VwGH 98/18/0057

VwGH98/18/005714.11.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des C, (geb. 25.4.1974), vertreten durch Dr. Wolfgang Berger, Dr. Christine Kolbitsch, Dr. Heinrich Vana und Dr. Gabriele Vana-Kowarzik, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in 1020 Wien, Taborstraße 10/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 15. Oktober 1997, Zl. SD 769/97, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 15. Oktober 1997 wurde auf Grund des Antrags des Beschwerdeführers vom 30. September 1996 gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass er in der Türkei gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.

Der Beschwerdeführer, der am 10. Dezember 1995 über Ungarn mit einem Kleinbus illegal in das Bundesgebiet eingereist sei, habe am 13. Dezember 1995 einen Asylantrag gestellt, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13. März 1996 abgewiesen worden sei. Ein diesbezüglich gestellter Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 13. März 1996 abgewiesen worden, der dagegen erhobenen Berufung habe der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 14. Mai 1996 keine Folge gegeben.

Den Feststellungsantrag vom 30. September 1996 habe der Beschwerdeführer damit begründet, dass er bei einer Rückkehr in sein Heimatland durch Verfolgung, Verhaftung und Folter bedroht wäre. Er wäre im Dezember 1995 als Asylwerber nach Österreich gekommen, weil er in der Türkei als Kurde gefährdet wäre. Sein (näher genanntes) Heimatdorf befände sich im Kurdengebiet, in dem es zwischen der separatistischen kurdischen Arbeiterpartei (PKK) und dem türkischen Militär kämpferische Auseinandersetzungen gäbe. Er wäre von türkischen Soldaten angehalten, festgenommen und zusammengeschlagen worden, um Informationen über den Aufenthalt seiner Freunde, die als PKK-Mitglieder verdächtigt würden, zu erhalten. Seine Verletzungen wären bei seinem Asylantrag begutachtet und als echt befunden worden. Die Situation in seinem Heimatdorf wäre für junge Kurden unerträglich und die meisten Kurden wären geflüchtet, um sich den ständigen Festnahmen und Übergriffen durch das türkische Militär zu entziehen. In der Nacht würde auf jeden, der sich auf der Straße befände, geschossen, weil er sich dadurch als PKK-Mitglied verdächtig machte. Die kurdische Bevölkerungsgruppe wäre in der Türkei daher ständig einer ethnischen Verfolgung durch die türkische Armee und Polizeieinheiten in jeder sozialen, wirtschaftlichen und politischen Form unter den denkbar gröbsten Verletzungen sämtlicher Menschenrechte ausgesetzt.

Auf Grund der Ermittlungen im Asylverfahren hätten folgende Feststellungen getroffen werden können: Der Beschwerdeführer sei Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und habe bis zu seiner Ausreise in einem Dorf im Osten der Türkei gelebt. Seine Eltern und ein jüngerer Bruder lebten noch immer in diesem Dorf. Im Frühjahr 1994 sei der Beschwerdeführer einmal zusammen mit anderen Jugendlichen von Soldaten wegen des Verdachtes der Unterstützung der PKK für einige Stunden festgenommen worden. Nicht festgestellt habe dabei werden können, dass der Beschwerdeführer bei diesem Vorfall von einem Soldaten durch einen Schlag mit einem Gewehrkolben verletzt worden wäre. Vom 27. Mai 1994 bis 20. September 1995 habe der Beschwerdeführer seinen Militärdienst geleistet; danach habe er sich, so wie viele andere Jugendliche aus seinem Dorf, entschlossen, die Türkei zu verlassen. Außer dem Vorfall im Frühjahr 1994 habe der Beschwerdeführer keine gegen ihn persönlich gerichtete Verfolgungshandlung seitens des türkischen Staates geltend machen können. Die Asylbehörde sei in der weiteren Folge mit Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass eine konkrete Verfolgungsgefahr (aus asylrechtlich relevanten Gründen) nicht gegeben sei. Die Sicherheitsbehörden seien berechtigt, die Ermittlungsergebnisse des Asylverfahrens zu berücksichtigen. Eine Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG habe unter Bedachtnahme auf die dortigen Feststellungen auch im vorliegenden Verfahren nicht festgestellt werden können. Eine Bedrohung im Sinn des § 37 FrG liege nur vor, wenn sie dem Betreffenden konkret und aktuell drohe. In diesem Sinn hätten keine stichhaltigen Gründe dafür gefunden werden können, dass der Beschwerdeführer konkret und aktuell Gefahr laufe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG unterworfen zu werden. Dies vor allem deshalb, weil der Beschwerdeführer nach seiner Verhaftung im Frühjahr 1994 in seiner Heimat den Militärdienst geleistet habe und außer diesem Vorfall vom Frühjahr 1994 keine weiteren gegen ihn persönlich gerichteten Verfolgungshandlungen seitens des türkischen Staates hätten geltend gemacht werden können. Wenn nun der Beschwerdeführer in seiner Berufungsergänzung vom 3. Juni 1997 angebe, dass es amtsbekannt wäre, dass er Aktivist der demokratischen türkischen Organisation ATIG bzw. ATIGIF wäre, und er als solcher bereits Opfer diverser Bedrohungen, die ganz sicher in einem Zusammenhang mit den offiziellen türkischen Behörden zu sehen wären, geworden wäre, bzw. er Drohanrufe aus der Türkei erhalten hätte, bei denen ihm mit dem Umbringen gedroht worden wäre, falls er seine politischen Aktivitäten nicht aufgäbe, werde dazu festgestellt: Weder in seinem Asylantrag noch in seinem Antrag gemäß § 54 FrG habe der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, ein Aktivist dieser demokratischen türkischen Organisation zu sein. Er habe lediglich vorgebracht, von den türkischen Behörden verdächtigt zu werden, ein Mitglied der separatistischen kurdischen Arbeiterpartei zu sein. Daher könne die belangte Behörde nicht umhin, den nunmehrigen Angaben keinen Glauben zu schenken.

Dem Beschwerdeführer sei es jedenfalls nicht gelungen, stichhaltige Gründe für die Bedrohung seiner Freiheit aus asylrechtlich relevanten Gründen bzw. dafür darzulegen, dass er konkret und aktuell Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, der Sache nach Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn deshalb aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch im Verfahren nach § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Fremden in diesen Staat zu beurteilen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 26. März 1999, Zl. 97/18/0643, mwH).

2. In seiner Berufung gegen den Erstbescheid vom 1. April 1997 bringt der Beschwerdeführer ua vor, dass er bei einer Rückkehr in die Türkei "von sofortiger Verhaftung, Mißhandlung und dem 'Verschwindenlassen'" bedroht sei (vgl. Blatt 57, 58 der vorgelegten Verwaltungsakten). Weiters ist dem von der Behörde als Berufungsergänzung eingestuften Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 3. Juni 1997 klar entnehmbar, dass sich der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen, als Aktivist einer (namentlich genannten) türkischen Organisation tätig und deswegen auch bereits bedroht worden zu sein (vgl. die Wiedergabe der hier maßgeblichen Stelle oben unter I.1.), auf seine "in Österreich gesetzten politischen Aktivitäten" bezieht (vgl. Blatt 75 der vorgelegten Verwaltungsakten). Die Beweiswürdigung der belangten Behörde, dieses Vorbringen sei deswegen nicht glaubwürdig, weil es weder im Asylantrag des Beschwerdeführers noch in seinem Antrag nach § 54 FrG enthalten gewesen sei, erweist sich als nicht schlüssig, weil der Beschwerdeführer die besagten Anträge (unstrittig) unmittelbar bzw. nicht lange nach seiner Einreise (nämlich seinen Asylantrag bereits am 13. Dezember 1995, den Antrag nach § 54 FrG am 30. September 1996) gestellt hat, während sich das besagte Berufungsvorbringen auf "Aktivitäten" des Beschwerdeführers in Österreich bezieht, die nicht notwendigerweise vor den besagten Anträgen stattgefunden haben müssen. Von daher hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid aus dem Blickwinkel der diesbezüglich dem Verwaltungsgerichtshof zukommenen Kontrolle (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) mit einem Verfahrensmangel belastet, dem Relevanz zukommt, weil nicht von vorn herein ausgeschlossen werden kann, dass die Behörde bei Unterlassen dieses Mangels zu einem anderen, für den Beschwerdeführer - der bei einer Rückkehr in sein Heimatland befürchtet, verhaftet und misshandelt zu werden - günstigen Ergebnis gelangt wäre.

3. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 14. November 2000

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