anwendung des § 112 FrG 1997 als Verfahren zur Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung fortführte.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im hg. Erkenntnis vom 23. März 1999, Zl. 98/19/0269, mit näherer Begründung, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausführte, ist § 14 Abs. 2 erster Satz FrG 1997 als Anordnung an die entscheidende Behörde aufzufassen, die beantragte Rechtsgestaltung durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nur dann vorzunehmen, wenn der Antrag vor der Einreise des Antragstellers in das Bundesgebiet vom Ausland aus gestellt wurde, wobei die Erledigung grundsätzlich vom Ausland aus abzuwarten ist. Für die Beurteilung des Vorliegens der in Rede stehenden Erfolgsvoraussetzung ist ungeachtet des Zeitpunktes der Antragstellung die Rechtslage im Zeitpunkt der Bescheiderlassung maßgeblich. § 14 Abs. 2 erster Satz FrG 1997 ist auch auf Anträge, die vor Inkrafttreten des FrG 1997 gestellt wurden, anzuwenden.

Auf Basis der oben wiedergegebenen unbestrittenen Bescheidfeststellungen ist aber der Erfolgsvoraussetzung des § 14 Abs. 2 erster Satz FrG 1997 nicht Genüge getan.

Die Beschwerdeführerin vertritt nun die Auffassung, ihr stehe gemäß § 20 Abs. 1 FrG 1997 ein Rechtsanspruch auf Familiennachzug zu ihrem Onkel und Vormund zu. In den Erläuterungen zu § 20 FrG 1997 werde dargelegt, dass minderjährige Antragsteller kein unabhängiges Aufenthaltsrecht erhielten. Zur Erlangung des aus § 20 FrG 1997 resultierenden abhängigen Aufenthaltsrechtes sei auch eine Antragstellung im Inland zulässig.

Die Beschwerdeführerin geht dabei zunächst implizit davon aus, dass ihr Onkel als Vormund einem leiblichen Elternteil im Sinne des § 20 Abs. 1 FrG 1997 gleichzustellen wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall (vgl. hiezu das zu § 3 Abs. 1 Z 1 AufG ergangene hg. Erkenntnis vom 5. Juni 1998, Zl. 96/19/2254).

Überdies ist die im § 20 Abs. 1 FrG 1997 umschriebene Bewilligung "auf Antrag" zu erteilen. Diese auch im § 20 Abs. 1 FrG 1997 vorausgesetzte Antragstellung hat den Erfordernissen des § 14 Abs. 2 FrG 1997 aber zu entsprechen (vgl. in diesem Zusammenhang auch die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 3 und § 6 Abs. 2 AufG, wonach der im § 3 AufG umschriebene Rechtsanspruch die Einhaltung der Erfolgsvoraussetzung des § 6 Abs. 2 AufG voraussetzt, etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1996, Zlen. 95/19/0701, 1010).

Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus den wiedergegebenen Erläuterungen zu § 20 FrG 1997, halten diese Erläuterungen doch ausdrücklich fest, dass der dort umschriebene Rechtsanspruch nur bei Einhaltung der sonstigen Voraussetzungen zur Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht. Zu diesen sonstigen Voraussetzungen zählt aber auch die Einhaltung der Erfolgsvoraussetzung des § 14 Abs. 2 erster Satz FrG 1997.

Die Ausführungen in diesen Erläuterungen, wonach Kinder, die als Familiennachzug nach Österreich gekommen sind, kein eigenes unabhängiges Aufenthaltsrecht erhalten, sondern rechtlich dem Ehepartner, dem sie familienrechtlich zur Pflege und Erziehung überantwortet sind, folgen, beziehen sich eindeutig auf den Zeitpunkt nach Bewilligungserteilung. Ihnen ist keinesfalls - wie es der Beschwerdeführerin vorzuschweben scheint - zu entnehmen, dass das Aufenthaltsrecht der Eltern, in ihrem Fall auch des Vormundes, etwa auf die Kinder bzw. Mündel durch Erteilung einer Bewilligung zu erstrecken wäre, auch ohne dass die Erfolgsvoraussetzung des § 14 Abs. 2 erster Satz FrG 1997 erfüllt sein müsste.

Wenn die Beschwerdeführerin schließlich die Auffassung vertritt, auf sie sei die Ausnahmebestimmung des § 14 Abs. 2 zweiter Satz FrG 1997 anzuwenden, weil sie bisher für die Rechtmäßigkeit ihres Aufenthaltes keinen Aufenthaltstitel benötigt habe, so bleibt es unerfindlich, wie die Beschwerdeführerin zu dieser Auffassung gelangte:

Weder nach der Rechtslage während der Geltungsdauer des Aufenthaltsgesetzes noch nach jener nach dem Fremdengesetz 1997 erstreckte sich das Aufenthaltsrecht von Familienangehörigen ohne entsprechenden rechtsgestaltenden Akt der Aufenthalts-, bzw. Niederlassungsbehörden auf (unrechtmäßig) nachziehende minderjährige Familienangehörige. Der bisherige Aufenthalt der Beschwerdeführerin war nach dem Vorgesagten (in Ermangelung von Hinweisen auf eine sonstige Berechtigung zum Aufenthalt) unrechtmäßig, die Ausnahmebestimmung des § 14 Abs. 2 zweiter Satz FrG 1997 war auf sie nicht anwendbar.

Wenn sich die Beschwerdeführerin schließlich auf behauptetermaßen durch Art. 8 MRK geschützte Interessen durch ihren Voraufenthalt, ihren Schulbesuch und die Anwesenheit ihres Onkels in Österreich beruft, ist ihr Nachstehendes zu entgegnen:

Der Gesetzgeber hat mit der Bestimmung des § 14 Abs. 2 zweiter Satz FrG 1997 auf die privaten und familiären Interessen derjenigen Fremden bereits Rücksicht genommen, die sich in Österreich rechtmäßig niedergelassen hatten. Andererseits ging der Gesetzgeber offenbar bewusst davon aus, dass jene Fremde, die noch nie im Bundesgebiet rechtmäßig niedergelassen waren, gemäß § 14 Abs. 2 erster Satz FrG 1997 einen Antrag vor der Einreise in das Bundesgebiet vom Ausland aus zu stellen haben. Aus Anlass des Beschwerdefalles sind auch keine Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes dahin entstanden, dass die Umschreibung der Ausnahmebestimmung des § 14 Abs. 2 zweiter Satz FrG 1997 zu eng wäre und damit gegen Art. 8 MRK verstieße. Der Eingriff in ein gedachtes durch Art. 8 MRK geschütztes Recht der Beschwerdeführerin auf Neuzuwanderung zur Wahrung ihrer persönlichen Interessen im Bundesgebiet wäre gemäß Art. 8 Abs. 2 MRK im Interesse der öffentlichen Ordnung und des damit verbundenen Rechtes des Staates auf Regelung der Neuzuwanderung gerechtfertigt. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführerin ein solches Recht überhaupt zusteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 1999, Zl. 98/19/0283).

Insoweit die Beschwerdeführerin schließlich unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften Verstöße der belangten Behörde gegen § 37 und § 45 Abs. 3 AVG rügt, vermag sie damit keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen, weil sie nicht darlegt, zu welchen konkreten anderen Sachverhaltsfeststellungen die belangte Behörde bei Vermeidung der behaupteten Verfahrensmängel gelangt wäre.

Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden, weil die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorliegenden Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen ließen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Art. 6 Abs. 1 MRK steht dem nicht entgegen.

Wien, am 21. Dezember 1999

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