VwGH 98/18/0269

VwGH98/18/026921.5.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. iur. Mag. (FH) Schärf, über die Beschwerde des AK, geboren am 1. Juni 1966, vertreten durch Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory & Schellhorn OEG in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 26. Juni 1998, Zl. Fr-167/98, betreffend Feststellung gemäß § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §75 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §75 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg (der belangten Behörde) vom 26. Juni 1998 wurde die Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen und - in Bestätigung des Bescheides der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 28. Mai 1998 - festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in der Türkei gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, bedroht sei.

Nach Wiedergabe des Vorbringens in der Berufung sowie der Bestimmungen des § 75 Abs. 1 und des § 57 Abs. 1 und 2 FrG führte die belangte Behörde zur Begründung ihrer Entscheidung aus, dass einem Feststellungsantrag gemäß § 75 Abs. 1 FrG nur dann stattgegeben werden könne, wenn der Fremde glaubhaft mache, dass er aktuell in dem von ihm bezeichneten Staat im Sinn des § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG gefährdet bzw. bedroht sei. Dabei obliege es dem Fremden, von sich aus alle wesentlichen Tatsachen für die Beurteilung der allfälligen Unzulässigkeit der Abschiebung nach § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG vorzubringen und diese zumindest glaubhaft zu machen. Die Schutzwirkung des Art. 3 EMRK sei in den Fällen der Abschiebung zunächst einmal an erhöhte Anforderungen an Glaubhaftmachung und Mitwirkung des Betroffenen gebunden. Die Schilderung der allgemeinen Situation im zu erwartenden Zielstaat reiche nicht aus, sondern müsse eine aktuelle und individuelle Gefahr unter Bezugnahme auf die Situation des Beschwerdeführers in diesem Land konkret glaubhaft gemacht werden. Es müssten demnach Beweise dafür vorliegen, die ein konkretes und ernstliches Risiko der Verfolgung und unmenschlicher Behandlung im Zielstaat belegen würde. Vage oder generelle Hinweise auf mögliche Verfolgungshandlungen oder eine bloß allgemeine Situation seien daher nicht ausreichend.

Die Behörde erster Instanz habe zu Recht die Ergebnisse des Asylverfahrens im gegenständlichen Verfahren berücksichtigt. Die Ausführungen des Beschwerdeführers, dass er nicht dazu befragt worden wäre, aus welchen Gründen es zu verschiedenen Darstellungen gekommen wäre, könnten daran nichts ändern. Wie bereits dargelegt, bestünden in einem Verfahren auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung erhöhte Mitwirkungspflichten des Betoffenen. Es sei am Beschwerdeführer gelegen, initiativ darzulegen, warum er derart unterschiedliche Angaben gemacht habe bzw. warum gerade die verschiedenen Angaben geeignet sein sollten, seine Glaubwürdigkeit zu belegen, da es nicht einsichtig sei, warum gerade unterschiedliche Angaben den hohen Anforderungen an Glaubhaftmachung gerecht würden. Die Behörde erster Instanz habe dargelegt, dass die Ausführungen des Beschwerdeführers zum Teil völlig widersprüchlich wären und er völlig unterschiedliche Angaben über sein seinerzeitiges Schicksal in der Türkei gemacht hätte. Die belangte Behörde vertrete ebenfalls die Ansicht, dass es sich bei den unterschiedlichen Versionen des Beschwerdeführers um Schutzbehauptungen handle, die nicht geeignet seien, den hohen Anforderungen an Glaubhaftmachung und Mitwirkung zur Schutzerlangung gemäß § 75 Abs. 1 FrG gerecht zu werden. Es stelle lediglich eine Vermutung dar, wenn der Beschwerdeführer ausführe, dass er im Fall einer Abschiebung in die Türkei damit rechnen müsste, in Polizeihaft genommen und unter dem Vorwurf des Terrorismus angeklagt zu werden. Selbst wenn diese Vermutung zutreffe, sei sie nicht geeignet, die Annahme zu rechtfertigen, dass der Beschwerdeführer einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten, individuell gegen ihn gerichteten Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG ausgesetzt sei.

Zusammengefasst könne festgestellt werden, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine im Sinn des § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG relevante Bedrohungssituation glaubhaft zu machen. Auch die sonstigen Berufungsausführungen seien nicht geeignet, eine für ihn günstigere Entscheidung herbeizuführen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde aus den Gründen der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Begehren, ihn aufzuheben.

3. Die belangte Behörde beantragte in ihrer Gegenschrift, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, und legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 75 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 57 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 75 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße der im § 57 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 30. November 1999, Zl. 99/18/0023 mwH.)

2. Im Rahmen des umfangreichen Beschwerdevorbringens wendet sich der Beschwerdeführer (u.a.) gegen die Ansicht der belangten Behörde, aus seinen "Handlungen" - hiemit meint er offenbar seine Teilnahme an Demonstrationen - gegen die türkische Vertretungsbehörde in Österreich am 20. Juli 1991 und am 14. Juli (richtig: 7. Juni) 1995 (vgl. diesbezüglich die als OZ. 103 des Verwaltungsaktes einliegende Kopie des Protokolls- und Urteilsvermerkes des Landesgerichtes Salzburg vom 14. Juli 1995, Zl. 35 EVr 1729/95, EHv 141/95) resultiere keine Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und 2 FrG.

Die belangte Behörde sei der Auffassung, dass der Beschwerdeführer auch dann nicht im Sinn des § 57 Abs. 1 und 2 FrG bedroht wäre, wenn die türkischen Sicherheitsbehörden von seiner Teilnahme an Demonstrationen gegen die türkische Vertretungsbehörde in Österreich Bescheid wüssten. Für den Beschwerdeführer sei nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die belangte Behörde zu dieser Auffassung gelangt sei, obwohl er der belangten Behörde Beweismittel über seine Verfolgungssituation in der Türkei angeboten und in seiner Berufung jene Tatbestände zitiert habe, auf Grund deren die türkischen Sicherheitsbehörden gegen den Beschwerdeführer Strafverfahren einleiten könnten. Die belangte Behörde hätte ihre Auffassung, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Abschiebung in die Türkei nicht im Sinn des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei, begründen müssen.

Die Teilnahme des Beschwerdeführers an Demonstrationen gegen die türkische Vertretungsbehörde in Österreich am 20. Juli 1991 und am 7. Juni 1995 sei aktenkundig und stünde außer Zweifel. Die belangte Behörde gründe ihre Auffassung, dass der Beschwerdeführer unglaubwürdig sei, auf andere Überlegungen. Sie habe Ermittlungen darüber, ob er allein auf Grund der Teilnahme an den genannten Demonstrationen im Fall seiner Abschiebung im Sinn des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei, unterlassen. Es sei nicht nachvollziehbar, inwiefern die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers hinsichtlich der beiden Vorfälle vom 20. Juli 1991 und vom 7. Juni 1995 eingeschränkt sei. Der Beschwerdeführer sei im Fall seiner Abschiebung im Sinn des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht, weil er an den beiden obgenannten Vorfällen beteiligt gewesen sei.

3. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Die Erstbehörde führte in ihrem Bescheid vom 28. Mai 1998 - betreffend die Teilnahme des Beschwerdeführers an der Demonstration vom 20. Juli 1991 - aus, dass die Teilnahme an einer gewaltsamen Demonstration auch in Österreich strafbar sei und "daher nicht unter die Bestimmung des § 57 FrG subsumiert werden (kann)". Dass der Beschwerdeführer "darüber hinaus auch in der Türkei" einer Gefährdung iSd § 57 FrG ausgesetzt sei, sei eine durch nichts erwiesene Behauptung.

In seiner Berufung rügte der Beschwerdeführer die diesbezügliche Begründung des Erstbescheides und die Unterlassung der Erstbehörde, auch auf das gleichgerichtete Verhalten des Beschwerdeführers vom 7. Juni 1995 Bedacht zu nehmen; der Beschwerdeführer begründete in der Berufungsschrift die seiner Ansicht nach gegebene Gefährdung iSd § 57 Abs. 1 und Abs. 2 FrG durch seine Teilnahme an den beiden Demonstrationen an Hand von türkischen Straftatbeständen.

Auf dieses Vorbringen ging die belangte Behörde nur insofern ein, als sie ausführte, dass die Behauptungen des Beschwerdeführers, im Fall einer Abschiebung in die Türkei damit rechnen zu müssen, in Polizeihaft genommen und unter dem Vorwurf des Terrorismus angeklagt zu werden, lediglich eine Vermutung seien; selbst wenn diese Vermutung zutreffe, sei "dies" nicht geeignet, die Annahme einer aktuellen Bedrohung iSd § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG zu rechtfertigen.

4. Entgegen der erkennbaren Ansicht der belangten Behörde kann der Behauptung einer aus der Teilnahme an Demonstrationen in Österreich gegen die Vertretungsbehörde der Türkei (in Salzburg) resultierenden Gefährdung iSd § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG eine rechtliche Relevanz nicht abgesprochen werden. § 57 Abs. 1 und Abs. 2 FrG schließt eine Berücksichtigung von Sachverhalten, die erst in Österreich verwirklicht werden, nicht aus (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 1. Juli 1999, Zl. 97/21/0463, vom 7. April 2000, Zl. 96/21/0859 sowie vom 14. November 2000, Zl. 98/18/0057). Die belangte Behörde setzte sich - offenbar ausgehend von der rechtlichen Irrelevanz der Behauptung einer Gefährdung im Sinn des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG auf Grund seiner Teilnahme an den beiden Demonstrationen gegen die türkische Vertretungsbehörde in Österreich - im Verfahren nicht weiter mit der Frage auseinander, ob und in welcher Weise die Türkei die Teilnahme des Beschwerdeführers an den besagten Demonstrationen tatsächlich ahnden würde und ob dadurch eine Gefahr iSd § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG gegeben sei.

Unter Zugrundelegung der rechtlichen Relevanz der Behauptung über eine aus der Teilnahme des Beschwerdeführers an den Demonstrationen in den Jahren 1991 und 1995 resultierenden Gefahr iSd § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG hätte sich die belangte Behörde nicht auf eine - vorgreifende - Würdigung derselben als bloße Vermutung beschränken dürfen, sondern sich vorerst - über das erstinstanzliche Verfahren hinausgehend - im Rahmen eines Beweisverfahrens Tatsachengrundlagen verschaffen müssen, um die Stichhaltigkeit der Behauptungen beurteilen zu können.

5. Dadurch, dass sie - resultierend aus einer unrichtigen Rechtsansicht - eigene Tatsachenfeststellungen betreffend die behauptete Gefährdung des Beschwerdeführers in der Türkei auf Grund seiner Teilnahme an gegen seinen Heimatstaat gerichteten Demonstrationen in Österreich unterließ, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Demzufolge war dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 18. Mai 2001

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