VwGH 98/08/0174

VwGH98/08/017419.3.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des N in L, vertreten durch Mag. Maria Kincses, Rechtsanwalt in 4060 Leonding, Hochstraße 1, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom 15. Jänner 1997 (richtig: 1998), Zl. 4/12897/Nr.C70/98 -8, betreffend Leistung nach dem AlVG, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §46;
AlVG 1977 §6 Abs1;
AlVG 1977 §7 Abs4 idF 1996/201;
AsylG 1991 §7 Abs1;
AsylG 1997 §19 Abs1;
VwRallg;
AlVG 1977 §46;
AlVG 1977 §6 Abs1;
AlVG 1977 §7 Abs4 idF 1996/201;
AsylG 1991 §7 Abs1;
AsylG 1997 §19 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein jugoslawischer Staatsbürger (nunmehr nach eigenen Angaben ohne Staatsbürgerschaft), kam 1990 als Asylwerber nach Österreich. Seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gegen den abweisenden Asylbescheid wurde die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Er verfügte im hier maßgeblichen Zeitraum über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1991.

Nach Ausübung unselbständiger Tätigkeiten in den Jahren 1991 bis 1993 beantragte der Beschwerdeführer erstmals am 16. Juni 1993 die Zuerkennung von Arbeitslosengeld. Zuletzt hat der Beschwerdeführer bis zum 7. Februar 1995 Arbeitslosengeld bezogen; damit war sein Anspruch erschöpft.

Vom 27. Jänner 1997 bis zum 7. Oktober 1997 befand sich der Beschwerdeführer in Untersuchungs- bzw. Strafhaft. In dieser Zeit kam er seiner Arbeitspflicht gemäß § 44 Strafvollzugsgesetz nach und war nach einer Bestätigung der Justizanstalt Linz vom 7. Oktober 1997 in der Zeit vom 28. Jänner bis zum 28. April 1997 und vom 8. Juli bis zum 7. Oktober 1997 gemäß § 66a Abs. 1 AlVG für den Fall der Arbeitslosigkeit versichert. Am 13. Oktober 1997 beantragte der Beschwerdeführer wiederum die Zuerkennung von Arbeitslosengeld.

Mit Bescheid vom 23. Oktober 1997 wies die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Linz diesen Antrag mit der Begründung ab, dass der Beschwerdeführer keine der in § 7 Abs. 4 AlVG genannten Voraussetzungen zur Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit in Österreich nachweisen könne.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er auf seine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1991 verwies und vorbrachte, dass er die Anwartschaft erfülle, seine Bezugsdauer noch nicht erschöpft habe und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den bekämpften erstinstanzlichen Bescheid. In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei auf Grund des Asylgesetzes zum vorläufigen Aufenthalt, nicht jedoch zur Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet berechtigt. Er stehe daher dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Abgesehen davon könne der Beschwerdeführer die Anwartschaft für die begehrte Leistung nicht erfüllen. Gemäß § 66a Abs. 2 letzter Satz AlVG zählten nur drei Viertel der versicherten Haftzeiten als Anwartschaftzeiten. Für die Erfüllung der Anwartschaft auf Arbeitslosengeld lägen daher nur 137,25 bzw. aufgerundet 138 anwartschaftsbegründende Tage statt der geforderten 182 Tage vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Zurückweisung der Beschwerde als verspätet bzw. die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Der angefochtene Bescheid ist dem Beschwerdeführer am 21. Jänner 1998 zugegangen. Mit dem am 4. März 1998 - sohin innerhalb der sechswöchigen Frist des § 61 Abs. 1 iVm § 26 Abs. 1 VwGG - zur Post gegebenen Antrag beantragte der Beschwerdeführer die Zuerkennung der Verfahrenshilfe. Der die Verfahrenshilfe bewilligende Bescheid wurde der Verfahrenshelferin des Beschwerdeführers am 15. Mai 1998 zugestellt. Die innerhalb der sechswöchigen Beschwerdefrist am 25. Juni 1998 zur Post gegebene Beschwerde ist daher - entgegen der von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift vertretenen Ansicht - rechtzeitig.

2. Nach § 7 Abs. 1 AlVG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 201, hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaft erfüllt und die Bezugsdauer noch nicht erschöpft hat. Gemäß Abs. 2 leg. cit. steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs. 3) und arbeitsfähig, arbeitswillig und arbeitslos ist. Gemäß § 7 Abs. 3 leg. cit. kann und darf eine Beschäftigung aufnehmen, wer sich zur Aufnahme und Ausübung einer auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotenen, den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vorschriften entsprechenden, zumutbaren versicherungspflichtigen Beschäftigung bereithält und sich zur Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit in Österreich aufhalten darf. Für welche Ausländer die zuletzt genannte Voraussetzung zutrifft, bestimmt § 7 Abs. 4 leg. cit. Im Beschwerdefall ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer unter keinen der im § 7 Abs. 4 AlVG angeführten Tatbestände fällt. Seiner Berufung auf eine ihm zukommende asylrechtliche vorläufige Aufenthaltsbewilligung hielt die belangte Behörde in der Gegenschrift entgegen, dass es sich bei § 7 Abs. 4 AlVG um eine taxative Aufzählung handle. Aus diesem Grunde stehe der Beschwerdeführer gemäß § 7 Abs. 2 AlVG der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung.

Damit verkennt die belangte Behörde die Rechtslage. Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass kein Hindernis bestehe, eine verfassungsrechtlich gebotene Ergänzung des § 7 Abs. 4 AlVG dahin vorzunehmen, dass - vor dem Hintergrund der Zwecke der Arbeitslosenversicherung und der verfassungsrechtlichen Schranken, unter denen ihre beitragsfinanzierten Geldleistungen gesetzlich eingeschränkt oder aufgehoben werden dürften - der Status eines Arbeitslosen, der über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz verfüge und der sich daher erlaubter Weise im Inland aufhalte, jenem, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 7 Abs. 4 AlVG in Österreich aufhält, gleichzuhalten (nämlich: im Zusammenhang mit der Beurteilung der Verfügbarkeit) sei (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 2000, Zl. 99/03/0037, mwN). Die belangte Behörde hat daher die Verfügbarkeit des Beschwerdeführers zu Unrecht verneint.

Die somit nach § 7 Abs. 1 Z. 2 AlVG gebotene Prüfung des Vorliegens der Leistungsvoraussetzung der Erfüllung der Anwartschaft hat im vorliegenden Fall nach § 14 Abs. 2 AlVG zu erfolgen. Danach ist die Anwartschaft bei jeder weiteren Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten 12 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 26 Wochen (182 Tage) im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war. Der Verwaltungsgerichtshof hegt gegen die unbedenklichen, auch in der Beschwerde nicht bestrittenen Ausführungen der belangten Behörde, wonach der Beschwerdeführer mit den angeführten Beschäftigungszeiten während seiner Haft (die gemäß § 66a Abs. 2 letzter Satz AlVG zu drei Vierteln als Anwartschaftszeiten zählen) die im § 14 Abs. 2 AlVG normierte Anwartschaft nicht erfüllen kann, keine Bedenken.

Dennoch hat die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers zu Unrecht keine Folge gegeben. Der Beschwerdeführer strebte mit seinem Antrag vom 13. Oktober 1997 eine Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung an. Der Umstand, dass er in seinem Antrag die begehrte Leistung durch Ankreuzen des Arbeitslosengeldes ausdrücklich bezeichnet hat, enthob die Behörde nicht von der Prüfung, ob bei der gegebenen Sachlage im Falle des Nichtbestehens eines Anspruches auf Arbeitslosengeld die Voraussetzungen für eine andere der im § 6 Abs. 1 AlVG vorgesehenen Leistungen erfüllt sind. Im Falle des beschäftigungslosen Beschwerdeführers wäre nahe liegender Weise der Anspruch auf Notstandshilfe zu prüfen gewesen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 2000, Zl. 2000/08/0090). Dieser hat nach den Feststellungen zuletzt am 7. Februar 1995 Arbeitslosengeld bezogen und seinen Anspruch damit erschöpft. Der hier gegenständliche Antrag vom 13. Oktober 1997 liegt innerhalb der Frist des § 33 Abs. 4 AlVG. Zwar setzte der Anspruch auf Notstandshilfe in diesem Zeitpunkt u.a. gemäß § 33 Abs. 2 lit. a AlVG idF BGBl. Nr. 609/1977 die österreichische Staatsbürgerschaft oder gemäß § 34 Abs. 3 und 4 AlVG idF BGBl. Nr. 416/1992 (in Kraft ab 1. Juli 1992) eine gänzliche oder teilweise Gleichstellung mit dieser voraus. Diese Bestimmungen wurden aber mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. März 1998, Slg. 15129 (kundgemacht mit dem 1. April 1998 ausgegebenen BGBl. I Nr. 54/1998) aufgehoben. Der Gerichtshof sprach aus, die aufgehobenen Bestimmungen seien nicht mehr anzuwenden.

Da nach der vom Verwaltungsgerichtshof auf Grund der vom Verfassungsgerichtshof ausgesprochenen Erweiterung der Anlassfallwirkung nunmehr anzuwendenden Rechtslage das Nichtvorliegen der österreichischen Staatsbürgerschaft einem Anspruch auf Zuerkennung der Notstandshilfe nicht entgegen steht, die belangte Behörde jedoch über diesen Anspruch nicht entschieden und die weiteren Voraussetzungen für die Bejahung eines solchen Anspruches nicht geprüft hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung, BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 19. März 2003

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